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Über den Rubikon – Prigoschin gegen die russische Militärführung

24. Juni 2023
in 3 min lesen

Der seit Monaten schwelende Machtkampf zwischen dem Anführer der russischen Söldnerformation „Wagner“, Jewgeni Prigoschin, und der russischen Militärführung, verkörpert durch Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem Generalstabschef und Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine, Valery Gerassimow, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Gründe für die Auseinandersetzung sind mannigfaltig: Prigoschin, der einst als „Putins Koch“ in den führenden Zirkel des Landes gelang, betätigt sich seit 2014 als überaus erfolgreicher Unternehmer. Sein Geschäft, so könnte man es blumig umschreiben, ist das Angebot von Mitteln, die der Zweck heiligt, oder konkret: Seine nach dem Komponisten Richard Wagner benannte Einheit von Paramilitärs erarbeitete sich in den letzten neun Jahren in Afrika und Asien einen gewissen Ruf. Hier fanden ehemalige Militärs eine neue Heimat, der Sold war nach russischen Maßstäben überaus attraktiv, die Ausbildung professionell. Söldner – oder um es neutraler Auszudrücken: private Sicherheits- und Militärunternehmen – waren in den vergangenen Jahrzehnten gefragte Dienstleister. Ob in den unzähligen Konflikten der Dritten Welt oder großangelegten Militäroperationen wie im Irak oder Afghanistan – wo immer der Einsatz von eigenen Staatsbürgern zu als gefährlich erachtet wurde, griff man auf die Dienste von Unternehmen wie Academi, Sandline International, Wagner oder anderen zurück.

Wenig überraschend bot die russische Invasion für Prigoschins Unternehmen einen satten Auftrag. Er zog Männer aus Afrika ab und begann schließlich in russischen Gefängnissen zu rekrutieren. Die Wagner-Gruppe wuchs auf mehrere zehntausend Söldner an. Währenddessen lief der Krieg für Russland nicht wie erhofft. Aus dem geplanten raschen Einmarsch in Kiew war ein verlustreicher Stellungskrieg geworden. Über die sozialen Medien, vor allem über die einflussreiche Militärblogger-Szene verbreitete sich die Kritik an der russischen Armeeführung wie ein Lauffeuer. Soldaten waren schlecht ausgebildet, die Ausrüstung mangelhaft, es fehlte an diesem und jenem – rasch erhob sich Kritik an der Inkompetenz und der grasierenden Korruption. Die Armeeführung veröffentlichte Beiträge, in denen Schoigu Panzerfabriken besichtigte und Hände schüttelte, aber spätestens mit der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst 2022 zeigte sich, dass derzeit nur eine russische Einheit für die ersehnten Erfolge sorgte: Prigoschins Wagner-Gruppe. Diese kämpfte sich Meter für Meter an die Stadt Bakhmut heran.

Von Beginn an setzte sich dabei Prigoschin geschickt in Szene: In Kampfmontur stapfte er durch die Gräben, klopfte seinen Männern jovial auf die Schulter und signalisierte nicht nur ihnen an der Front, sondern Millionen russischen Bürgern in der Heimat: Wo ich bin, ist vorne. Dabei wurde seine Kritik an der Armeeführung expliziter. Während er Bakhmut einklammerte und sich die Stadt in eine Trümmerwüste verwandelte, begann er öffentlich darüber zu klagen, dass das Verteidigungsministerium seiner Einheit Munitionslieferungen vorenthalten würde. Seine Kritik wurde expliziter, rasch gelangten Schoigu und Gerassimow ins Fadenkreuz. Und nicht nur das: Prigoschin beleidigte die Männer aus Putins engstem Kreis. Er begann ihnen zu drohen.


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Nach der Einnahme von Bakhmut wurde die Wagner-Gruppe aus der Front herausgelöst. Zum Auffrischen, wie es offiziell hieß. Prigoschins Angriffe hörten jedoch nicht auf, ganz im Gegenteil: Sie wurden expliziter und persönlicher. Seine erst kürzlich getätigten Aussagen bezüglich der politischen und ökonomischen Hintergründe der Invasion müssen als Affront gewertet werden. Außenstehenden ist klar, dass dieser Machtkampf schließlich mit dem (gewaltsamen) Nachgeben der einen oder anderen Seite enden muss. Mit der Besetzung von Rostow am Don im Laufe dieser Nacht und der Ankündigung Prigoschins, man werde zum Verteidigungsminister kommen, würde der nicht zu Prigoschin kommen, wurde der Rubikon überschritten. Der große Unbekannte in diesem shakespearehaften Stück ist und bleibt allerdings Putin.

In den zuvor beschriebenen Machtkampf war der russische Präsident nicht offen involviert. Während Kritiker des Präsidenten seit Beginn der Invasion aus Fenstern fallen oder anderweitig unschädlich gemacht werden, hat Prigoschin diese rote Linie wohlweislich nie überschritten. Dennoch wirkte sowohl seine offen vorgetragene Kritik als auch das inkompetente Verhalten der Militärführung zersetzend für den Zusammenhalt der russischen Kriegsgesellschaft. Progoschin wird im Westen als durchgeknallter Krimineller dargestellt, in Russland hingegen gilt er als einer der wenigen fähigen Anführer und als „ehrliche Haut“. In mehrfacher Hinsicht würde sich Putin also neue Probleme schaffen, wenn er sich seines ehemaligen Kochs entledigen würde. Schoigu hingegen ist ein enger Vertrauter von Putin. Im Windschatten Schoigus befinden sich Männer wie der bereits erwähnte Gerassimow und zahlreiche weitere Offiziere, von denen nicht wenige mit der russischen Wirtschaft verflochten sind. Prigoschin hingegen kann nicht nur auf seine Popularität setzen, sondern auch auf enttäuschte Spitzenmilitärs wie etwa Sergei Surowikin. Der wiederum wurde von Gerassimow im Januar diesen Jahres als Oberbefehlshaber abgelöst.

Surowikin, effekthascherisch auch als „General Armageddon“ bezeichnet, war im Gegensatz zu seinen glücklosen Vorgängern (wahlweise degradiert oder „verschollen“) bestimmter aufgetraten: Er weitete die russischen Angriffe auf das ukrainische Energienetz aus und ließ jene Verteidigungsstellungen befestigen, gegen die nun die ukrainischen Streitkräfte anlaufen. Er ist, genau wie der stellvertrende Verteidigungsminister Junus-bek Bamatgirejewitsch Jewkurow also einer von mehreren potentiellen Seitenwechslern, auf die Prigoschin hofft zählen zu können.

Es ist eine unübersichtliche Gemengenlage, eine Eskalation des für Russland nicht mehr hinnehmbaren Machtkampfes. Wie auch immer sich Putin entscheidet: Köpfe werden rollen. Denn sollte der russische Präsident nun nicht schnellstens für Klarheit sorgen, geht es ihm selbst an den Kragen.

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