Deutschland braucht ein Reshoring-Programm

1. Juni 2025
in 3 min lesen

Deutschland verliert sein industrielles Rückgrat. Seit 2019 gingen über 360.000 Industriearbeitsplätze verloren. Ganze Produktionszweige werden zunehmend ins Ausland verlagert – vor allem in die USA.

2024 verschwanden fast 200.000 Unternehmen – der höchste Wert seit über einem Jahrzehnt. Laut einer IHK-Umfrage plant jedes vierte Unternehmen und jeder zweite Großkonzern eine Verlagerung der Produktion ins Ausland. Hauptgründe sind hohe Energiepreise, Steuerlast und Bürokratie. Bereits jetzt investieren mehr als ein Drittel der Firmen im Ausland, um Kosten zu sparen. Über 680 Milliarden Euro Kapital haben deutsche Unternehmen seit 2019 im Ausland angelegt – ein erheblicher Teil davon in den USA, welche für immer mehr Unternehmen zur attraktiven Alternative werden – ein deutliches Warnsignal für die deutsche Wirtschaftspolitik.

Ein aufschlussreiches Beispiel: Der Solarmodulhersteller Meyer Burger schließt sein Werk im sächsischen Freiberg und verlagert die Produktion samt 500 Arbeitsplätzen in die USA – aufgrund besserer Rahmenbedingungen. Derartige Fälle mehren sich – auch bei Traditionsunternehmen wie Mercedes und Wacker Chemie.

Vier Hebel, um Deutschland wieder attraktiv zu machen

Ein grundlegender Politikwechsel ist überfällig. Sollte die AfD in Regierungsverantwortung kommen, muss der erste Schritt eine allgemeine Verbesserung der Standortattraktivität  Deutschlands sein – noch vor jeder speziellen Maßnahme. Dafür sind aus ökonomischer Sicht vier Hebel entscheidend:

  1. Drastische Senkung der Steuer- und Abgabenlast: Mit einem der weltweit höchsten Steuerniveaus verliert Deutschland Jahr für Jahr Investitionen. Unternehmen brauchen Luft zum Atmen – steuerlich wie regulatorisch.
  2. Rückkehr zu günstiger Energie: Ein Industriestandort braucht verlässlichen und bezahlbaren Strom. Das geht nicht mit ideologischer Energiewende, sondern nur mit technologieoffener Versorgung – einschließlich Kernenergie, Kohle und Erdgas aus Russland.
  3. Abbau wachsender Bürokratielasten: ESG-Vorgaben, Klimaberichte, Lieferkettengesetze – all das ist kein wohlmeinender Idealismus, sondern ideologischer Unsinn. Es ändert nichts am Wetter, belastet aber massiv unsere Unternehmen. Damit muss Schluss sein – wir brauchen eine schlanke, leistungsfähige Verwaltung statt planwirtschaftlicher Gängelung.
  4. Fachkräftesicherung durch Eigenleistung: Seit Angela Merkels Amtsantritt haben über eine Million qualifizierte Deutsche das Land verlassen. Es wäre ein großer Fehler, dies hinzunehmen. Ein strategisches Rückholprogramm für diese Fachkräfte gehört ebenso auf die Agenda wie die Stärkung der dualen Ausbildung und die Förderung inländischer Qualifizierung.

Zusätzlich, nicht stattdessen: Eine gezielte Reshoring-Strategie

Neben dieser generellen Standortoffensive spricht aus meiner Sicht viel dafür, ergänzend ein gezieltes Anreizprogramm zur Rückverlagerung bereits abgewanderter Industrieproduktion zu entwickeln – ein deutscher „Reshoring Act“, wenn man so will. Damit ließe sich die verlorene industrielle Substanz nicht nur bremsen, sondern in Teilen auch zurückholen.

Die USA machen es vor: Seit 2010 wurden dort durch eine Kombination aus Standortpolitik und gezielten Anreizen fast zwei Millionen Arbeitsplätze durch Reshoring und ausländische Direktinvestitionen geschaffen, allein 343.304 im Jahr 2022. Möglich gemacht haben das Programme wie der Inflation Reduction Act, der CHIPS Act oder strategische Steuererleichterungen für bestimmte Branchen.

Natürlich sind diese Maßnahmen nicht per se liberal – sie sind wirtschaftspolitisch gezielt. Doch sie sind wirksam. Und wir wären schlecht beraten, daraus nicht zu lernen. Oder wie Deng Xiaoping es einst sagte: „Egal ob die Katze schwarz oder weiß ist – Hauptsache, sie fängt Mäuse.“

Ordnungspolitik mit Realitätssinn

Als ordoliberaler Ökonom stehe ich grundsätzlich für freie Märkte, Eigenverantwortung und zurückhaltende Staatlichkeit. Aber Wirtschaftspolitik darf nicht dogmatisch sein. Wenn die Realität zeigt, dass gewisse staatliche Anreizmechanismen – etwa für die Industrieproduktion – funktionieren, dann darf man sich dieser Einsicht nicht verschließen. Es wäre schlicht unklug, mit ideologischen Scheuklappen an dieser Herausforderung vorbei zu debattieren.

Ein deutsches Reshoring-Programm könnte daher u.a. folgende Elemente enthalten:

  • Förderung von Rückverlagerungsprojekten mit Investitionsprämien, steuerlichen Anreizen oder günstigen Krediten über KfW und Landesbanken.
  • Sonderwirtschaftszonen mit vereinfachtem Baurecht, beschleunigten Genehmigungen und temporären Bürokratieerleichterungen.
  • Vergaberegeln, die europäische Produktion fördern – etwa im Sinne eines „Made in EU“-Kriteriums bei Fördermitteln oder öffentlichen Aufträgen.
  • Technologieförderung für Rückverlagerung, etwa für Cobotik und 3D-Druck im Maschinenbau, Elektrotechnik, Halbleiter oder chemischen Grundstoffen.

Europäisch denken, souverän handeln

Dabei ist auch eine europäische Dimension mitzudenken. Eine rein nationale Regelung – etwa nach dem Vorbild der US-amerikanischen „Buy American“-Regel – wäre angesichts des europäischen Binnenmarkts problematisch. Besser wäre es, EU-weit gültige „Made-in-EU“-Contentregeln bei Auftragsvergabe und Förderung einzuführen. Das wäre vereinbar mit europäischem Recht und zugleich industriepolitisch sinnvoll.

Fazit: Was zählt, ist was funktioniert

Die industrielle Basis Deutschlands erodiert – leise, aber kontinuierlich. Die AfD steht vor der Aufgabe, im Fall einer Regierungsverantwortung den Industriestandort nicht nur zu stabilisieren, sondern aktiv wiederzubeleben. Dafür braucht es zwei Dinge: eine konsequente Verbesserung der allgemeinen Standortfaktoren – und ergänzend ein kluges, pragmatisches Reshoring-Programm.

Die USA zeigen, dass es geht. Es wäre wirtschaftspolitisch fahrlässig, diesen Weg nicht zumindest zu erwägen. Nicht, weil wir den US-Staat kopieren wollen – sondern weil wir den Wohlstand sichern müssen. Am Ende zählt: Was funktioniert, muss getan werden.

Jurij Kofner

Als Russlanddeutscher aus München hat Kofner nicht nur den Vorteil, zwei Kulturen zu verstehen, sondern auch nach seinem Wirtschaftsstudium zwischen deutschen, österreichischen und russischen Forschungsinstituten gewandelt zu haben. Geopolitisch träumt er von einem souveränen Deutschland, das zwischen Lissabon und Wladiwostok wirtschaftlich brilliert, während er ideologisch den libertären Rechts-Populismus aus Amerika abfeiert.

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  1. Natürlich muss die AfD eine aktive Wirtschaftspolitik betreiben, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen. Für alles andere wird die Lage dann nämlich viel zu schlecht sein, um sich in Ideologiedebatten zu verlieren.

    Eine Reshoring-Strategie ist sicher ein sinnvoller Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Allerdings, das weiß der Autor ja auch, ist eine Unternehmensverlagerung eine hochkomplexe Angelegenheit, die nicht spontan durchgeführt oder auf Zuruf dann einfach wieder rückabgewickelt wird. Ebenso ist es mit (echten) Fachkräften, die Deutschland verlassen und sich im Ausland eine Existenz aufgebaut haben. Will sagen: Viel von dem, was einmal weg ist, wird wahrscheinlich auch nicht wiederkommen.

    Die AfD sollte sich daher nicht nur nostalgisch auf die traditionellen Industrien fokussieren, sondern auch Wachstumspotenziale durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sowie Zukunftsbranchen wie Biotechnologie, Mikroelektronik u.a. in ihrem Konzept berücksichtigen. Für manche Konservative mag das Teufelszeug sein. Aber nach den Jahren der wirtschaftlichen Zerstörung wird die AfD nicht nur auf Restaurierung, sondern auch auf Modernisierung setzen müssen.

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