Serienkritik: Der Leopard (2025)

28. April 2025
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Über der brausenden Brandung von Sizilien geht die Sonne unter, es erklingt der Chor eines Klosters, und durch die Nacht von Palermo eilt eine schwarze Kutsche. Aus ihr steigt, in einen dunklen Frack gehüllt, Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, der Leopard, um seine Tochter aus dem Trubel der revolutionären Stadt zurück in das Familienschloss zu bringen.

So beginnt die Anfang 2025 veröffentlichte Netflix-Adaption von Il Gattopardo, Der Leopard. Was den Briten Downton Abbey und den Deutschen die Buddenbrooks sind, das ist den Italienern Der Leopard. Das Buch wurde von Don Giuseppe Tomasi, Principe di Lampedusa (ja, seiner Familie gehörte die Flüchtlingsinsel), geschrieben, einem Nachfahren des Hauptcharakters  und 1958 postum veröffentlicht. Seitdem zählt es zu den bedeutendsten Werken der italienischen Literatur und sei hiermit jedem ans Herz gelegt.

Zur Handlung des Buches: Ähnlich wie Downton Abbey oder die Buddenbrooks ist Der Leopard eine Familiensaga, in der es um den Verfall und den langsamen Untergang des Adels geht. Der Autor bettet dies meisterhaft in den Hintergrund des Risorgimento – „Wiederentstehung“, wie die Italiener ihre Staatswerdung nennen – ein und schafft es dabei, durch die Darstellung unterschiedlicher Charaktere ein Psychogramm der damaligen sizilianischen Gesellschaft zu zeichnen. Zwar ist der Sturz der bourbonischen Herrschaft und Garibaldis legendärer „Zug der Tausend“ im Buch nur Hintergrundrauschen, aber durch die Gespräche der Charaktere und das Auftreten verschiedener menschlicher Archetypen wirkt es, als ob man die Einigung Italiens und ihre gesellschaftlichen Umbrüche selbst miterlebt. Dies wird vermischt mit einem Liebesdrama um den Neffen des Hauptcharakters, seine Cousine und die bildschöne Tochter des aufstrebenden, aber skrupellosen und bürgerlich-ehrlosen Calogero Sedàra.

Die Frage ist nun: War Netflix in der Lage, diesem wunderbaren Machwerk der italienischen Literatur oder wenigstens seiner ersten Verfilmung aus den 1960ern eine würdige Neuadaption zu widmen? Von einem cineastischen Standpunkt aus ist die sechs Folgen umfassende Miniserie gelungen. Die Landschaft Siziliens ist schön in Szene gesetzt, die Kleider und Frauen sind sehr ansehnlich, und die Schauspieler machen im Allgemeinen keine schlechte Arbeit.

Jedoch enden hier wohl die guten Worte. Die Serie verfehlt die gedankliche Tragweite des Buches. Der wohl wichtigste Satz des Romans, welcher im Italienischen sprichwörtlich geworden ist – „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern“ – findet quasi keine Beachtung. Dabei ist gerade dies einer von di Lampedusas interessantesten Gedanken: Indem sich das Königreich Piemont an die Spitze der national-liberalen Bewegung setzt, indem der Neffe des Fürsten Offizier bei Garibaldis Rothemden wird, versucht er, die Bewegung zu integrieren – sodass er und seine Schicht auch im neuen italienischen Staat die Zügel in der Hand behalten. Frei nach dem Motto: Nothing ever happens.

Der Leopard, gezeigt als autoritärer, wenig feinfühliger Charakter, entwickelt sich gegen Ende zu einem melancholischen, die Realität nur noch wenig erfassenden Mann, der zu schwach oder zu sklerotisch ist, auf die neuen Umstände zu reagieren. Stattdessen kann sich die Tochter des Leoparden in Szene setzen: Sie widersetzt sich ihrem Vater und verdrängt ihn als eigentliche Hauptfigur der Serie. Die Serie ist eher eine Entwicklungsgeschichte ihrer Person – wie sie erst ihre Familie verlässt, aus freien Stücken zurückkehrt und versucht zu heiraten, um endgültig unabhängig vom Vater zu sein. Sie entschied sich aber nach dessen Tod um und wurde zur Frau hinter dem Stuhl ihres schwachen Bruders, der nun Fürst wurde. Gemeinsam machten sie sich daran, das langsam zerbröckelnde Familienvermögen mit dem skrupellosen Denken der Moderne wieder zu mehren.

Zuletzt fehlt der Abschnitt des Hofpriesters der Familie völlig. Im Buch wird hier gezeigt, wie viele einfache Menschen über den neuen Staat dachten. So sagt etwa der Kräutersammler: „Diese vom Herrgott geschaffenen Heilkräuter sammle ich doch eigenhändig auf den Bergen, ob es regnet oder schön ist. Bei Tag und Nacht, zu den vorgeschriebenen Zeiten. Und dann trockne ich sie in der Sonne, die allen gehört, und zerreibe sie eigenhändig. Was geht das euch im Rathaus an? Warum soll ich euch 20 Lire zahlen? Nur für eure schöne Visage?“ So die Worte des Volkes von Sizilien zum neuen italienischen Staatswesen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Während das Buch die Porträtierung unterschiedlicher Archetypen und den Untergang des alten Adels zugunsten neuer, eifriger, jedoch auch stumpfer und profaner Menschen aufzeigt – und die Staatswerdung Italiens sowie den damit verbundenen Aufbruch in eine neue Zeit als Bühne für diese Figuren nutzt –, ist es bei der Netflix-Adaption genau umgekehrt. Hier bedienen sich die Macher des Risorgimento als einer Bühne, um eine Liebestragödie zu erzählen, deren handelnde Figuren nur noch wenig mit di Lampedusas Buch und dem Denken von Menschen aus jener Zeit zu tun haben. Stattdessen werden moderne Vorstellungen über Frauen, Beziehungen und die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts vermittelt. Wer also eine gelungene Verfilmung des Buches erwartet, wird hier enttäuscht. Wer aber etwas übrig hat für Bälle, Süditalien und schöne Kleider für einen schönen Abend mit der Freundin, der kann sich diese Serie wohl zu Gemüte führen.

Alexander von Goldstein

Alexander von Goldstein wurde in Potsdam geboren und ist der Ansicht, dass dies der letzte kleine Teil Deutschlands sei, der sich noch legitimerweise preußisch nennen darf. Zwar stammt er aus den Wirtschaftswissenschaften, doch gilt sein Interesse überwiegend der Geschichte, Architektur, Literatur und all den anderen Themen, mit denen man kein Geld verdienen kann. Wer ihn sucht, kann ihn auf bessere Zeiten hoffend, bei Wanderungen durch Berlin antreffen. Sein Leben in der heruntergekommenen Hauptstadt begründet er mit dem französischen Sprichwort: "Être Prussien est un honneur, mais pas un plaisir." Zu Deutsch: "Preuße zu sein ist eine Ehre, aber kein Vergnügen"

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