Von Herr Unterberg
Scheinbar gebrochen, reumütig und resigniert sitzt er da, ein einst stolzer Mann, gekleidet in seiner charakteristischen schwarzen Westernklamotte. Seine Gitarre auf dem Schoß. Eine Hand am Gitarrenhals, die andere ruhig eine Melodie auf den Saiten zupfend. Die Melodie erinnert sowohl an Blues, als auch an Countrymusik. Kurz darauf erhebt sich seine Stimme: „I hurt myself today…“
“… to see if I still feel“. Sie klingt kränklich, traurig, erfüllt von Scham, doch ist in ihr noch immer dieses gewisse Etwas zu hören, das ihn zu dem machte, wofür er Jahrzehnte gefeiert wurde. Mit „Hurt“ blickte der damals 70-jährige Johnny Cash auf sein turbulentes Leben zurück und scheint es in gut 3,5 Minuten zusammenzufassen. Veröffentlicht wurde der Song im Jahr 2002 als einer seiner letzten. Was viele nicht wissen: Der Song entsprang damals gar nicht seiner eigenen Feder. Es war ein Cover. Das Original stammte von Trent Reznor, der hierzulande eher unbekannt ist. Doch sei’s drum, wie kein zweiter passt „Hurt“ zu Johnny Cash. Er beschreibt sein Leben nahezu perfekt.
Ein Leben, das mehrfach sowohl von überragenden Glanzstunden als auch von erschreckenden Abgründen geprägt war. John Ray Cash wurde am 26. Februar 1932 in Kingsland, einer kleinen Ortschaft in Arkansas geboren. Er war das vierte von insgesamt sieben Kindern einer mittellosen Farmerfamilie. Bereits mit fünf Jahren arbeitete Cash täglich auf den Baumwollfeldern der Farm, die die Familie 1935 im Zuge des „New Deal“ unter Präsident Franklin D. Roosevelt erwerben konnte. Schon in jungen Jahren soll er Gedichte selbst geschrieben und diese seinen Geschwistern während der Feldarbeit vorgetragen haben, was die harte Feldarbeit vermutlich deutlich erträglicher gestaltete.
Trotz schwieriger finanzieller Umstände scheint Cash laut eigener Aussage dennoch eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Schwer vorstellbar für heutige Kinder, ohne Internet oder sonstigen elektrischen Firlefanz. Doch so war das damals. Und oft denke ich, dass es heute auch besser wäre ohne diesen ganzen elektrischen Kram. Doch ich schweife ab…
Als einziges Unterhaltungsmedium stand Cash das Radio zur Verfügung, wovon er auch regelmäßig Gebrauch machte, um seine größten Idole zu verfolgen: Musiker aus der Country- und Bluesszene, die meistens von ihrem beschwerten Leben auf den Baumwollfeldern und ihrem Traum von einem anderen Leben sangen. Man erkennt sofort: Eine künstlerisch-musikalische Ader wurde ihm bereits in die Wiege gelegt, die durch seine Idole noch verstärkt wurde. Auch in der Familie erfuhr er Unterstützung für sein Hobby.
Unter seinen sechs Geschwistern blickte er am meisten zu seinem zwei Jahre älteren Bruder Jack auf. In ihm fand Cash seinen ersten besten Freund. Doch leider sollte dieses Glück nicht lange währen. Am 12. Mai 1944, als Johnny 12 Jahre alt war, erlitt sein Bruder einen schweren Unfall. Cash erinnerte sich Jahrzehnte später in seiner Autobiographie daran: „Es war schon merkwürdig. Es war, als ob ich gewusst hätte, dass irgendetwas nicht stimmte, doch ich konnte nicht sagen, was es war.“ Später erfuhr er, was nicht stimmte: Sein Bruder, der neben der Farmarbeit einen weiteren Job in der Holzverarbeitungsindustrie ausübte, um die Familie finanziell zu unterstützen, stürzte auf eine Kreissäge und wurde in Hüfthöhe regelrecht zersägt. Wenige Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen.
Ein riesen Schock für die gesamte Familie, insbesondere für den kleinen Johnny. „Nach Jacks Tod fühlte ich mich, als wäre ich selbst gestorben“, erinnerte er sich weiter. Er stürzte buchstäblich in ein emotionales Loch. Die tiefe Trauer über den Tod seines Bruder sollte bis zuletzt in den ohnehin wehklagenden Rhythmen seiner Country- und Bluesmusik zu hören sein. Wahrscheinlich war es auch ein weiterer Antrieb Musik zu machen. Monate und Jahre vergingen, Baumwollfeld um Baumwollfeld wurde geerntet, als Johnny schließlich 1950, mitten im Kalten Krieg, sein 18. Lebensjahr erreichte. Da er in seiner Heimat keine berufliche Zukunft vor Augen hatte, meldete er sich bei der US Air Force freiwillig.
Um den Funk der Sowjets abzufangen wurde er im Fliegerhorst Landsberg/Lech stationiert. Da so ein Leben als Soldat, im Kalten Krieg aber keine 24/7 Gefechtsbereitschaft bedeutete, suchte er sich eine Nebenbeschäftigung, die er nach seinem Dienst betreiben konnte. Und so vertrieb er sich seine Zeit, wer hätte es gedacht, mit Musik. Er gründete seine erste Band, die den Namen „The Landsberg Barbarians“ tragen sollte, eine Anspielung auf die Truppenzeitung „The Landsberg Bavarians“. Von da an trat er regelmäßig zu Wohltätigkeitszwecken o.ä. auf. Im strengen Sinne kann sein Dienst am Vaterland auch gleichzeitig als eigentlicher Karrierebeginn gelten. Cash beendete 1954 seine Militärzeit als Staff Seargent. Es zog ihn zurück in die USA, genauer gesagt nach Memphis/Tennessee.
Kurze Zeit später heiratete er Vivian Liberto, die er bereits 1951 während eines Heimaturlaubs kennengelernt hatte. Aus ihrer Ehe stammten vier seiner Töchter. Zeitgleich ging es mit seiner Karriere steil bergauf: Ein Jahr später veröffentlichte er bereits seine erste Single, die aus dem Sprung Platz 14 der US Country Charts erreichte, noch dazu durfte er als Vorprogramm von Elvis Presley auftreten. Es folgten weitere Veröffentlichungen und weitere hochgradige Erfolge.
Dieser neue, turbulente Lebensabschnitt ging jedoch nicht spurlos an ihm vorbei. Zur Bewältigung der steigenden Belastung begann Cash Amphetamintabletten einzunehmen. Erst eine am Tag, dann zwei, irgendwann unkontrollierbare Mengen. Die Tablettensucht nahm Einzug in sein Leben und zerstörte neben seiner Karriere zunehmend auch seine Ehe. Als sich seine Frau 1965 aufgrund seiner Sucht, des übermäßigem Drucks und vermutlich auch aufgrund seiner Liebschaft mit der Sängerin June Carter, die Cash auf einer seiner Tourneen kennengelernt hatte, von ihm scheiden ließ, kam es dann zum zweiten Tiefpunkt in seinem Leben. Weil er die Scheidung nicht verkraftete, folgten Gewaltausbrüche auf der Bühne und daraufhin Konzertabsagen. Alles was Cash besaß und was ihn ausgemacht hatte, verlor er innerhalb kürzester Zeit. Genauso schnell wie er zum Star aufgestiegen war,stürzte er auch wieder in die Tiefe.
Doch es sollte nicht lange dauern, bis Cash mit der Hilfe June Carters, die ein paar Jahre später seine Ehefrau wurde, seine Sucht überwand und es zurück auf die Bühne schaffte. Bereits zwei Jahre nach seinem Absturz gab er sein erstes Konzert im nüchternen Zustand. Und weiter ging es mit dem Tourneeleben. Es folgten weitere Erfolge, wie der legendäre Auftritt im Folsom Prison, seine eigene Fernsehshow oder die Aufnahme in die Hall of Fame der Countrysänger. Doch erneut sollte das Glück nicht lange währen. Nach einer schweren Augenoperation 1981 holten ihn seine alten Dämonen wieder ein. Infolge der Einnahme von Schmerzmitteln entwickelte er abermals eine schwere Tabletten- und Alkoholsucht. Wieder stürzte Cash im freien Fall in den Abgrund.
Erneut waren es die engsten Menschen um ihn herum, die ihn durch diese schwere Zeit führten. 1983 überredeten ihn seine Frau June und seine Kinder, die Sucht in einer Klinik behandeln zu lassen. Gesagt, getan. Nach erfolgreicher Therapie sollte sich Cash ein weiteres Mal aufbäumen und gab seinem Leben und der Karriere eine weitere Chance. Er hatte nun endlich den Sprung weg von den Drogen geschafft. An dieser Stelle könnte erneut der Song „Hurt“ einhaken. „What have I become?“, fragt er in einer Zeile des Refrains.
Nun was hat sein Leben rückblickend aus ihm gemacht? Lassen Sie uns diese Frage gemeinsam beantworten. Zwar war dieser Einblick in sein Leben nur ein kleiner Ausschnitt – es gäbe noch hunderte Zeilen, die man über sein bewegtes Leben verfassen könnte – doch die Quintessenz wird daraus bereits deutlich. Man kann ihn folgendermaßen beschreiben: Er war ein einf
acher Mann, der sein Leben zunächst durch harte Arbeit bestreiten und schon sehr früh Bekanntschaft mit tiefer Trauer machen musste. Er schaffte den Sprung in ein besseres Leben, verkraftete aber den schlagartigen Erfolg nicht, stürzte in die Versenkung, schaffte es aber wieder heraus und schlug sich abermals zurück an die Spitze. Dasselbe passierte einige Jahre später und erneut kämpfte er sich zurück. Viele Male war Johnny Cash dem Tod von der Schippe gesprungen.
Selbstverständlich ist der übermäßige Drogenmissbrauch aufs schärfste zu verurteilen. Bemerkenswert ist jedoch welche große Willenskraft Johnny Cash hatte. Während Künstler wie Elvis Presley, Jim Morrison oder als jüngeres Beispiel Amy Winehouse an den Folgen ihrer Drogeneskapaden zugrunde gingen, ließ sich Johnny Cash sich zu keiner Zeit von seinem persönlichen Schicksal, noch von irgendwelchen Drogengeschichten unterkriegen. Zwar stürzte er mehrfach buchstäblichin den Dreck, so dass er bis zum Hals darin steckte, doch bis zuletzt funktionierte und lebte er für seine Musik und seine Frau June. Er war eine wahrliche Kämpfernatur.
Was können wir nun aus seiner Lebensgeschichte lernen? Ich denke eine ganze Menge. Als erstes sehen wir, was es bewirkt, wenn ein Mensch an etwas glaubt. Seien es Ideale, Wertvorstellungen, irgendwelche banalen Dinge oder sogar Gott, ganz egal. Bei Johnny Cash war es die Liebe zu seiner Frau und der Musik sowie sein unerschütterlicher christlicher Glaube, der ihm Kraft verlieh. Und er tat daran Recht. Es ist etwas urtümliches, das uns Menschen von Anbeginn unserer Zeit begleitet und das uns zudem macht, was wir sind. Auch die Geschichte hat uns oft gelehrt, dass der Glaube Berge versetzen kann. Besonders in dieser mythen- und heldenlosen Zeit, wie wir sie gerade erleben, ist es wichtig an etwas zu glauben. Es ist selbstverständlich, dass sich daraus auch Fehler ergeben können. Das ist völlig in Ordnung. Blicken wir auf Cashs Leben, sehen wir, dass man diese durchaus begehen darf. Das Wichtigste dabei ist allerdings, dass man die Verantwortung dafür übernimmt und sich konsequent darum kümmert.
Die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen und Rückgrat zu zeigen wird in der heutigen Gesellschaft ebenfalls immer seltener. Vielleicht liegt es daran, dass Männer heutzutage nicht mehr männlich sein dürfen und Frauen in hohen Positionen vor allem auf ihre Karriere und Macht aus sind. Beispiele dafür finden wir zuhauf. Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben. Blicken wir nur auf IM Erika und ihre Lakaien…
Johnny Cashs Leben kann uns heute ein Beispiel dafür sein, dass es sich lohnt für seinen Glauben und seine Werte einzustehen. Besonders in dieser vom linken Mainstream dominierten Zeit ist es wichtig sich davon abzuheben und sich gegen die systematische Abschaffung von altbewährten Werten und Normen zu wehren, indem wir sie aktiv vorleben. Also liebe Leser, lasst uns von Johnny Cashs Lebenseinstellung lernen. Sie kann uns zwar keine Unsterblichkeit, dafür jedoch eine gewisse Unverwundbarkeit verleihen. Denn wie sagt man so schön? Totgesagte leben länger!