Von Katharina Michel
Zum Jahreswechsel trendete auf TikTok das Hashtag #NewYearNewMe. Ob sich der zu später Stunde gelangweilte Konsument abertausender Selbstliebe-Videos zum Mitmachen influencen lässt? Oder bleibt sein Erfolgserlebnis auf die voyeuristische Teilhabe an den Transformationsprozessen fremder Körper beschränkt? Zur Belohnung erhält der/die/das Geplagte immerhin die Almosen unserer Zeit, das feuerrote Herzchen.
Aber selbst wenn sich Lieschen Müller aufrafft und der weltweiten Challenge zur Einhaltung der Neujahrsvorsätze anschließt: weshalb wartet es stets den Kalenderwechsel ab, um ein nach objektiven und von ihm offenbar nicht geteilten Wertmaßstäben „besseres“ Leben zu führen?
Was du heute kannst besorgen…
Man muss kein Miesepeter sein, um die nächsten Schritte vorherzusehen. In der ersten Januarhälfte geht Liesel kopflos Abonnements und Mitgliedschaften ein, die – um Kosten zu sparen – gleich ein volles Jahr laufen. Doch schon nach wenigen Wochen liegen sie alle brach wie ein teilerschlossenes Grundstück, wofür die Kommune fleißig die monatlichen Gebühren kassiert.
Anfangs heißt es: Es rennt mir ja nicht weg. Später sagt Lisa, der vom Auslandsstudium in Australien noch die mannigfaltigen Englischkenntnisse geblieben sind: Actually bin ich gerade mega busy, so what? Und schließlich, wenn der Sommer mit all seinen Freuden lockt: Maybe next year!
Das Geschäft mit der Bequemlichkeit
Auf dieser menschlichen Schwäche, der Aufschieberitis, fußt die beste Geschäftsidee, von der ich je gehört habe. Bei einer sogenannten Fitnesswette darf Fräulein Müller bis zu 1.000 Euro setzen, dass es ihm gelingt, einen Monat lang mindestens 4 Mal pro Woche daheim Sport zu treiben.
Da Müllers Tochter nicht dumm ist, setzt sie maximal 100 Euro – für den Anreiz, versteht sich! Und falls ihr die Wette misslingt, so meint sie weise, schmerzt es nicht allzu sehr im Geldbeutel. Leider entpuppt sich das Misstrauen ins eigene Durchhaltevermögen schnell als selbsterfüllende Prophezeiung.
Umso besser fürs Wettbüro! Falls sich jeden Monat bloß 20 Einsatzwillige finden, die ähnlich denken, so generiert die Fitnesswette genug „passives Einkommen“, dass es zum Leben reicht. Genial!
Wozu überhaupt Vorsätze?
Zu meiner Verteidigung: Dieses Bild vom Menschen, der seine kapitalistische Ausbeutung geradezu herausfordert, basiert neben der teilnehmenden Beobachtung meines Umfelds noch auf einer STATISTA-Umfrage (2019), wonach 80 Prozent aller Deutschen an ihren guten Neujahrsvorsätzen scheitern – manche bereits nach wenigen Stunden.
So traurig das klingt, ist es nicht einmal Aschenputtel gelungen, nach Mitternacht eine holde Maid zu bleiben. Warum also sollte Lieschen Müller eine Ausnahme sein und keine Rückfälle erleiden? Zwar heißt es oft: no pain, no gain! Doch lassen sich Ziele auch ohne viel Blutvergießen erreichen – zumal wir wissen, dass das Abhacken von Zehen und Fersen eh nichts nützt.
Da es also nicht in der menschlichen Natur liegt, sich über Nacht zu verändern, kommen hier die 3 ultimativen Tipps, wie die guten Neujahrsvorsätze 2022 gelingen, selbst wenn man erst später damit anfängt.
Tipp 1: Konkrete Ziele formulieren!
Im Teaser sind die häufigsten Neujahrsvorsätze bereits angeklungen. Vielen geht es darum, negative Angewohnheiten zu reduzieren und positive Gewohnheiten zu verstärken. Doch solange es vage und ohne messbare (aber machbare!) Ergebnisse bleibt, wird auch nichts Nachhaltiges bei herumkommen. Und dabei ist Nachhaltigkeit eines der Gütesiegel dieses Jahrzehnts…
Pro-Tipp: Bewusst Ausnahmen einkalkulieren und so ein Art Belohnungssystem einführen. Zum Beispiel nur noch Partyrauchen statt Kette oder ein deftiger Sonntagsbraten in einer ansonsten vegetarischen Ernährung. Apropos, zum Abnehmen sollte Lieschen ruhig einmal das Intervall-Fasten probieren statt sich von jetzt auf gleich auf die Modelmaße der 90er-Jahre runterhungern zu versuchen!
Tipp 2: In kleinen Schritten sicher zum Ziel!
Um sich beim Silvesterumtrunk hervorzutun, überbieten sich die Gäste gern in der Aufzählung gesellschaftlich akzeptierter Neujahrsvorsätze. So auch Lisa, deren Tonfall trotz des Lallens eine tiefe Unzufriedenheit mit ihrem Leben verriet. Nicht, dass ich an ihr zweifle, aber es kostet arge Selbstdisziplin mit allen schlechten Gewohnheiten auf einmal zu brechen. Vielleicht sollte sie ja darüber nachdenken, wo sie in 20, in 5 Jahren und in einem Jahr stehen will und was sie tun muss, um dahin zu kommen.
Pro-Tipp: Täglich die immergleiche To-Do-Liste nach der 1-3-5-Regel (1 große, 3 mittlere, 5 kleine Aufgaben) abarbeiten, bis sich nach ca. 21 Tagen eine Routine eingestellt und die gute Angewohnheit gefestigt hat. Und wenn es nur das Anfertigen der To-Do-Liste ist…
Tipp 3: Erfinde dich jedem Monat neu!
Wer auf Pinterest nach leichten Kochrezepten fahndet, stößt schnell auf allerlei Sport- und Haushalts-Challenges. Das verlockende ist, dass sie nur 30 statt gleich 365 Tage dauern. Das Ziel ist klar und Ergebnisse sind schnell sichtbar: Halte nur einen Monat durch und du bist ein viel besserer Mensch als vorher!
Pro-Tipp: Viele Leute sitzen einem unnötigen Perfektionismus auf und schmeißen das Handtuch, sobald es zu ersten Rückschlägen kommt. Doch so einen „perfekten Lauf“ gibt es nicht einmal bei der Antibiotikum-Kur. Also nicht zu viel auf einmal vornehmen, sondern notfalls einfach nach hinten verlängern.
Nun aber ans Werk und viel Erfolg bei allen Vorhaben!