Linke verstehen den Rechtsruck nicht

19. Januar 2025
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Kleinkinder, deren Eltern sie vor Schaden bewahren wollen, den sie sich aus Trotz oder Unwissenheit zufügen könnten, wachsen oftmals noch heute mit dem Sprichwort auf: „Wer nicht hören will, muß fühlen.“ Seit Jahren wird diese Warnung auch den linksliberalen Eliten zugerufen, doch derartige Mahnungen haben sie stets in den Wind geschlagen. Jetzt jedoch fragen sich manche verzweifelt, was sie denn anders hätten tun sollen – jetzt, wo Rechte nahezu allerorten den Ton angeben und die politische Agenda bestimmen.

„Steht nun Faschismus auf der Tagesordnung?“ Diese bange Frage wählte die „Süddeutsche Zeitung“ am 13. Januar als Überschrift eines Interviews mit dem amerikanischen Verfassungsrechtler Samuel Issacharoff, um das mutmaßliche Schicksal der USA zu erkunden. Zuvor hatte Politik-Chef Stefan Kornelius in einem Leitartikel geschildert, wie Donald Trump in seiner zweiten Präsidentschaft die Welt erschüttern und die Regeln der internationalen Ordnung aus den Angeln heben werde. Trumps Methoden, so der Seher aus München, seien bekannt: „Lüge, Unterstellung – alles Ausdruck von Verblendung und Zorn, aber vor allem eines faschistischen Führungswahns.“ Der Mar-a-Lago-Clan setze „sich mafiös aus Familienmitgliedern, Machtbesoffenen, Geschäftemachern und einer neofaschistischen Internationalen“ zusammen.

Keine Angst, beruhigte Obamas einstiger juristischer Berater seinen aufgeschreckten „SZ“-Interviewer, selbst in den USA stehe der Faschismus keineswegs auf der Tagesordnung:

„Daß wir Trump erlauben, wieder Präsident zu werden, ist zum Teil ein Versagen der Demokraten und der Biden-Regierung, die mangelnde Popularität vieler ihrer Programme. Aber es ist auch ein Zeichen von Verzweiflung, vom verlorenen Vertrauen in die Demokratien.“

Und dann zählte Issacharoff jene Punkte auf, die auch hierzulande maßgeblich zum Aufstieg der Rechten beigetragen haben: Regierung und Staat werden als ineffektiv und wenig leistungsfähig eingestuft; der Lebensstandard der arbeitenden Menschen sinkt; die Masse der Bevölkerung ist daher nicht mehr überzeugt, daß es ihren Kindern eines Tages besser gehen wird. Das verständliche, aber wenig erbauliche Fazit des New Yorker Rechtsprofessors:

„Die Botschaft an die liberalen Demokratien lautet, daß sie den Kampf politisch gewinnen müssen. Sie müssen beweisen, daß sie es besser können.“

Nicht wenigen dürfte hier das eingangs zitierte Sprichwort in den Sinn kommen – zumal nicht nur in den USA, sondern vornehmlich in Europa das Migrationsproblem mindestens seit 2015 auf der Tagesordnung steht. „Das wahre Exil besteht nicht darin, aus dem eigenen Land herausgerissen zu werden, sondern in ihm zu leben, aber dort nicht mehr zu finden, wofür man es liebte.“ Diese Sentenz des französischen Historikers Edgar Quinet (1803-1875) beschreibt den sich von Tag zu Tag verstärkenden Eindruck der multikulturellen Realität nicht zuletzt auch in Deutschlands Städten. Wer daran Anstoß nimmt, muß im Zeichen der offiziellen Wokeness gewärtigen, als „Rechtsextremist“ der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zum Opfer zu fallen. Nicht umsonst ist der Begriff „biodeutsch“ zum Unwort des Jahres erklärt worden, denn hierzulande werden mit einem entsprechenden Paß ja Menschen aller Nationen „Deutsche“.

Um die Fehler in Politik, Wirtschaft und Kultur nicht dem Linksliberalismus anzulasten, hat Andrian Kreye die Wissenschaft zu Rate gezogen und für den Rechtsruck eine grandiose Erklärung gefunden: Es sei das „moderne Content-Marketing“, Stupid! Die Forschung, doziert Kreye am 11. Januar in der „Süddeutschen“, sei sich uneinig, wie groß der Einfluß der digitalen Welt auf Wahlergebnisse sei, denn zu komplex seien die kollektiven Entscheidungen. Weil der digitale Raum Gesellschaften zuerst einmal abbilde und dann erst die Strömungen, Stimmungen und Emotionen verstärke, spiele indes vor allem die „Aufmerksamkeitsökonomie“ eine Rolle in der Politik, weil sie die Deutungshoheiten der Inhalte und Argumente der eher traditionellen Medien aushöhle. Und jetzt kommt es:

„Der Unterschied zwischen traditionellen und sozialen Medien liegt aber eher in der Neurologie als in der Kommunikationswissenschaft. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender richten sich mit ihrem Journalismus eher an die linke Hirnhälfte, wo Sprache, Vernunft und Argumente zu Hause sind. Soziale Medien zielen in die rechte Hirnhälfte mit den Emotionen, Intuitionen und Bildern… Die Aufmerksamkeitsökonomie ist einer von mehreren Motoren, die derzeit einen globalen Rechtsruck antreiben. Der hat mit den alten Mustern des Faschismus einiges gemeinsam und nur wenig zu tun.“

Kreye zitiert Sinan Aral, Professor am Massachusetts Institute of Technology, der 2020 ein Grundlagenwerk über die Wahrnehmungskultur veröffentlichte. Darin heißt es, daß sich Falschnachrichten sechsmal so schnell und an hundertmal so viele Menschen verbreiten wie Wahrheiten. Den Effekt lokalisierte Aral eindeutig in der rechten Hirnhälfte, denn eine Lüge liefere genau jene drei Reize, die in den sozialen Medien so viele Reflexe auslösten: Überraschung, Unterhaltung und Emotionen. Das auf dem sozialen Netzwerk X übertragene Gespräch zwischen Elon Musk und AfD-Chefin Alice Weidel war Kreye zufolge der erste Großversuch, die beiden Welten zu verbinden:

„Ohne Faktenprüfung und Kontext konnte hier der Eindruck entstehen, Alice Weidel sei eine Art goddess des Hyperpragmatismus, die dem Cyberlibertarismus im Pannenland Deutschland eine super Vernunft-Aura verleiht. Und Aura reicht in der Aufmerksamkeitsökonomie für den Sieg. Deswegen sind es rechte Instinktfiguren wie Donald Trump, Javier Milei und Herbert Kickl, die auf dem Durchmarsch sind.“

Daß Kreye mit diesem pseudowissenschaftlichen Geschwurbel seine ideologischen Parteigänger davon überzeugt, der gescheiterte Linksliberalismus sei ein Opfer der digitalen Wahrnehmungskultur, ist unwahrscheinlich – schließlich gehört es eher in die Kategorie dessen, was, gemünzt auf das Gespräch Musk-Weidel, in der Überschrift seines Feuilleton-Artikels steht: „Loslabern, vollstopfen“.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

3 Comments Leave a Reply

  1. Trump wird stasidokumente aus dem NSA Archiv ins Netz stellen und die eu- Eliten schachmatt setzen, vielleicht lässt er auch ein paar gez- Journalisten verschwinden ( Zaubertrick )

  2. „Zeitungen, Radio- und Fernsehsender richten sich mit ihrem Journalismus eher an die linke Hirnhälfte, wo Sprache, Vernunft und Argumente zu Hause sind.“

    Aus heutiger Sicht würde ich das Gegenteil behaupten: Traditionelle Medien sind das beste Organ der Linken Propaganda, gerade eben weil es in ihrer Macht liegt, in einem zeitlich festgesetzten Rahmen Unwahrheiten oder zumindest einseitige Argumente zu verbreiten, oder zu suggerieren (man erinnere sich an all die Deckblätter während der Migrationskrise, um unsere Herzen zur Mildtätigkeit zu bewegen). Schlimmer noch sind die Talkshow „Debatten“, wo rechte Repräsentanten entweder in der Minderheit oder gar nicht erst eingeladen sind.

    Auf den sozialen Medien hingegen gibt es Interaktion, die über Wochen andauern kann, und wo Arglist einfach gekontert wird, z.B. mit dem Zitieren von Aussagen, die einige gerne längst vergessen hätten.

  3. Grundsätzlich stimmt es ja, dass es politisch sinnvoller ist, an die Emotionen zu appelieren. Politiker wissen ja alle, dass sie letztlich einen Werbespot machen und ein Gefühl verkaufen. Ich finde es aber zu geil, dass Linke glauben, dass sie das, was sie den Rechten vorwerfen, nicht selbst machen würden. Das einzige, was bei den Linken anders ist, ist eine positive Einstellung zur Wissenschaft (die zurecht in vielen Bereichen skeptisch zu betrachten ist und auch ein Gottersatz ist) und zum Intellektualismus (hier ist es aber eine Maske des Intellektualismus von Neomarxisten).

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