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Die Leere bleibt. Deine digitalen Substitute

9. Oktober 2020
in 2 min lesen

Von Patrick Andreas Bauer

“Achtung! Auf die Straße schauen!” sage ich immer öfter zu jungen Männern. Sie rennen fast in mich hinein. Den Blick auf ihr Smartphone gesenkt wie bei einer Beerdigung. Manchmal sage ich aber auch gar nichts. Sie stoppen abrupt, weichen fahrig aus. Meiden den Augenkontakt, noch in ganz anderen Welten versunken. Wie ein Liebender, der einer hoffnungslosen Liebe nachjagt. Das Leben im Weltnetz glänzt.

Warum der grauen Masse des Alltags emotionale Zuwendung bieten? Der Jüngling, der statt mutig Frauen in seinem Umfeld oder auf der Straße anzusprechen doch viel einfacher auf den bekannten Pornoseiten Erfüllung zu finden glaubt. Die Frau dort lächelt dich an. Sie ist makellos. Und vor allem stellt sie an dich keine Ansprüche. Genau wie 90% deiner digitalen Freunde. Sie nennen dich “Bruder“, „Bro”. Im echten Leben kommen sie gar nicht oder nur wegen deiner X-Box vorbei. Man sitzt nebeneinander, starrt auf Bildschirme. Man misst sich kaum im echten Leben. Kein Wettrennen, kein Fußballduell, kein gemeinsames Projekt. Man zeigt nicht, was man kann. Allenfalls noch, wie viele Likes der neue Filter auf Instagramm bringt.

Dass du passend zu jedem Lebensabschnitt die passende Facebook-Werbung angezeigt bekommst, nimmt du schon gar nicht mehr wahr. Hast du eine neue Freundin, kommt die Kondom-Werbung. Weil die Freundin am Laptop war, auch mal ein hübscher Büstenhalter. Du fragst dich dann “woher wissen die das denn jetzt”? Aber da kommen bereits die nächsten Benachrichtigungen auf Facebook. Du hast deinen Alarm lautgestellt. Es sind 4 Neuigkeiten. Dein Freund hat dein Bild kommentiert. Du hast ihn lange nicht gesehen. Deshalb likest du seinen Kommentar mit einer Umarmung. Alles wieder in Ordnung. Seine Schwester ist das süße Mädchen von der Schule, mit der du noch nie persönlich gesprochen hast. Irgendwie findest du immer eine Ausrede. Auf WhatsApp sendet ihr euch bereits Herzchen. Deine Mutter hilft dir bei den Formulierungen. Sie ist im Home-Office und beschwert sich über ihre Gewichtszunahme.

Auch ihr Handy klingelt und brummt fast pausenlos. Du würdest gerne mal wieder mit ihr kuscheln, über etwas Bedeutsames sprechen. Vielleicht einen Ausflug. Aber zwischen Zigarette, dem Gerichtskrieg gegen deinen “Erzeuger” und dem neuen Posting von Cardi B bleibt wenig Zeit. Du sagst “Hallo”. Sie liket und kommentiert erst Cardi B, dann sieht sie dich flüchtig an. Du hast schon verstanden, wo du dir Anerkennung holst. Du änderst dein Profilbild in die Regenbogenflagge. Wir sind mehr. Berlin bleibt bunt. Keinen Millimeter nach rechts. Rettet den Regenwald. Deine Freunde schreiben eifrig darunter, wie wichtig auch ihnen das ist und wie toll du bist. Du likest ihren Kommentar. Wenn schon nicht deren Mutter, so wenigstens du. Deren Mama könnte den Kommentar ja auch nur einmal liken.

Du junger Mann bist also gerade so nochmal dem dir entgegenkommenden Fremden ausgewichen. Dieser merkwürdige Typ hat sich aufgeregt. Man hat dich wieder einmal beim Verfassen deiner wichtigen Antworten nicht beachtet. Warum sollst immer du beiseite gehen? Die Benachrichtigung ist zwar nicht wichtig, aber drängend. Wann wirst du wieder beachtet? Das ist wichtig für dich. Du bist im Fast-Food-Restaurant angekommen. Viele hippe Leute hier. Du siehst ihnen nicht in die Augen. Deine Freunde warten bereits. Noch bevor ihr esst, müsst ihr ein Foto machen. Euer strahlendes Lächeln erscheint auf Instagramm. #brosforlife #lebengenießen #besteleben #hangout. Die meiste Zeit schweigt ihr beim Essen. Zeigt euch Online-Profile, kurze Videos. Die Handys liegen auf dem Tisch. Vibrieren regelmäßig. Ansonsten Schweigen. Die Verabschiedung dann betont herzlich. Eine Umarmung.

Du hast Bauchschmerzen von dem Essen. War wohl kein richtiges Fleisch. Wie kommst du denn jetzt nach Hause? War der Bus schon da? Du versuchst zu fragen. An der Haltestelle spricht der Erste kein Deutsch. Den Rest traust du dich nicht anzusprechen. Sie haben Kopfhörer ihrer Smartphones in den Ohren, starren ins Leere. Du hast genug vom Handy, wartest fröstelnd auf den Bus. Deine Gedanken schweifen umher. Nichts Konkretes, denn du weißt nicht viel. Ich gehe an dir vorbei, schaue dir tief in deine Augen. Du spürst einen kleinen Druck. Du siehst weg. Der Druck geht. Die Leere in dir bleibt.

Gastautor

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