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Nahost – Na und?

4. Oktober 2024
in 3 min lesen

Vielleicht, lieber Leser, kennen Sie diese Art von Artikel, die sich eingangs an der Duden-Definition eines bestimmten Wortes aufhängt, das in der Regel keiner Erklärung bedarf. Man tut dem Autor in den meisten Fällen nicht unrecht, wenn man ihn deswegen für eine gewisse Einfallslosigkeit schilt. In diesem Sinne gestehe ich, dass das Thema meiner heutigen Kolumne auch so etwas wie einen einfallslosen Aufhänger hat, nämlich: Interesse. Der Netz-Duden bietet für das Substantiv drei lakonische Bedeutungen an: 1. geistige Anteilnahme, Aufmerksamkeit; 2. Neigung, Vorliebe; 3. Nutzen, Vorteil.

Unserem Ruf als reaktionärstes Meinungsmagazin der späten Bundesrepublik werden wir natürlich nicht gerecht, wenn wir dieser lieblosen, modernen Duden-Definition nicht eine ausführliche Erörterung aus Meyers Konversations-Lexikon von 1890 gegenüberstellen. Unsere Ururgroßväter hätten also auf die Frage hin, was „Interesse“ eigentlich bedeutet, Folgendes nachlesen können:

Interesse (lat.), der Anteil, welchen man an etwas nimmt; der Wert und die Bedeutung, welche einer Sache beigelegt werden, oder die sie für uns hat. Man nimmt I., man ‚interessiert‘ sich für eine Person, eine Sache, eine Handlung, welche uns nicht gleichgültig sind, und das I. ist je nach dem Grade des Anteils, welchen wir an dem fraglichen Gegenstand nehmen, ein mehr oder minder großes oder hervorragendes. Je nach dem Bildungsgrad des einzelnen, nach seiner individuellen Anschauungsweise und Veranlagung ist der Interessenkreis der Menschen ein verschiedener. (…)“

Ich belasse es mal bei diesem Ausschnitt, Sie merken so langsam, worauf ich hinauswill. Jeder von uns hat Interessen. Manche sind populär, und sie können sehr nützlich sein, um zum Beispiel so etwas wie lockeren Smalltalk zu führen. Andere hingegen sind exotisch, helfen dafür aber, den lockeren Smalltalk schnell zu beenden. Ich für meinen Teil bin froh, über beides zu verfügen. Ich lasse mich leicht begeistern. Aber auch ich verfüge über so etwas wie Desinteresse. Mein allgemeines Interesse übersteigt zwar mein Desinteresse, dafür ist Letzteres schärfer umrissen. Mich interessiert zum Beispiel nicht, welche Bedeutung die Tattoos von „Einfach mal chilln“-Elisa haben. Auch lässt mich die Aufzählung anstehender Festival-Besuche von Metalhead-Marvin kalt. Es interessiert mich nicht. Und nicht nur das: Ich vernehme beim Lauschen solcher Erzählungen zwar Geräusche, aber keine Botschaft. Es geht hier rein und da raus.

Tattoos, Konzerte – was sonst? Ach ja, die Haltung so ziemlich jeder Person zum Nahost-Konflikt. Die interessiert mich noch weniger als der eigentliche Konflikt selbst. Warum? Weil die geografisch verortete Levante weit weg ist und ihre am wenigsten ersprießlichen Botschafter in deutschen Gefilden genug Probleme abseits des Nahost-Konflikts produzieren – mir reicht das vollkommen. Ich muss in meiner Freizeit nicht noch die Daumen für Team Baklava oder Team Matze drücken – denn genau das ist ja letztendlich die Art, wie Kriege heute fernab der eigentlichen Front aufgenommen werden. Es sind (zumindest in erster Linie) keine historischen Umwälzungen mehr, denen man als Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer beiwohnt, es sind Sportveranstaltungen oder besser noch: Gaming-Shows. Bist du für Team Grün oder Team Blau? Hasst du Palästinenser oder Zionisten? Erschüttern dich die Toten der einen Seite mehr oder der anderen Seite?

Der geneigte Leser weiß, dass ich mich mit dem Ukraine-Krieg zumindest sporadisch beschäftige. Ich verfolge ihn mal mehr, mal weniger intensiv. Warum? Weil er mittelbar auch das Schicksal meiner Heimat, meines Landes, „meines Teams“ beeinflusst. Wenn unsere Energieversorgung auf dem Spiel steht, wenn unsere Armee auf Kosten einer anderen abgerüstet wird, aber „wir“ wegen dieses Krieges wieder „kriegstauglich“ werden müssen, dann geht mich das als Deutschen etwas an. Und dafür muss ich weder für die Ukraine noch für Russland LARPen. Ich sehe das Leid, das über jene hereinbricht, die von diesem Krieg verschlungen werden. Aber ich entkleide mich nicht emotional für ein Land, das nicht meines ist. Meine Mannschaft steht am Rand und guckt zu. Das ist vielleicht noch das Beste, was man im Moment über Deutschland sagen kann.

Aber der Nahost-Konflikt? Ich kann verstehen, warum sich dumme deutsche Linke auf die Seiten der Palästinenser, Libanesen oder Iraner schlagen, und ich kann verstehen, warum dumme deutsche Liberal-Konservative den Israelis oder Amerikanern die Daumen drücken. Sie tun das, weil man ihnen ihre eigentliche Identität genommen hat. Weil sie fest davon überzeugt sind, nicht ihr Land, nämlich Deutschland, anfeuern zu dürfen, solidarisieren sie sich mit dem arabischen Mob…

https://twitter.com/Delhiite_/status/1721598844331495773

… oder freuen sich diebisch über den akribisch ausgeführten Anschlag des Mossads.

Ja, der ewige Krieg in der Levante wird jetzt – Masseneinwanderung sei Dank – auch zunehmend auf deutschen Straßen ausgetragen. Es ist schon ein absurdes Schauspiel: Die alternde Elite in Medien, Kultur und Politik hält zu Israel, weil „wir als Deutsche das so machen müssen“. Ihre Zöglinge wollen Palästina befreien, weil sie die vergiftete Schulderzählung ihrer Eltern aufgesogen haben. Die Bilder, die beide Seiten produzieren, sind an „Knirschigkeit“ kaum zu überbieten: Ob mager besuchte Soli-Demos der einen Seite…

… oder die Phänotypen der anderen Seite.

All das macht unterm Strich nur Krach, schlechte Laune, und beansprucht ein Ausmaß von Aufmerksamkeit, das gerade in Deutschland mal besser auf andere Probleme gelenkt werden würde. „Darf es mich nicht interessieren?“, will ich also einen bekannten deutschen YouTuber paraphrasieren. Mit oder ohne Meyers Konversations-Lexikon kann ich mir die Frage selbst beantworten. Ja.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

2 Comments

  1. @Enzo Die neuen Menschen bekommen wir so oder so geschenkt, ob in Nahost nun Krieg herrscht oder nicht. Mir ist es im Endeffekt egal was dort passiert, der Gaza streifen würde aber trotzdem einen guten Parkplatz abgeben

  2. Was mich betrifft, ich hab kein Bock auf eine Million neue ,,Mitbürger“ aus der Levante und wenn dort so weiter gemacht wird, ist eine Million untertrieben.

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