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Die Akte Lehmann

7. Mai 2021
in 5 min lesen

Jens Lehmann ist eine lebende Legende. Nicht zuletzt seine Paraden besorgten der deutschen Elf bei unserer Heim-WM 2006 einen respektablen 3. Platz. Recht genau erinnere ich mich an das Viertelfinale gegen Argentinien, in dem er sensationell hielt.

Nur ein paar Wochen zuvor berief der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann ihn zur Nummer 1 im deutschen Tor. Dies kam für Viele überraschend. Lange galt der seinerzeitige Bayern-Torwart Oliver Kahn als gesetzt. Auch ich fand damals wie heute den leidenschaftlicheren Kahn deutlich sympathischer. Lehmann wirkte immer irgendwie abwesend, gleichgültig, kühl und nichtssagend.

Der hat Quotenschwarzer gesagt!

Das hat sich bis heute nicht so richtig geändert, wobei man die letzten Jahre vermutlich weniger über Lehmann nachgedacht hat. Wie viele Ex-Fußballer machte er jahrelang irgendetwas im karitativen Bereich und war seit einiger Zeit im Hertha-Aufsichtsrat, wovon auch nur Wenige Notiz genommen hatten. Diese Woche sprach aber plötzlich die gesamte brückentagsdeutsche, wechselwählende Moralprovinzler-Öffentlichkeit über ihn. Was war geschehen?

Jens Lehmann hatte am Abend zuvor eine Nachricht an Ex-Nationalspieler und TV-Experte Dennis Aogo geschickt die wie folgt lautete: „Ist Dennis eigentlich euer qotenschwarzer :D?“ – Diese offensichtlich nicht für Aogo gedachte Nachricht ist aus dem Zusammenhang gerissen und macht für sich genommen wenig Sinn.

Aogo hat aber nicht etwa um Klarstellung gebeten, einen abfälligen Spruch gemacht oder das Ganze mit Humor genommen (wie es laut Smiley ja auch augenscheinlich gemeint war). Er hat es direkt in seine Story bei Instagram hochgeladen in dem Wissen, dass er sich damit zum Rassismus-Opfer stilisieren kann. Bei dem nun anstehenden Gang nach Canossa entschuldigte sich Lehmann nicht nur öffentlich, er gab zu Protokoll, dass der Zusammenhang eigentlich sogar ein positiver gewesen sein soll.

Angeblich ging es in dem Gespräch um die gute Zuschauerquote und um die hohe Fachkompetenz von Aogo. Das mag so gewesen sein. Lehmann hat in einer Privatnachricht ein harmloses, politisch inkorrektes Wortspiel gemacht. Deshalb kann man ihn natürlich für ein Arschloch halten.

Unsere Vorzeigedullis

Bevor man allerdings groß von „Werten“ und von „strukturellem Rassismus“ der beim FC Arschloch, beim Arschloch e.V. oder in der Arschloch-Stiftung „keinen Platz hat“ schwadroniert, sollte man sich lieber überlegen, ob jede einzelne Nachricht, die man jemals privat versendete, dem Urteil des Volksgerichtshofs Aogo und seinen 88.500 Follower stand halten würde.

Hertha BSC ist, was den linksgrünen „Unser Ball ist bunt!“-Zeitgeist angeht, sehr weit vorne mit dabei – ganz im Gegensatz zur Bundesliga-Tabelle. Gerne importiert man auch das amerikanische Knien vor einem Spiel und zeigt so „Haltung“ bei einem gesellschaftlichen Konflikt, den es weder in Berlin noch in Deutschland in der ursprünglich mit der Geste adressierten Form gibt. Das ist den provinziellen Pseudokosmopoliten aber natürlich völlig egal.

Hauptsache irgendwie gegen den allgegenwärtigen Rassismus ein bisschen Gratismut verdienen können. Deshalb war auch klar, wie das Urteil für Lehmanns dümmliche WhatsApp-Nachricht lautet: Raus aus dem Hertha-Aufsichtsrat! Auch sein soziales Engagement für die Laureus-Stiftung ruht bis auf Weiteres. Lehmann entschuldigte sich öffentlich wie oben angesprochen und zweimal telefonisch bei Dennis Aogo persönlich, der ganz jovial meinte, er kaufe Lehmann die Reue ab.

Er sah also nach der von ihm initiierten, vorläufigen Existenzvernichtung, einem Tag Twitter-Schandkette und online-Pranger der Medien keinen Grund, ihn zur öffentlichen Selbstgeißelung auf einem Marktplatz zu zwingen. Wie großzügig.

Ist Aogo jetzt Quotenschwarzer oder ist er es nicht?

Fakt ist, Aogo wusste genau, was er tat. Die Reaktion des hysterischen Mobs war vorher klar. Auf solche Sachverhalte ist man in Deutschland dank großer Anti-Rassismus-Industrie bestens geschult. Dafür reicht auch eine dümmliche, spätabendliche WhatsApp auf Herrenwitz-Niveau und man ist für immer als übler Rassist gebrandmarkt.

Das Establishment braucht solche Fälle zur zirkulären Selbstbewahrheitung. Nun hat man wieder eine Grundlage 8 Netflix-Dokus mit ausschließlich schwarzen Darstellern, 24 Anti-Rassismus-Programme und 47347389473 „XY ist bunt und weltoffen“-Distanzierungen geschaffen. Alles natürlich, um „awareness“ herzustellen. Jens Lehmann wird für immer mit Entschuldigungen und Beteuerungen versuchen, wieder hinter diese Welle zu kommen.

Ein Teil wird aber an ihm haften bleiben. In ein oder zwei Jahren darf er dann eventuell wieder mitspielen, indem er sich in diesem Theater der Heucheleien zum geläuterten Buntheits-Paulus machen lässt, der den schwersten Fehler seines Lebens machte und nun aber verstanden hat, wie privilegiert er doch ist.

Ein Ritterkreuz am Regenbogenband für den Heisinger SV

Es bleibt zu erwähnen, dass der Heisinger SV Jens Lehmann aufgrund der Vorfälle Hausverbot gab. Nein, das ist keine Satire und auch, wenn es so klingt, ist der Vereinsname nicht ausgedacht. Von 1975 bis 1978 spielte Lehmann dort. Der Heisinger Sportchef Peter Küpperfahrenberg (auch dieser Name nicht vom Autor ausgedacht) äußerte sich in seinem unendlichen, ritterlichen Mut wie folgt:

„Und nur für den Fall, dass Jens Lehmann das hier wider Erwarten lesen sollte: Auch wenn Du Dich in den letzten 40 Jahren keine dreimal hast sehen lassen und Dir das wahrscheinlich völlig egal ist: Du hast Hausverbot!“

Das war der letzte Beweis, den es benötigt hatte: Keine drei Mal in vierzig Jahren ließ sich Lehmann beim Heisinger SV blicken! War doch klar, dass so jemand ein rassistisches Charakterschwein sein muss! Niemand versteht, wie Jens Lehmann für den Essener Bezirksligisten keine Dauerkarte haben kann. Aogo hat diese für seinen Jugendverein, den Bulacher SC, doch sicher ganz bestimmt, kennt jeden Fan mit Vornamen und gibt bei Heimspielen allen Zuschauern rundenweise Bier aus. Große Treue zum Jugendverein und nullkommanull Söldnermentalität, dafür sind alle Fußballprofis außer Jens Lehmann bekannt.

Und ein Lolli für Kartsen Baumann

Das stellt auch der folgende, große Sportsmann klar: Ex-Mitspieler Karsten Baumann antwortete auf Lehmanns Canossagang bei Twitter mit den Worten:

„Du warst schon damals ein Vollidiot.“

Dass er hier den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt, ist völlig egal. Da er anscheinend schon immer ein Problem mit Lehmann hatte, tritt er nun auch nochmal kräftig rein und sichert sich mit diesem Gratismut auch noch viel mediale Aufmerksamkeit.

Viel Aufmerksamkeit erhält nun auch Dennis Aogo. Als er jüngst das Spiel zwischen Paris St. Germain und Manchester City analysieren sollte, sagte er über die Engländer:

„Es ist einfach unglaublich schwer, sie zu verteidigen. Weil, davon gehe ich aus, sie das trainieren bis zum Vergasen“.

Nun wird also auch der hohe political-correctness-Maßstab an den feinen Herrn Aogo angelegt, der sich sogleich entschuldigte. Bisher wurde ihm allerdings nur ma
ngelnde Sensibilität vorgeworfen, niemand hat bisher die eindeutige Verharmlosung des Holocausts angesprochen.

Vielleicht sollte man bei seinem Jugendverein und sämtlichen ehemaligen Mitspielern nachfragen. Sicher findet man Jemanden, der bestätigt, dass Aogo „schon damals“ ein „Vollidiot“ war. Sein Jugendverein, der Bulacher SC, sollte ihm vielleicht auch besser die Dauerkarte entziehen und ihm das Geld für die vielen Biere rücküberweisen mit der Begründung, dass Bulach bunt, weltoffen und tolerant ist und dort „kein Platz für Holocaustverharmloser*innen“ ist.

Ach, er hatte gar keine Dauerkarte und war in den letzten 40 Jahren nur drei mal da? War ja klar. Dieses Spiel kann man sicher ewig weiterspielen, bis irgendwann niemand mehr überhaupt noch irgendetwas sagt, weil alles irgendwie unsensibel, mikroaggressiv oder gegen die Menschenwürde gerichtet ist.

Ich bleibe bei dem eingangs Gesagten. Ich konnte noch nie besonders viel mit Jens Lehmann anfangen und es mag sogar sein, dass er ein Idiot, ein Arschloch oder ein Charakterschwein ist, dass er auf seinen Jugendverein pfeift und ab und zu dämliche Sprüche mit Freunden bei WhatsApp macht. Wenn ich aber zwischen ihm, Dennis Aogo, Karsten Baumann, Peter Küpperfahrenberg und dem aus der Anonymität heraus lynchenden Twitter-Mob der Hypermoralisten wählen müsste, würde ich mich für den entscheiden, der sich in dieser ganzen Affäre am wenigsten als Arschloch erwiesen hat.

Maximilian Kneller

Kneller ist Politikwissenschaftler und Linksextremismusexperte. In seiner Freizeit engagiert er sich sehr zur Freude seiner Frau für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Etwa durch die deutliche statistische Reduktion des „orgasm gap“, der dank Pullover tragender Sörens aus dem AStA immer noch ein veritables gesellschaftliches Problem ist. Neben der Zugehörigkeit zu einer gewissen Oppositionspartei schlägt sein Herz für Arminia Bielefeld; er hat also nicht viel Freude im Leben und deshalb vermutlich so bedenkliche Ansichten.

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