{"id":21673,"date":"2024-09-30T11:03:25","date_gmt":"2024-09-30T09:03:25","guid":{"rendered":"https:\/\/kraut-zone.de\/?p=21673"},"modified":"2024-09-30T11:03:28","modified_gmt":"2024-09-30T09:03:28","slug":"selenskyjs-siegesplan-hoffnung-oder-gefahr","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/kraut-zone.de\/selenskyjs-siegesplan-hoffnung-oder-gefahr\/","title":{"rendered":"Selenskyjs „Siegesplan“ – Hoffnung oder Gefahr?"},"content":{"rendered":"\n

Am 26. September f\u00fchrte die „S\u00fcddeutsche Zeitung“ ein Interview mit der Juristin und Slawistin Angelika Nu\u00dfberger, in dem es auch um die Gr\u00fcndungsgeschichte der Ukraine ging. Auf die Frage, wer letztlich entscheide, welche historische Version richtig sei, erwiderte Nu\u00dfberger: <\/p>\n\n\n\n

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\u201eNiemand. Oft geht es auch gar nicht um historische Fakten, sondern um ihre Interpretation. Die Ukraine ist daf\u00fcr ein gutes Beispiel. Im 17. Jahrhundert haben ukrainische Kosaken einen Pakt mit Ru\u00dfland geschlossen, um milit\u00e4rischen Schutz vor Polen-Litauen zu erhalten. Die einen sagen nun, das sei ein B\u00fcndnis gleichberechtigter Waffenbr\u00fcder gewesen. Die anderen halten es f\u00fcr eine vorweggenommene Einverleibung. Diese Interpretationen stehen nebeneinander, und es gibt f\u00fcr beide gute Argumente.“<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Daraufhin hakte die „SZ“ nach: \u201eKeine Seite hat recht?“<\/em> Und Nu\u00dfberger pr\u00e4zisierte: <\/p>\n\n\n\n

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\u201eEs gibt niemanden, der das Recht h\u00e4tte, endg\u00fcltig zu bestimmen, welches Narrativ richtig oder falsch ist. Zumindest nicht in einer offenen Zivilgesellschaft.“<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Die Redaktion der „SZ“ ficht das nicht an. \u201eEs geht um die Legitimation“ hei\u00dft zwar die \u00dcberschrift des Interviews. Doch in der Unterzeile wird Nu\u00dfbergers Aussage ins glatte Gegenteil verkehrt: \u201eDie Ukraine \u2013 kein eigener Staat? Immer wieder verzerren Regierungen die Geschichte. \/ Juristin Angelika Nu\u00dfberger erkl\u00e4rt, wie man mit solchen L\u00fcgen umgeht“<\/em>. Hier soll ganz offensichtlich Pr\u00e4sident Putins Behauptung, die Ukraine sei \u00fcber Jahrhunderte kein Staat und Russen und Ukrainer seien historisch ein einziges Volk gewesen, als Verdrehung der Tatsachen hingestellt werden.<\/p>\n\n\n\n

Unstrittig ist indes, da\u00df sich das Zarenreich unter Katharina der Gro\u00dfen im ersten russisch-t\u00fcrkischen Krieg 1774 mit der Eroberung der Krim erstmals den Zugang zu einem \u201ewarmen Meer“ sicherte \u2013 ein schon von Peter I. angestrebtes Ziel. Von einer staatlichen Existenz Kiews war ebenfalls noch keine Rede, als Katharina unter dem Namen \u201eNeuru\u00dfland“ (Noworossija) die Gebiete im Osten und S\u00fcden der heutigen Ukraine \u2013 also jene L\u00e4ndereien, die Putin 2022 annektierte \u2013 ihrem Reich eingliedern und durch Kolonisten besiedeln lie\u00df. 1802 wurde Noworossija eine Provinz des Zarenreichs und blieb bis 1917 integraler Bestandteil Ru\u00dflands<\/a>.<\/p>\n\n\n\n

Unzweifelhaft steht jedoch fest, da\u00df Putins \u00dcberfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ein v\u00f6lkerrechtswidriger Angriffskrieg war. Nach wie vor fordert er auf beiden Seiten Tausende von Toten und wird die Ukraine \u00fcber kurz oder lang in einen einzigen Schutthaufen verwandeln. Da\u00df die Rufe nach Frieden t\u00e4glich lauter werden, ist daher verst\u00e4ndlich. Doch wie soll er bewerkstelligt werden? Und was soll er beinhalten? Ein Minimalziel ist die Wiederherstellung und Achtung der nationalen Souver\u00e4nit\u00e4t der Ukraine, w\u00e4hrend ihre territoriale Integrit\u00e4t Gegenstand von Verhandlungen werden d\u00fcrfte, denn die Krim und das einstige Noworossija sind prim\u00e4r von Russen besiedelt.<\/p>\n\n\n\n

Pr\u00e4sident Wolodimir Selenskyj zeigt sich gegenw\u00e4rtig ebensowenig verhandlungsbereit wie Wladimir Putin. W\u00e4hrend Ru\u00dflands Truppen langsam, aber stetig vorr\u00fccken, befinden sich die Ukrainer au\u00dfer in der Region Kursk in der Defensive. Doch Selenskyj zeigt sich optimistisch und hat in den USA am 27. September einen \u201eSiegesplan“ vorgelegt, dessen Inhalt unbekannt ist. Nur der US-Pr\u00e4sident und Vizepr\u00e4sidentin Kamala Harris scheinen eingeweiht zu sein. Als das Gespr\u00e4ch mit Selenskyj begann, erkl\u00e4rte Joe Biden: <\/p>\n\n\n\n

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\u201eLassen Sie es mich klar sagen \u2013 Ru\u00dfland wird im Krieg nicht siegen. Ru\u00dfland wird sich nicht durchsetzen. Die Ukraine wird sich durchsetzen, und wir werden ihr weiterhin bei jedem Schritt zur Seite stehen.“<\/em> <\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Bereits vor der Ankunft Selenskyjs hatte das Wei\u00dfe Haus so deutlich wie noch nie erkl\u00e4rt: <\/p>\n\n\n\n

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\u201ePr\u00e4sident Biden ist entschlossen, der Ukraine die Unterst\u00fctzung zukommen zu lassen, die sie braucht, um zu gewinnen.“<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Nicht nur Kurt Volker, ehemals US-Sondergesandter f\u00fcr die Ukraine und Botschafter bei der Nato, zieht daraus den Schlu\u00df, Biden und Kamala Harris seien bereit, Kiew die seit langem gew\u00fcnschten weitreichenden Langstreckenwaffen zu liefern, wollen dies jedoch nicht vor den US-Wahlen im November \u00f6ffentlich machen. F\u00fcr die Republikaner w\u00e4re es eine \u201eSteilvorlage auf dem Silbertablett“<\/em>, denn schon jetzt werfe Donald Trump beiden vor, mit der Ukraine-Hilfe riskierten sie den dritten Weltkrieg. Trump selbst erkl\u00e4rte nach seinem kurzen Treffen mit dem ukrainischen Staatschef, Selenskyj sei der \u201egr\u00f6\u00dfte Verk\u00e4ufer der Welt. Wir geben weiterhin Milliarden Dollar an einen Mann, der sich weigert, einen Deal zu machen.“<\/em> F\u00fcr Biden, so mutma\u00dft Volker, gehe es um dessen politisches Verm\u00e4chtnis. Er sei nur noch vier Monate im Amt und wolle die Ukraine in die bestm\u00f6gliche Position bringen. Daher komme er im Oktober nach Deutschland und werde am 12. des Monats auf dem US-St\u00fctzpunkt Ramstein die Konferenz der Ukraine-Unterst\u00fctzer leiten.<\/p>\n\n\n\n

Selenskyj erkl\u00e4rte, zu etwaigen Gebietsabtretungen sei Kiew nicht bereit. Kernelement seines \u201eSiegesplans“ sei es vielmehr, da\u00df die westlichen Verb\u00fcndeten die Ukraine durch Waffenlieferungen in die Lage versetzen, Ru\u00dfland milit\u00e4risch derart in Bedr\u00e4ngnis zu bringen, da\u00df Pr\u00e4sident Putin endlich in Verhandlungen einwilligt. Offenbar geh\u00f6ren zu den Waffen auch die von den USA gelieferten Streubomben, die seit 2010 von 110 Staaten ge\u00e4chtet sind \u2013 nicht aber von der Ukraine, Ru\u00dfland und dem m\u00e4chtigsten Nato-Mitglied Amerika.<\/p>\n\n\n\n

Putin wiederum k\u00fcndigte an, Moskaus Nukleardoktrin der \u201eangespannten internationalen Lage“ <\/em>folgenderma\u00dfen anzupassen: <\/p>\n\n\n\n

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\u201eEine Aggression gegen Ru\u00dfland durch einen Nicht-Kernwaffenstaat, aber mit Beteiligung oder Unterst\u00fctzung eines Kernwaffenstaates, soll als gemeinsamer Angriff auf die Russische F\u00f6deration betrachtet werden.\u201c <\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Der Einsatz von Atomwaffen sei demnach m\u00f6glich, wenn die Existenz Ru\u00dflands durch Angriffe auch mit konventionellen Waffen bedroht<\/a> sei. Viele Beobachter werten diese Drohungen zwar offiziell als weiteren Versuch, den Westen davon abzuhalten, Kiew zu helfen, intern jedoch d\u00fcrfte die Bereitschaft, den Ukrainern weitreichende Waffen zu liefern, nicht gerade gro\u00df sein \u2013 besonders nicht in Deutschland (siehe die \u201eTaurus“-Marschflugk\u00f6rper).<\/p>\n\n\n\n

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