Dunkel
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Scheiß auf Urlaub!

15. März 2019
in 3 min lesen

Vor ein paar Monaten habe ich mir mal etwas länger frei genommen, um zu entspannen und einige gute Freunde zu besuchen. Eigentlich eine feine Sache, wären da nicht meine Kumpels und ihre mahnenden Worte. „Warum verreist du nicht? Was machst du denn so lange zuhause?“ „Wieso willst du denn die ganze Zeit in Deutschland rumhängen?“ Für die meisten ist es anscheinend unbegreiflich, wenn man als junger Mensch nicht gefühlt einmal pro Monat eine größere Auslandsreise unternimmt und jedes verlängerte Wochenende für einen mindestens(!) europaweiten Kurztrip nutzt.

Wer nicht wenigstens dreimal pro Jahr eine halbe Weltreise unternimmt gilt schnell als kulturell minderbemittelt und bekommt einen dicken Maluspunkt ins Persönlichkeitsheftchen für seine mangelnde „Weltoffenheit“.

Während die erste Urlaubsreise meines Großvaters noch mit Ende 20 nach Frankreich führte (auf Ketten wohlgemerkt, aber dafür waren sie immerhin ziemlich fix unterwegs), muss es heute mindestens Australien sein. Und das ganze spätestens nach dem Abi! WÖÖÖRK AND TRÄVEL! Alles schön organisiert von irgendeiner überteuerten „trävel agency“, damit das hart erarbeitete Geld von Mami und Papi auch ja nicht in Dunkeldeutschland versacken muss.

Das Wichtigste vor Ort ist die Versorgung der heimischen Facebookgemeinde mit möglichst vielen ausgestreckte-Arme-Fotos, am besten am Strand oder auf irgendwelchen total entlegenen Felsvorsprüngen mit Touristenwarteschleife. Der süße Urlaubsflirt Brandon, mit blonder Mähne, Waschbrettbauch und Surfbrett ist natürlich auch am Start – Hach, die „Aussies“ sind ja so „open minded“ und so „total lässig“ drauf. Und diese Typen… einfach nur HOT! Ganz anders als der schüchterne langweiler-Exfreund Torben! Aber von dem hat man sich natürlich zuhause brav getrennt. Man ist ja jetzt erwachsen und es ist Zeit für einen neuen Lebensabschnitt und viele „super aufregende Erfahrungen“. Überhaupt ist Australien viel offener und sympathischer als das langweilige Spießerdeutschland mit seinen hängenden Gesichtern. Flüchtlinge steckt Australien zwar rigoros in ausländische Internierungslager – aber geschenkt! Wichtiger ist die neugewonnene Freiheit jenseits der engstirnigen Betonköpfe in der „Heimat“ (Ein Begriff der im Wortschatz unserer modernen „Traveller“ ohnehin längst verschwunden ist).

Nachdem man sich anschließend von dem süßen Surferboy richtig schön hat

knattern lassen, (bei den unbeholfenen, treudoofen Kartoffelsäcken zuhause gabs

ja immer nur Blümchensex) geht’s weiter zum nächsten „Hot Spot“.

Zwischendurch werden noch schnell ein paar schicke Fotos mit netten Sprüchen von möglichst intelligenten Leuten gepostet. Man ist sich ja zu nichts zu schade und so darf denn gleich mal der gute Augustinus von Hippo herhalten: „The World is a book, and those who do not travel read only a page.” Keine Ahnung wer der komische Typ war, aber geiler Spruch! Voll deeep und so… Natürlich darf so ein kluger Spruch nicht ohne mindestens ein neues Sprung-in-die Luft-Foto mit irgendwelchen notgeilen Aussies gepostet werden. Nach dem Wörk-and-travel-Jahr geht es selbstverständlich noch ein paar Monate nach Südostasien. Die Natur dort ist ja sooooo schön und alles so billig zu haben. Wirklich alles, wobei sich endlich auch mal die Männer angesprochen fühlen dürfen. Ist man wieder daheim im trüben Germoney möchte man natürlich am liebsten gleich wieder los düsen. Wenn man erstmal vom „Travel-Fieber“ infiziert ist, gibt es kein zurück. Scheiß auf Altersvorsorge und diesen ganzen Spießermist in D-Land! Man lebt nur einmal und in der Zeit muss man so viel wie möglich von der Welt sehen!

Warum schaut ihr euch keine beschissenen Reisedokus an oder lernt erstmal eure fucking „Heimat“ kennen?? Die Leute von denen ihr eure miesen Zitate zweckentfremdet, wussten mehr über ihre Heimatdörfer als ihr von der ganzen Welt! Ihr reist durch die entlegensten Länder, aber versteht danach keinen Funken mehr vom Leben als vorher. Ohoo, ihr habt jetzt so viele Freunde auf der ganzen Welt, was euren Kindergartenhorizont ja so immens erweitert hat!? Ich bin jetzt echt total geplättet von so viel Kosmopolitismus!

In jeder x-beliebigen deutschen Vorschulklasse sind mittlerweile mehr verschiedene Kulturen versammelt als ihr während euren sinnlosen Reisen jemals kennenlernt.

Ihr meint ihr habt Vietnam gesehen, aber kennt noch nicht mal die Geschichte von der Kirche in eurem Nachbardorf!? Auf eure „Weltoffenheit“ setz‘ ich nen dicken, deutschen Haufen! Übrigens, was ihr Zitatvergewaltiger könnt, kann ich schon lange! Und um es mit Goethe auszudrücken: „Um zu begreifen, dass der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen.“

Pauline Meißner

Pauline ist von Anfang an an Bord, obwohl sich ihre Unterstützung auf die meist zu spät eingereichte Kolumne „Pauline pöbelt“ beschränkt. Die Berlinerin kämpft sich durch die hunderten von Vollidioten in Deutschlands „Studentenstadt“ Nummer 1, hat nach Eigenangaben aber bislang erst zwei Mal die Nerven verloren. Kompensation verschaffen Alkohol und Feiern, bei denen sie sich regelmäßig fragt, wie es nur möglich ist, dass sie für ein konservatives Schmierblatt schreibt. Noch erbärmlicher als ihr liederlicher Lebensstil sind einzig und allein linke Typen, die denken, unterwürfig punkten zu können.

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