{"id":21972,"date":"2024-11-14T17:03:06","date_gmt":"2024-11-14T16:03:06","guid":{"rendered":"https:\/\/kraut-zone.de\/?p=21972"},"modified":"2024-11-14T17:03:10","modified_gmt":"2024-11-14T16:03:10","slug":"wann-verlaesst-der-lotse-das-wrack","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/kraut-zone.de\/wann-verlaesst-der-lotse-das-wrack\/","title":{"rendered":"Wann verl\u00e4sst der Lotse das Wrack?"},"content":{"rendered":"\n

Das Banner \u201e75 Jahre Grundgesetz\u201c ist von der Netzpr\u00e4senz der Bundesregierung verschwunden. Stattdessen prangen dort \u201e35 Jahre friedliche Revolution\u201c; irgendwie passend. So wenig, wie dieses Jahr mitsamt \u201eCompact\u201c-Verbot<\/a> und der geplanten Abschottung des Bundesverfassungsgerichts<\/a> im Zeichen des Grundgesetzes stand, so wenig gleicht der sich fast schon qu\u00e4lend ziehende Vorgang um die Vertrauensfrage des (Noch\u2011) Kanzlers Olaf Scholz einer Revolution.<\/p>\n\n\n\n

W\u00e4hrend wir darauf warten, dass der \u201eSo. Doof.\u201c-Kanzler<\/a> endlich die Vertrauensfrage stellt, schauen wir uns an, was das Grundgesetz damit eigentlich regeln wollte (1.), was das Taktieren um den Termin andeutet (2.), welche Alternative bisher weitestgehend unerw\u00e4hnt bleibt (3.) und was bei den Neuwahlen anders wird (4.).<\/p>\n\n\n\n

1. Die Intention des Grundgesetzes<\/strong><\/h2>\n\n\n\n

Das Grundgesetz sieht f\u00fcr den Fall, dass dem amtierenden Bundeskanzler die Unterst\u00fctzung des Parlamentes fehlt, zwei L\u00f6sungen vor: das (konstruktive) Misstrauensvotum in Artikel 67 GG und die Vertrauensfrage in Artikel 68 GG. Das Misstrauensvotum wird dabei nicht ohne Grund als \u201ekonstruktives Misstrauensvotum\u201c bezeichnet. So kann laut Artikel 67 Absatz 1 Seite 1 GG der Bundestag…<\/p>\n\n\n\n

\n

\u201e(…) dem Bundeskanzler das Mi\u00dftrauen nur dadurch aussprechen, da\u00df er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger w\u00e4hlt (…)\u201c<\/em>.<\/p>\n<\/blockquote>\n\n\n\n

Wenn das Parlament den Bundeskanzler also von sich heraus absetzen will, muss es sich auf einen neuen Amtstr\u00e4ger geeinigt haben.<\/p>\n\n\n\n

Diese Methode ist bewusst so gew\u00e4hlt und folgt aus einer Lehre der Weimarer Republik. Dort war es noch m\u00f6glich, den Kanzler durch das Parlament ohne eine Alternative abzusetzen. In Verbindung mit der zersplitterten Parteienlandschaft erreichte man so schnell eine Mehrheit f\u00fcr die Absetzung des Kanzlers, jedoch keine f\u00fcr die Einsetzung eines neuen. Das Ergebnis nach 13 Jahren waren 21 Regierungen unter elf verschiedenen Kanzlern.<\/p>\n\n\n\n

Auch die Vertrauensfrage ist in diesem Licht auszulegen. Zwar kann sie der Bundeskanzler nach eigenem Ermessen stellen und damit das Parlament auffordern, f\u00fcr oder gegen sein Verbleiben im Amt zu stimmen. Jedoch darf dies laut dem Bundesverfassungsgericht nicht dazu dienen, zum Beispiel aufgrund g\u00fcnstigerer Wahlprognosen trotz eigener Parlamentsmehrheit vorzeitige Neuwahlen herbeizuf\u00fchren. Solange der Kanzler seinen politischen Gestaltungswillen aufgrund einer sicheren Mehrheit durchzusetzen vermag, ist ihm die Vertrauensfrage mit dem Ziel der Aufl\u00f6sung des Parlaments also versagt.<\/p>\n\n\n\n

Im Fall von SPD-Kanzler Scholz scheint die Sache jedoch eindeutig. Gestaltete sich das Regieren unter der Ampel-Koalition bereits mit einer Parlamentsmehrheit schwierig, fehlt der Regierung sp\u00e4testens mit dem Wegbruch der FDP die Handlungsf\u00e4higkeit.<\/p>\n\n\n\n

2. Das Feilschen um die Vertrauensfrage<\/strong><\/h2>\n\n\n\n

Dass Scholz die Vertrauensfrage nun nicht in der direkt auf den Koalitionsbruch folgenden Sitzungswoche stellte, sorgte f\u00fcr teils heftige Kritik aus der Opposition<\/a> und von Staatsrechtlern<\/a>. Immerhin bleibt Scholz auch nach der Vertrauensfrage bis zur Neuwahl im Amt. Das Argument, jetzt noch wichtige Reformen auf den Weg bringen zu wollen und deshalb erst sp\u00e4ter die Vertrauensfrage stellen zu k\u00f6nnen, zieht also nicht.<\/p>\n\n\n\n

Doch w\u00e4hrend bereits in der Vergangenheit einige Zeit zwischen der Entscheidung zur Vertrauensfrage und der tats\u00e4chlichen Abstimmung im Parlament verging, stellt die Art, wie der Termin zustande kam, ein Novum dar. Olaf Scholz traf die Entscheidung n\u00e4mlich nicht alleine, sondern stimmte sich mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ab. Forderte Merz zun\u00e4chst die sofortige Vertrauensfrage, einigte er sich mit Scholz nun auf den 16. Dezember.<\/p>\n\n\n\n

Warum Scholz, der die Vertrauensfrage zun\u00e4chst erst im Januar stellen wollte, den Termin auf einmal mit Merz abstimmte, kann nur spekuliert werden. Verfassungsrechtlich verpflichtet ist er dazu zumindest nicht. Es steht allein im Ermessen des Bundeskanzlers, die Vertrauensfrage zu stellen.<\/p>\n\n\n\n

Vielmehr k\u00f6nnte sich hierdurch bereits eine neue Gro\u00dfe Koalition ank\u00fcndigen und ein Verhalten der CDU wie zu Merkels Hochzeiten: Zuerst tritt man nach au\u00dfen konservativ auf und r\u00fchmt sich mit steilen Forderungen, nur um dann im Nachgang doch linken Vorhaben den Weg freizumachen; Hauptsache, man sitzt in der Regierung.<\/p>\n\n\n\n

3. Es ginge auch anders<\/strong><\/h2>\n\n\n\n

Denn die Entscheidung \u00fcber die Vertrauensfrage liegt zwar bei Scholz, doch einen Weg f\u00fcr fr\u00fchere Neuwahlen st\u00fcnde Merz offen. Daf\u00fcr reicht ihm ein Blick in die eigene Parteigeschichte. Bereits 1982 erzwang die CDU mit folgender Taktik Neuwahlen:<\/p>\n\n\n\n

Nachdem sie das konstruktive Misstrauensvotum gegen SPD-Kanzler Schmidt gestellt und mit der Wahl Helmut Kohls zum neuen Kanzler auch gewonnen hatte, stellte dieser nur kurze Zeit sp\u00e4ter selbst die Vertrauensfrage, um das Parlament aufl\u00f6sen zu lassen. So k\u00f6nnte die CDU nun auch vorgehen, w\u00e4re da nicht die Brandmauer. Denn eine Mehrheit w\u00e4re ohne die Stimmen der AfD nicht m\u00f6glich. Und die m\u00f6chte Merz auf keinen Fall haben<\/a>, wie er erneut bekr\u00e4ftigte.<\/p>\n\n\n\n

4. Neue Wahlen, neues Wahlrecht<\/strong><\/h2>\n\n\n\n

Was bei der ganzen Debatte um die Vertrauensfrage und den Wahltermin hinten runterzufallen scheint, ist die Tatsache, dass f\u00fcr die vorgezogenen Neuwahlen bereits das von der Ampel ge\u00e4nderte Wahlrecht zum Zug kommt. Statt der aktuell 733 Abgeordneten d\u00fcrfte das Parlament dann nur noch 630 Mitglieder z\u00e4hlen.<\/p>\n\n\n\n

Auch wenn der Politikzirkus der \u201edemokratischen Parteien\u201c und ihrer Brandmauer h\u00f6chstwahrscheinlich weiterhin bestehen bleibt und von einer schwarz-rot(\u2011gr\u00fcnen?) Regierung keine Wende zu erwarten ist, kostet uns das Ganze dann etwas weniger hart erarbeitetes Steuergeld.<\/p>\n\n\n\n

<\/div>\n\n\n\n

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