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Eine Begegnung am Sonntagabend

1. Oktober 2021
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Während andere gebannt dem Getöse des Demokratietheaters lauschten und am Sonntagabend gegen sechs Uhr die ersten, ernüchternden Hochrechnungen verfolgten – ich gebe zu, auch ich war wählen gegangen und hatte mein Kreuz natürlich bei den hässlich-hassenden Dienern des bundesrepublikanischen Satans gemacht –, war ich mit metapolitischer Agitation beschäftigt.

Gut, fair enough, ich war lediglich stickern, aber das ist immerhin besser als nichts. Verteilt habe ich die neuen Sticker des „Anbruch“-Magazins, eines Kulturmagazins, welches von Freunden der KRAUTZONE herausgegeben wird und das ich an dieser Stelle nur wärmstens empfehlen kann.

Am liebsten, da am aufsehenerregendsten in meiner roten Stadt, habe ich den Sticker mit dem Aphorismus von Arne Kolb: „Patriarchat ist das feministische Wort für Kultur.“ Beim Anbringen an einem Laternenpfahl wurde ich von jemandem beobachtet. Unbeirrt ging ich meiner Wege, da sah er sich den Sticker an und beschloss, mir zu folgen. Da ich beim Überqueren einer Straße auf den Autoverkehr warten musste, konnte er mich einholen und sprach mich an.

„Hey, was soll das denn hier?“

Da stand er vor mir. Ein waschechter Linker, eine Zecke aus dem Bilderbuch. Ungepflegte Haare sowohl auf dem Kopf als auch im Gesicht, eine mit Spikes versehene Lederjacke und ein leicht strenger Geruch.

„Was denn?“, fragte ich unbekümmert, als wüsste ich von nichts.

„Na, dieser Spruch: ‚Patriarchat ist das feministische Wort für Kultur.‘“

In diesem Moment dachte ich wirklich, dass ich mir gleich eine fangen würde.

„Ja, was ist damit?“, mit leicht erhöhtem Blutdruck.

„Naja, ich… ich versteh’ das nicht ganz.“

Man kann sich immer wieder überraschen lassen in diesen merkwürdigen Zeiten.

„Weißt du“, fährt er fort, „ich komme gerade aus meiner Wohnung, sehe dich und les‘ den Spruch. Nur, was soll das?“

„Ist der Spruch nicht selbsterklärend?“

„Naja, nein. Ich mein, Patriarchat ist doch schlecht.“

„Wer sagt das?“

Er drehte seine Augen nach oben; aufrichtig versuchend, darüber nachzudenken.

„Naja, ich weiß nicht. Erklär‘s mir, Mann.“

Ich überlegte kurz. Wo nur anfangen?

„Also, schau her. Unsere ganze abendländische Kultur beruht einerseits auf den patriarchalen Strukturen, die wir über die Jahrhunderte hatten. Andererseits meint der Feminismus, wenn er von ‚Patriarchat‘ spricht, genau diese unsere Kultur. Er möchte sie zersetzen! Und außerdem, welche große kulturelle Leistung hat denn der Feminismus je erreicht, im Vergleich zu den Errungenschaften der patriarchalen, abendländischen Kultur? Schau dir die Herderkirche an oder einen gotischen Dom und vergleich das mit, ja womit denn? Mit mit Menstruationsblut gemalten Vulven?“

Längeres Schweigen bei ihm. Ich glaubte, das war etwas zu viel.

„Aber, nun, im Mittelalter, da mussten die Frauen ja auch mit ran. Arbeiten und Handwerk machen.“

„Mag ja sein, aber was hat das mit dem Patriarchat zu tun? Falls du denkst, ich möchte die Frauen als Koch- und Gebärmaschinen benutzen, irrst du dich. Das ist ein Klischee über ‚das Patriarchat‘“, antwortete ich.

„Ja, das habe ich aber auch nicht gesagt.“

„Es läuft aber meistens darauf hinaus.“ Eigentlich läuft es immer darauf hinaus.

„Ach, okay.“ Eine längere Pause. Seitdem ich wusste, dass er weder eine physische noch eine geistige Bedrohung sein würde, lächelte ich ihn ununterbrochen an.

Dann sagte er: „So ganz verstehe ich es noch nicht. Ich habe Freunde, die sich damit etwas besser auskennen. Ich frage die mal.“

„Tu das.“

Sie würden ihm meine These sicher wieder ausreden. Zum Schluss gab ich noch den Sticker, der dieses merkwürdige Gespräch ausgelöst hatte, mit. Wir verabschiedeten uns, wünschten uns noch einen schönen Sonntag und gingen unserer Wege. Ein kleiner Teil in mir hofft seitdem, etwas in seinem roten Punkerhirn ausgelöst zu haben.

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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