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Geh zu deinem lokalen Scheißverein!

19. Februar 2020
in 4 min lesen

Kein Thema begleitet einen cis-Mann derart konstant durch sein Leben wie Fußball. Bestenfalls wird man vom eigenen cholerischen Vater direkt indoktriniert, bekommt einen Schal umgehängt und bei Minusgraden und Nieselregen in das Stadion eines mittelerfolgreichen Vereins geschleppt.

Auf der Rückfahrt darf man sich dann die nicht immer ganz elaborierten dafür aber umso meinungsstärkeren Analysen, wieso Arminia Bielefeld denn nach einem 0-1 gegen den 1. FC Nürnberg an einem Hinrundenspieltag im Jahr 2002 am besten gleich den Spielbetrieb einstelle zumindest aber Trainer, Sportdirektor und Vorstand rausschmeissen müsse, anhören. Diese Form der Charakterschule sollte keinem Heranwachsenden entgehen, leider aber gibt es zu viele Eltern, deren Fanatismus nicht stark genug ist, die Fußball gleichgültig betrachten und so den Kindern freie Hand lassen. Wieso dies fatal ist, liegt auf der Hand: Spätestens mit Beginn der Schulzeit schickt Ihr Euer Kind schließlich wissentlich in schlechte Gesellschaft und damit meine ich in diesem Fall ausnahmsweise nicht die Kommunistenlehrer oder die Tatsache, dass Euer Kind, je nach Eurem Einkommen und eurer Wohnregion, eine diskriminierte, ethnische Minderheit ist und leider nicht die auf dem Schulhof gängigen Sprachen spricht, sondern die vielen Dortmund-, Schalke- und Bayern-Fans, die jetzt fragen: „Und, was bist du für ein Fan?“.

Die meisten Kinder folgen hier einer ganz einfachen, infantilen Logik: Wie gehöre ich dazu? Welcher Verein ist erfolgreich? Schon ist es passiert: Zum Geburtstag will der kleine Scheißer ein Dortmund-Trikot! Damit habt ihr in einem wesentlichen Erziehungsbereich leider vollständig versagt.

Die biografischen Spätfolgen sind absolut unabsehbar, und es bleibt mir fast nur, Euch zu wünschen, nicht erleben zu müssen, wenn Euer Fleisch und Blut mit Mitte 20 in der Hipster-Kneipe lamentiert, dass Fußball in Dortmund ja noch gelebt werden würde und die Aktiengesellschaft aus unerfindlichen Gründen ja eine Bastion gegen Kommerzfußball ist, zumindest stehen ständig mehr oder weniger intellektuelle Gründe dafür in dem von ihm gelesenen Fußballmagazin „11Freunde“.

Diese infantile Einstellung zur Wirtschaft überträgt sich übrigens auch auf andere Bereiche und zusammen mit der dauernden „Unser Ball ist bunt – Nein zu Rassismus!“-Propaganda ist der Weg zur SPD oder den Grünen quasi vorgezeichnet. Natürlich findet er St. Pauli auch ganz cool und bezeichnet sich hier als Sympathisant, weil nur zweite Liga? Das ist Deinem Sohn zu doof. Ein bisschen erzählen, man sei Sympathisant und so zu hoffen, die rebellische Attitüde würde auf einen abfärben, das geht aber sehr gut.

Warum Du all das vermeiden solltest, fragst Du? Das ist recht einfach: Nichts bereitet Deinen Sprössling besser auf das Leben vor, als die Anhängerschaft zu einem miesen Drecksverein aus Eurer Umgebung, dem im Übrigen auch Du Dein Herz schenken solltest. Zum Einen erziehst du ihn nicht zu einem dieser widerlich narzisstischen, rastlosen Selbstfinder, der sein Heil in einem endlosen Studium und dauernden, monatelangen Backpacker-Reisen, die Du zu großen Teilen bezahlen darfst, sucht, sondern gibst ihm direkt ein Gefühl dafür, was Lokalpatriotismus und Einstehen für die eigene Heimat heißt.

Doch nicht nur dieses auf der Hand liegende Argument spricht für den Scheißverein aus Deiner Region. Es schult den Charakter, wenn man das gleiche Trikot in Sieg wie in Niederlage trägt. Als ich in die 5. oder 6. Klasse ging, gewann Arminia Bielefeld sein Heimspiel gegen Bayern München mit 3-1. Natürlich trug ich am darauffolgenden Montag mein Isaac Boakye-Trikot stolz in der Schule und die in dem Alter zahlreichen Bayern-Fans (die heute übrigens zu einem nicht unerheblichen Teil auf die sich aus Luft und Liebe und Tradition und Kult finanzierende Borussia aus Dortmund umgestiegen sind) mussten schweigen. Dies taten auch alle, bis auf meinen Mathe-Lehrer, der ebenfalls glühender Bayern-Anhänger war. Er sagte: „Nur weil Arminia jetzt einmal gewonnen hat, musst Du nicht gleich dein Trikot anziehen!“. Diesen Satz, der ihn vermutlich nicht zum Pädagogen des Jahres 2005 gemacht hätte, habe ich mir trotzdem irgendwie gemerkt. Er ist, wie die meisten normativen Aussagen von Lehrern, nämlich das exakte Gegenteil von richtig.

Wer immer zu seinem Verein steht, sich bei -4 Grad ein 2-2 gegen den MSV Duisburg angeguckt hat und trotzdem wiederkommt, der hat auch jedes Recht, einen Sieg zu feiern. Genau genommen muss er sich mit den Dortmund, Schalke und Bayern-Fans, die irgendwo im Schrank ein Trikot haben und sich auf ihren silbernen Golf einen Aufkleber des Vereinslogos kleben, gar nicht unterhalten, das ist schlicht nicht das gleiche Niveau.

Ja ich weiß, jeder Dortmund-Fan ist ganz sicher schon länger als seit der Saison 2010/11 dabei und jeder Bayern-Fan hat eine Großtante, die schonmal in München war und es da schön fand und deshalb ist die Bindung derart intensiv, dass sie bis nach Kiel, Dresden oder Duisburg reicht und deshalb von ehrenwerten Gurkenvereinen wie Holstein Kiel, Dynamo Dresden oder dem MSV Duisburg entfremdet und Dich oder Deine Kinder zu langweiligen Dortmund, Bayern oder Schalke-Normies macht, die Wolfsburg und Leverkusen natürlich ganz doof finden, weil sie (aus rational irgendwie nicht nachvollziehbaren Gründen)  Kommerzclubs sind.

Das letzte und vielleicht stärkste Argument, welches Dich dazu bringen sollte, Dein Dortmund-Trikot zu verbrennen, ist die Tatsache, dass nichts Dich und Deine Nachfahren so gut auf das Leben vorbereitet, wie die Anhängerschaft zu einem Scheißverein. Was können Scheidung und plötzlicher Jobverlust Dir anhaben, wenn Du die Transferpolitik des VfL Wolfsburg kennst? Was sind plötzliche Todesfälle in der Familie, schwere Krankheit oder unerwiderte Liebe gegen die Vereinsphilosophie des 1. FC Kaiserslautern? Die psychische Stärke, die einem die Spielweise von Arminia Bielefeld verleiht (den aktuellen Zeitpunkt mal ausgenommen) kann man bei keinem Resilienz-Coaching jemals nachholen. Also lasst Eure Kinder teilhaben an Eurem Elend, schleppt sie in Augsburg, Zwickau oder Krefeld zum FC, zum FSV und zum KFC und wenn es dann noch heißt „Ich will aber ein Dortmund-Trikot, antwortet ihr mit einem pädagogisch elaborierten: „Halt dein Maul!“

Maximilian Kneller

Kneller ist Politikwissenschaftler und Linksextremismusexperte. In seiner Freizeit engagiert er sich sehr zur Freude seiner Frau für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Etwa durch die deutliche statistische Reduktion des „orgasm gap“, der dank Pullover tragender Sörens aus dem AStA immer noch ein veritables gesellschaftliches Problem ist. Neben der Zugehörigkeit zu einer gewissen Oppositionspartei schlägt sein Herz für Arminia Bielefeld; er hat also nicht viel Freude im Leben und deshalb vermutlich so bedenkliche Ansichten.

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