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Wer hat Angst vorm (toten) Gelben Mann?

20. September 2021
in 2 min lesen

Vor circa einem Monat, einen Tag vor Beginn des Geistermonats in Taiwan, bin ich mit meinen zwei aus Europa wieder in ihre asiatische Heimat zurückgekehrten Katzen in unsere neue Wohnung in Taipei gezogen.

Damit waren die sechs anstrengenden Wochen, die ich nach Ende meiner zweiwöchigen Quarantäne in die Wohnungssuche in der Hauptstadt und den Vororten investiert hatte, endlich glücklich überstanden.

Ausgetauschte Bodenfliesen

Aufgefallen war mir das Inserat ungefähr ein paar Tage vorher auf einer chinesischsprachigen Webseite, die sowohl Vermieter als auch Makler zur Vermietung oder zum Verkauf nutzen. Die Anzeige stach mir besonders in Auge, weil schon in der Überschrift zwar blumig, aber doch bestimmt darauf hingewiesen wurde, dass in der Behausung jemand eines unnatürlichen Todes gestorben war.

Es sollte sich später herausstellen, dass sich vor vier Jahren der Bruder des Besitzers dort das Leben genommen hatte. Warum ein Teil der Bodenfliesen ausgetauscht wurde, möchte man lieber nicht wissen…

Gleichzeitig wurde darum gebeten, von einer Besichtigung abzusehen, falls einen das stören sollte, sprich falls man Angst vor dem Geist des Verstorbenen hatte. Chinesen sind zwar sehr abergläubisch, aber gleichzeitig auch verdammt pragmatisch. Warum seine Zeit in einer Umgebung vertrödeln, die einem nicht geheuer ist? Zeit ist in Asien schließlich Geld!

Obwohl der Mietpreis in Ordnung angemessen schien, man Haustiere halten konnte und die Wohnung von der Lage und Größe her durchaus ansprechend wirkte, fanden sich an einem Samstagmittag nur insgesamt sechs unerschrockene Personen in besagter Wohnung ein. Drei einheimische junge Mädchen, die wohl nicht (mehr) an Gespenter glaubten, eine aus Kanada zurückgekehrte und damit oberflächlich verwestlichte Taiwanesin, meine Wenigkeit und die zum Protestantismus übergetretene Maklerin, die den Geisterglauben hinter sich gelassen hatte.

Modernität und Traditionalismus sind kein Widerspruch

Diese sehr sympathische Dame erklärte mir, dass ihre Firma gesetzlich dazu verpflichtet sei, (Selbst)Morde auf alle Fälle zu erwähnen, auch wenn diese schon sehr lange zurücklägen. Sonst könnte man ihnen sogar die Geschäftslizenz entziehen. Sie hätte man vorgeschickt, da ihre buddhistischen Kollegen es zunächst abgelehnt hätten, einen Ort zu betreten, an dem eventuell noch eine rastlose Seele umherspukt.

Als zwei von denen dann ein paar Tage später in Gegenwart eines Klempners doch aufkreuzten, um mir die Schlüssel zu übergeben, war ich sehr überrascht. Die Antwort auf meine Nachfrage war recht verblüffend: zu dritt fürchte man sich weniger vor dem Übernatürlichen. Ob vermutlich gegen das Böse im Ernstfall auch eine Rohrzange hilft?

Taiwan ist in vielerlei Hinsicht ein hochmodernes Land, aber gleichzeitig immer noch fest in alten Traditionen verwurzelt. Das macht einen Teil des Reizes aus, den diese Insel ausstrahlt. In den letzten vier Wochen konnte man ganze mit Weihrauchstäbchen bewaffnete Belegschaften bewundern, die sich auf dem Bürgersteig vor reich mit unterschiedlichsten Speisen versehenen Tischen verneigten.

Während im neoheidnischen Westeuropa die christlichen Kirchen teilweise schon den muslimischen Invasoren überlassen werden, sind die buddhistischen und taoistischen Tempel im ehemaligen Formosa das ganze Jahr über sehr gut besucht. Wenn es um Geisterbeschwichtigung geht, herrscht noch mehr Gedränge. Man weiß ja nie, ob ansonsten nicht einer von ihnen demnächst im Wohn- oder Schlafzimmer auftaucht!

Gastautor

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