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Erst kommt das Heizen, dann die Moral

26. Juli 2022
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Mein Vater, der mich Sparsamkeit und Genügsamkeit gelehrt hat, erzählte mir öfters von seinen Erlebnissen aus seiner Jugend. In der fränkischen Stadt Schweinfurt befand sich bis vor wenigen Jahren eine amerikanische Kaserne, und der Alltag in der Nachkriegszeit war von der Interaktion mit den Amerikanern geprägt. Besonders in Erinnerung geblieben ist meinem Vater, dass die Soldaten rund um die Kaserne auch im Winter in kurzer Hose und T-Shirt umherliefen, weil die Innenräume auf sommerliche Temperaturen geheizt wurden. War es den Amerikanern zu heiß, so wurde ein Fenster geöffnet. Die deutsche Bevölkerung konnte sich ein derartig dekadentes Verhalten zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht erklären.

Nun ist es keine Woche her, seit Außenministerin Annalena Baerbock beim Redaktionsnetzwerk Deutschland verkünden ließ, dass ein eventueller Gasmangel im Winter zu „Volksaufständen“ führen könnte. Diese Formulierung in diesem Zusammenhang hat mich doch etwas stutzig werden lassen. Dass die Regierung von der Bevölkerung zur Rechenschaft gezogen wird, erscheint erst einmal als eine logische Reaktion in einer demokratischen Gesellschaft. Dass Frau Baerbock aber martialisch von „Volksaufständen“ spricht (und nicht etwa von „Bevölkerungsaufständen“), zeigt, wann man die wohlstandsverwahrloste Gesellschaft dann doch auf die Straße kriegt: wenn der allgemeine Luxus langsam vor seinem Aus steht.

Etliche Lockdowns und Impfungen macht man gerne mit, denn dann geht es allen bald besser. Massenmigration ist auch in Ordnung, weil man ja den vielen Menschen helfen muss! Ein deutscher Sonderweg bei der Energieversorgung? Natürlich! Für das Label „grün“ nimmt man auch mal die teuersten Strompreise in ganz Europa in Kauf. Wir sind schließlich Vorbild für die ganze Welt und damit Moralweltführer – am deutschen Wesen wird die Welt genesen!

Aber in einer Zeit, in der moralische Überlegenheit mit Sanktionen für ein Land einhergeht, die für das Gas verantwortlich sind, mit dem Wohnungen geheizt werden, da fürchtet eine Frau, die feministische Außenpolitik betreiben wollte, auf einmal Volksaufstände.

Bertolt Brecht war es, der sagte: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Wenn es an die Grundbedürfnisse geht, dann verpufft die Fernstenliebe der „guten“ Menschen, und die Bevölkerung wird zum Volk, das man fürchten muss. Dass der Gasmangel als Katalysator für die erwarteten Aufstände dienen soll, zeigt exemplarisch die Dekadenz unserer Zeit. Immerhin besagen die geplanten Beschränkungen der EU bis jetzt, dass Büros, öffentliche und kommerzielle Gebäude ab Herbst nur noch auf 19 Grad (!) geheizt werden dürfen.

Eventuell sind es auch nur Menschen wie ich, die dem kommenden Winter gelassen entgegenblicken. Denn als sparsamer, junger und gesunder Mann lassen mich steigende Gaspreise und 19 Grad im Büro im wahrsten Sinne des Wortes kalt. Aber auch sonst werden aller Erfahrung nach die wenigsten Menschen während des deutschen Winters erfrieren, solange sie auf 19 Grad heizen können. Hat der Klimawandel doch etwas Gutes!

Stattdessen bin ich gespannt, was die nächsten Jahre mit sich bringen; im Grunde gibt es nur zwei mögliche Entwicklungen:

Entweder Deutschland gibt seine Rolle als moralischer Weltführer noch in den nächsten Jahren auf oder die Deindustrialisierung wird fortgesetzt und der Gasmangel wird zum kleinsten Problem, das die Deutschen befürchten müssen. Tritt der zweite Fall ein, so folgt der erste mit Verzögerung.

Geht es in Zukunft nicht um lächerliche 19 Grad, sondern um die Knappheit lebenswichtiger Ressourcen – spätestens dann wird man die Krone moralischer Überlegenheit absetzen. Ob diese Krone allerdings freiwillig abgelegt wird oder der Pöbel sie gewaltsam vom Haupt der Herrschenden reißt, bleibt abzuwarten. Für alle Beteiligten wäre es in Zukunft wohl besser, die Moralinkönige dankten ab, bevor sie dazu gezwungen werden.

Für einen Volksaufstand wird der Gasmangel, der sowieso nur Warmduscher empört, wohl nicht reichen. Schwierig wird es, sobald die Herrscher den Bezug zur Realität verlieren – soll das Volk eben Kuchen essen, falls das Brot ausgeht.

Dabei sind weder die Monarchie noch die Moral politisch etwas grundsätzlich Schlechtes! Solange die Krone der moralischen Überlegenheit zu Zeremonien hervorgeholt wird, die nicht der Selbstzerstörung dienen, kann sie sogar mehr nutzen als schaden. Darauf hoffen, dass Frau Baerbock und Co. diese Zeremonien als solche erkennen, dürfen wir allerdings nicht.

So oder so, mit der Dekadenz scheint es bald ein Ende zu haben. Vielleicht lernen die Linksliberalen, Grünen und Kulturfeinde dadurch, dass der momentane Reichtum der Gesellschaft nichts Zufälliges, sondern der harten Arbeit der Generationen vor uns geschuldet ist. Verbrennen oder verschenken wollen die guten Menschen den erarbeiteten Reichtum dann wahrscheinlich nicht mehr. Aus harten Zeiten entstehen starke Männer! Ob die Volksaufstände jetzt kommen oder nicht – schlechte Aussichten sind das keine.

PhrasenDrescher

Der Phrasendrescher - wie könnte es anders sein - promoviert derzeit interdisziplinär in der Philosophie und der Politikwissenschaft. Als glühender Verehrer von Friedrich Nietzsche weiß er, dass man auch Untergänge akzeptieren muss und arbeitet bereits an der Heraufkunft neuer, stärkerer Werte.

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