{"id":5518,"date":"2021-12-08T19:22:26","date_gmt":"2021-12-08T19:22:26","guid":{"rendered":"https:\/\/krautzone.rf.gd\/?p=5518"},"modified":"2022-02-18T19:11:51","modified_gmt":"2022-02-18T19:11:51","slug":"vom-roemischen-murad","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/kraut-zone.de\/vom-roemischen-murad\/","title":{"rendered":"Vom r\u00f6mischen Murad und anderen \u201eErfolgen\u201c unseres Bildungssystems"},"content":{"rendered":"

\u201eLuise, was hat unser Klassenrat mit der Demokratie im antiken Griechenland zu tun?\u201c, fragt mich einer meiner Nachmittagssch\u00fcler, bei denen ich privat die Folgen des Bildungszeitgeists versuche auszub\u00fcgeln. Wer die moderne Ausf\u00fchrung dieses \u201eRates\u201c einmal live erlebt hat, dem mag es schwerfallen, zu dieser Frage angemessene Parallelen zu er\u00f6rtern.<\/p>\n

Und so sitze ich selbst ratlos vor dem Lehrbuch f\u00fcr Gesellschaftswissenschaften und wei\u00df nicht so recht, ob ich lachen oder weinen soll. \u00dcberfliegt man das Inhaltsverzeichnis, reist man in wenigen Lehrbuchseiten vom alten Rom \u00fcber das Thema \u201eKloaken und Toiletten\u201c zu Murad und seinem Zuhause in Berlin.<\/p>\n

Fl\u00fcchtling, Fl\u00fcchtender, Menschen mit Fluchthintergrund<\/strong><\/p>\n

An den Untergang des R\u00f6mischen Weltreiches schlie\u00dft sich thematisch \u201eMenschen suchen eine neue Heimat – Migration heute\u201c an. Danach wird passend \u00fcber \u201ebunte (Schul)klassen\u201c gesprochen. Die Germanen lassen sich wunderbar mit der heutigen Vielfalt Europas verbinden und der moderne Klassenrat wird der attischen Demokratie gegen\u00fcbergestellt. Von der Agrarwirtschaft der Jungsteinzeit sind es exakt 8 Seiten zur heutigen Milchwirtschaft im Allg\u00e4u. Wenn das mal kein gelungener Ritt durch die Geschichte ist!<\/p>\n

Das Fach Geschichte wird immer h\u00e4ufiger in den unteren Klassenstufen zu dem Konglomerat \u201eGesellschaftswissenschaften\u201c mit den F\u00e4chern Geographie und Politik zusammengefasst. Dieser f\u00e4cher\u00fcbergreifende Unterricht f\u00fchrt allzu oft dazu, dass historische Inhalte zwangsmodernisiert und in den passenden ideologischen Kontext gestellt werden. Die Inhalte verkommen zu einem Flickenteppich ohne durchg\u00e4ngigen Faden. Hinzu kommt die zunehmende kulturelle und bildungskanonische Entwurzelung und gewollte Planlosigkeit.<\/p>\n

Alles Historische muss krampfhaft in die Gegenwart gezerrt werden und einen dubiosen \u201eLebensweltbezug\u201c haben, auch wenn der Sch\u00fcler dann Murads Lebensumst\u00e4nde mit denen eines antiken R\u00f6mers verwechselt. Da k\u00f6nnte man fast ironisch anmerken: Ziel erreicht! Das Resultat dieser Besch\u00e4ftigungstherapie mit Inhaltskonfigurationen ohne Sinn und Verstand (aber umso mehr Kalk\u00fcl!) ist eine Art Pseudobildung. Die groben Inhalte \u00e4hneln noch entfernt dem alten Bildungskanon doch gleichzeitig wird der kulturell entwurzelte homo \u201eIch hab da mal geh\u00f6rt, wie es fr\u00fcher war, aber heute sind wir bunt und vielf\u00e4ltig\u201c herangezogen.<\/p>\n

Erziehung zur Identit\u00e4tslosigkeit<\/strong><\/p>\n

Was wir mit einem solchen Unterricht produzieren sind historisch und kulturell entwurzelte Menschen. Es fehlt u.a. ein wissensbasiertes Grundger\u00fcst, an das Informationen andocken k\u00f6nnten. Ein kontinuierliches Geschichtsbild zu entwickeln und Jahreszahlen zu kennen sei unn\u00f6tig und nicht zielf\u00fchrend.<\/p>\n

Doch wie sollen die Sch\u00fcler ein Bild von Geschichte und unserer Zivilisationshistorie entwickeln? Indem wir dank irgendwelcher Quer- und L\u00e4ngsschnitte die Geschichte in eine fragw\u00fcrdige moderne Ideologie kleiden und dabei essentielle historische Zusammenh\u00e4nge ignorieren? Wie Dietrich Schwanitz in seinem Buch \u201eBildung\u201c schreibt, \u201eist den Sch\u00fclern und Studenten der Sinn f\u00fcr die Geschichte als Abfolge der Epochen weitgehend verlorengegangen.\u201c Kinder lernen somit nicht, Ereignisse einzuordnen oder sie zu vergleichen. Sind diese Themen pl\u00f6tzlich so trivialisierbar, dass man jetzt nur drei Seiten f\u00fcr eine Hochkultur braucht, wo es fr\u00fcher 20 Seiten im Schulbuch gab?<\/p>\n

Die \u00fcbliche Antwort der Bildungsexperten auf einen kulturhistorischen Bildungskanon lautet dann: Weg damit! Er sei verstaubt, veraltet und nicht mehr zeitgem\u00e4\u00df. Da ordnet man die Ereignisse lieber gleich ideologisch richtig ein. Doch meiner Meinung ist dies genau der falsche Weg. Es fehlt das Eingest\u00e4ndnis, dass man es vers\u00e4umt (hat), den jungen Menschen ein grundst\u00e4ndiges Geschichts- und Kulturbild zu vermitteln. Dies beginnt selbstverst\u00e4ndlich im Elternhaus. Doch es ist die Aufgabe der Schule, dies eventuell nachzuholen, aufzugreifen und zu systematisieren. Gerade dies ist nicht gewollt!<\/p>\n

Der Verfall des geschichtlich-kulturellen Rahmens im Bildungsbereich ist auch noch aus anderen Gr\u00fcnden bedenklich. Das fehlende Grundger\u00fcst wirkt sich auf das Verst\u00e4ndnis anderer kultureller Errungenschaften wie der Literatur, Kunst und Musik aus. Von einer fast gar nicht vorhandenen philosophischen Grundbildung ganz zu schweigen. Wie sollen die Sch\u00fcler ohne ein grundlegendes Verst\u00e4ndnis der deutschen und europ\u00e4ischen Geistesgeschichte die Klassiker der Literatur verstehen?<\/p>\n

Fack ju G\u00f6hte<\/strong><\/p>\n

Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dass auf dieser Basis die Sch\u00fcler kaum Klassiker mehr lesen geschweige denn sie verstehen. Das Problem ist gerade nicht deren Antiquiertheit, sondern die fehlende Vorbereitung und Einordnung durch das Elternhaus und die Lehrer. Viele von ihnen m\u00f6chten sich ja am liebsten nicht mehr als Deutsche begreifen, lieber schon als Europ\u00e4er oder auf der h\u00f6chsten Kompetenzstufe gleich als Weltb\u00fcrger ohne Heimat und Identit\u00e4t. Wozu dann noch die Besch\u00e4ftigung mit kulturellen Klassikern und nicht mit afrikanische Stammesmythen? Hinzu kommt die sich im Sinkflug befindende Begeisterung vieler f\u00fcr kulturell-klassische Bildungsinhalte.<\/p>\n

Bildung sollte dazu f\u00fchren, dass junge Menschen Respekt vor den geistigen Errungenschaften und deren Sch\u00f6pfern in ihrer angestammten Kultur entwickeln. Vor ihren Augen sollte sich ein Bild ihrer Kultur zusammensetzen, aus denen sie sich Vorbilder und Mythen f\u00fcr ihr eigenes Leben ableiten k\u00f6nnen. Erst das vertiefte Wissen \u00fcber die eigene Kultur f\u00fchrt zu einer ideengeschichtlichen Festigung und mit der Zeit zu Reflektionsf\u00e4higkeit und einem fundierten Vergleichen und Bewerten. Dem wird von der derzeitigen Bildungslandschaft jedoch offen oder teils auch unbewusst entgegengearbeitet. Das Bild, das etwaige Lehrb\u00fccher von Geschichte vermitteln, wird einem solchen Respekt und einer Enkulturation nicht ansatzweise gerecht.<\/p>\n

Nach Alain de Benoist handelt ein Volk gut, wenn es sich seiner kulturellen und geschichtlichen Wurzeln bewusst bleibt. Sobald eine Entfremdung von dieser Grundlagen sich vollzieht, verliert das Volk seinen Wesenskern. Ein fehlendes Geschichtsbewusstsein verhindert ein historisch reflektiertes Handeln und das Wirgef\u00fchl einer Nation verschwindet im Dunst der Beliebigkeit. Was wir, aber besonders die jungen Menschen brauchen, ist eine Antwort auf die Frage: Was bedeutet es, Deutscher\/ Europ\u00e4er zu sein?<\/p>\n

Das geht selbstverst\u00e4ndlich nicht nur \u00fcber Fakten, sondern auch \u00fcber Erz\u00e4hlungen und die dadurch ausgel\u00f6sten Emotionen. Doch gerade diese Emotionen werden durch eine moderne ideologische Einkleidung umgedeutet und fehlgeleitet. Wenn wir Kinder dieser Pseudobildung \u00fcberlassen, d\u00fcrfen wir uns nicht \u00fcber die zu erntenden Fr\u00fcchte wundern. Ein eindrucksvolles, nachhaltiges Bild von Geschichte und Kultur werden sie jedenfalls nicht entwickeln!<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Beim letzten sonnt\u00e4glich\u201eLuise, was hat unser Klassenrat mit der Demokratie im antiken Griechenland zu tun?\u201c, fragt mich einer meiner Nachmittagssch\u00fcler, bei denen ich privat die Folgen des Bildungszeitgeists versuche\u2026<\/p>\n","protected":false},"author":32,"featured_media":6024,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[34],"tags":[],"class_list":["post-5518","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-kultur"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5518"}],"collection":[{"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/32"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=5518"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5518\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/6024"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=5518"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=5518"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/kraut-zone.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=5518"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}