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Offizielles Pressebild die ärzte 2012. Fotocredit: Nela König, CC BY-SA 3.0, Wikicoomons

Sind die Ärzte noch Punkrock?

2. November 2022
in 4 min lesen

Wahrscheinlich keine deutschen Musiker haben die heutigen Generationen um die 30 so sehr beeinflusst, wie es die Berliner Band Die Ärzte geschafft hat. Dem Punkrock entsprungen, gründete sich die Band mit ihrer heutigen Besetzung 1993 neu und veröffentlichte Lieder allerlei Couleur. Dabei zeugten antifaschistische Songs wie „Schrei nach Liebe“ (1993) oder die EP „1, 2, 3, 4 – Bullenstaat!“ (1995) schon früh von der linken Gesinnung der Punkrocker, die neben poppigen und unpolitischen Liedern mal mehr und mal weniger ihre szenetypische Verachtung für staatliche Institutionen und die Exekutive musikalisch zum Ausdruck brachten. Damit waren die Ärzte Rebellen, was die damals Jugendlichen begeisterte und viele von ihnen zu Fans werden ließ. Texte wie:

„Ich nenn es Freiheit – ihr nennt es Mangel an Respekt“ („Rebell“, 1998) oder „geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren. Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen – kann nur verlieren“ („Deine Schuld“, 2003) inspirierten auch unpolitische Jugendliche, ihre rebellischen Phasen als einen politischen Akt zu verstehen. Dass einige Lieder der Ärzte und sogar ein ganzes Album indiziert wurden, weil sie Sodomie („Claudia hat ’nen Schäferhund“, 1984) oder Inzest („Geschwisterliebe“, 1986) thematisierten, steigerte ihre Bekanntheit auf den Pausenhöfen Deutschlands noch. Als Ärzte-Fan war man selbst ein Rebell und damit deutlich „cooler“ als die Anhänger der ebenfalls berühmten Toten Hosen.

Die Ärzte beschwerten sich nicht über Empörung oder Zensur; im Gegenteil – sie wurden noch kontroverser, indem sie sich darüber lustig machten („Ein Lied über Zensur“, 1998). Gespickt mit trivialen Themen, aber auch mit künstlerisch anspruchsvollen und tiefsinnigen Liedern erlangte die selbst ernannte „beste Band der Welt“ auch mit poppigen Liedern ihren deutschlandweiten Ruhm („Männer sind Schweine“, 1998; „Westerland“, 1988; „Junge“, 2007 – das Video zum Lied wurde aus Jugendschutzgründen ebenfalls zensiert).

Der Sänger Farin Urlaub machte selbst auch einige erfolgreiche Soloalben, in denen er er auch bewies, dass der rebellische Punkrock in ihm nicht gestorben war. Im Lied „Lieber Staat“ von 2001 sang er:

„Manche sagen zwar, du wärest auf dem rechten Auge blind

Wobei die, die das behaupten alle Terroristen sind

Das lernt man bei uns schon als Kind

Danke, dass du mich regierst

Danke, dass du mich regierst

Und in Serbien einmarschierst“.

Als Punks und Rebellen veröffentlichten die Ärzte ihre CDs übrigens immer „ohne Kopierschutz“. Ab dem Album „Jazz ist anders“ im Jahre 2007 änderten sich allerdings Sound, Profitdenken und Inhalt der Ärzte-Lieder. Die Lieder wurden poppiger – im Jahre 2012 fragten sich die Ärzte selbstironisch: „Ist das noch Punkrock? Wenn euer Lieblingslied in den Charts ist“. Viele von Dritten hochgeladene Lieder der Ärzte wurden auf YouTube gelöscht, und das „Wie immer ohne Kopierschutz“-Logo verschwand von den CDs. Die Ärzte wurden Mainstream – ihre politische Meinung blieb, nur das Vermögen und die Chartplatzierungen änderten sich. 2020 bedienten sie sich der gängigen Dichotomie der linken Liebe und des rechten Hasses im Song „Liebe gegen Rechts“:

„Meine Freundin war einmal

Für eine Weile rechtsradikal

Doch dann hat sie sich’s überlegt

Liebe brachte sie auf den richtigen Weg

Niemand wird als Faschist geboren

Man muss um sie kämpfen, sonst sind sie verloren“.



Mit kontroversen und politischen, aber auch lustigen, musikalisch eingängigen und auch unterhaltsamen Texten durften sie vor ziemlich genau zwei Jahren, inmitten der größten Panik rund um die Pandemie – am selben Tag, als ihr neues Album „Hell“ erschien – die „Tagesthemen“ musikalisch und mit einem Interview begleiten. Darin mahnten die millionenschweren Musiker, dass der kulturelle Sektor Geld benötige, um überleben zu können. Da soll noch wer sagen, die Öffentlich-Rechtlichen hätten keine Ärzte zu Wort kommen lassen, die den Lockdown kritisch sehen!

Aber im Ernst: Die Ärzte haben es als linke Punks in die seriöseste Nachrichtensendung Deutschlands geschafft. Das beweist vor allem eins: Viele Aspekte der politischen Einstellung der Ärzte sind metapolitisch längst „Tagesthemen“-fähig geworden. Seit ihrem monetären, politischen und musikalischen Erfolg ist das Rebellentum der inzwischen um die 60-jährigen Musiker weitestgehend verstummt. Als sie letzten August auf Tour in Graz waren und der Song „Elke“ (1988) gefordert wurde, erteilte Frontmann Farin Urlaub den Wünschen mit den folgenden Worten eine Absage: „Nee Leute, Elke ist fatshaming und misogyn. Im Song „Revolution“ von 1994 schoss man noch gegen angepasste Systemlinge:

„Heute stehst du für alles was ich hasse

Da ist keine Sehnsucht mehr in deinem Blick

Du sagst: ‚Man tut halt was man kann.‘

Und Dir geht’s gut. Du kotzt mich an“.

Im Lied „Doof“ von 2021 wird dagegen der von der Regierung, den Medien und dem Establishment erzeugte Flüchtlings-hassenden Nazi-Flacherdler-Klimaleugner-Strohmann beleidigt.

Seit diesen Entwicklungen ist das, was die Ärzte machen, kein Punkrock und sind die Ärzte und ihre Fans keine Rebellen mehr. Vielmehr haben sie gemeinsam mit Campino von den Toten Hosen ein neues Genre begründet: den Systemrock.

Campino verkündete anlässlich des Kriegs in der Ukraine, er würde sich heute nicht mehr dem Wehrdienst verweigern, frei nach dem Motto: „Danke, dass ihr mich regiert – bitte marschiert bald in diesen Krieg ein.“ Zum Systemrock darf man auch andere Lieder und Bands zählen, die sich darum bemühen, besonders systemkonform zu sein. Einige Beispiele: Der Band Eskimo Callboy wurde ihr Name zu kontrovers, weshalb sie sich im März in „Electric Callboy“ umbenannte; im Lied „Deutschland“ von Rammstein sang die Band davon, dass sie Deutschland keine Liebe geben könne, während eine schwarze Germania als Personifikation Deutschlands durchs Video geistert.

In einer Zeit, in der Linke metapolitische Macht haben und aufgrund von Schmeicheleien und „Virtue signalling“ die großen Firmen und Unternehmen (inklusive ihrer Produkte samt Impfstoffen) verteidigen, kann das wahre Rebellentum nicht mehr links sein. Die Rebellen in den Generationen um die 30 müssen sich inzwischen wohl an den Liedern der Ärzte erfreuen, die unpolitisch oder wertfrei gehalten sind. Wem der Systemrock allerdings auf die Nerven geht, der sollte nicht vergessen:

„Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wär nur deine Schuld wenn sie so bleibt.“

PhrasenDrescher

Der Phrasendrescher - wie könnte es anders sein - promoviert derzeit interdisziplinär in der Philosophie und der Politikwissenschaft. Als glühender Verehrer von Friedrich Nietzsche weiß er, dass man auch Untergänge akzeptieren muss und arbeitet bereits an der Heraufkunft neuer, stärkerer Werte.

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