Am 14. Februar starb im Heidelberger Maßregelvollzug mit dem Spitznamen „Fauler Pelz“ ein junger Mann nach dem Konsum von „Spice“, einem Rauschmittel, das synthetische Cannabinoide enthält. Die Einrichtung, in der suchtkranke Straftäter auf ihre Therapiefähigkeit geprüft werden, war schon zuvor massiv in die Kritik geraten. Haben sich die Zustände mittlerweile gebessert? Ich möchte es herausfinden.
Da mir zu Ohren kommt, dass ein bestimmter Sicherheitsdienst seine Leute dorthin schickt, bewerbe ich mich um eine Stelle. Und werde genommen. Ich habe zwar mal eine Sachkundeprüfung nach § 34a bei der Industrie- und Handelskammer abgelegt, aber grundsätzlich kann jeder Heiopei als Sicherheitsmitarbeiter in der Forensik arbeiten. Es genügt eine Unterrichtung. Leider ist es nicht ganz so einfach, eine der begehrten 12-Stunden-Schichten zugeteilt zu bekommen. Einen Monat lang stehe ich mir bei Obi und in anderen Geschäften als Ladendetektiv die Füße platt, dann ist es endlich so weit. Meine erste Schicht in der Maßregelvollzugsanstalt, und es wird nicht die letzte sein. Mein Mobiltelefon muss ich an der Pforte abgeben. Auch werde ich von einem Pfleger abgetastet. Allerdings wird dieses Ritual schnell wieder abgeschafft, denn die Pfleger müssen so eine Prozedur nicht über sich ergehen lassen. Gleiches Recht für alle.
Eingearbeitet werde ich von Ali. Er ist um die dreißig, hat volles schwarzes Haar und trägt einen gepflegten Bart. Ali erklärt mir beispielsweise, wie der Abrissalarm an unseren Telefonen ausgelöst wird. Gerät das Telefon in eine waagerechte Position, wird nach einigen Sekunden ebenfalls Alarm ausgelöst. Manche alten Hasen stecken das drahtlose Telefon deshalb in eine Rolle Toilettenpapier, die sie mit Tesafilm umwickelt haben. Ali spricht sehr schnell und streut in fast jeden Satz wie zufällig die Handlungsaufforderung „mach mal“ und die Worte „zum Beispiel“ ein. Ich muss mich stark konzentrieren, um ihm einigermaßen folgen zu können.
Mohammed, unser Kollege, redet hingegen wenig. Er hat ein runzliges Gesicht, eine Glatze und weiße Bartstoppeln. Wenn er seinen Mund beim Lächeln öffnet, sind nur ein paar gelbe Zahnstummel zu sehen. Ich schätze, er geht auf die fünfzig zu. Der „alte Mohammed“, wie ich ihn nenne, ist im Gegensatz zu seinen beiden Namensvettern, die heute in einem anderen Zellentrakt Dienst haben, ein wahrer Sympathieträger. Ins Land gekommen ist er 2015, geflohen aus der Gegend um Aleppo. Mehr bekomme ich nicht aus ihm heraus.
Die Insassen sind ein bunter Haufen. Der halbe Ostblock ist vertreten. Viele Namen enden auf …ko, …ov oder …ić. Mich interessieren die Delikte, derentwegen sie eingesperrt wurden. Der Danziger mit dem deutschen Nachnamen, der heute seine Deutschprüfung für Anfänger bestanden hat und den Anstaltsrekord im Schrägbankdrücken hält, fasst es so zusammen: „Hier alle haben entweder Problem mit Alkohol oder Drogen. Aber Kriminelle ist Anderes. Bei mir zum Beispiel ist Autodiebstahl.“ Der 39-Jährige ist ziemlich groß, versieht den Küchendienst mit Leidenschaft und ist einer meiner Lieblings-Insassen.
Auf Station 99 spielen die Insassen den ganzen Tag Backgammon oder Schnauz. Die Stunde Hofgang am späten Nachmittag wird von den meisten Patienten für ein Match Fußballtennis genutzt. Ein paar Sportmuffel gibt es aber. Beispielsweise einen weißen Südafrikaner, der akzentfrei Deutsch spricht und fast den ganzen Tag in seiner Zelle verbringt, um dort ungestört Dark-Fantasy-Romane zu lesen. Mit ihm und dem polnischen Gewichtheber muss ich zum Optiker. Mit dabei: ein Pfleger und ein weiterer Security.
Die beiden Insassen tragen Fuß- und Handschellen, und die Schlüssel zu beiden stecken in der löchrigen Hosentasche meiner abgetragenen Jeans. In den Blicken der anderen kurzsichtigen Kunden nehme ich Verwunderung, Neugier und vielleicht auch ein wenig Entsetzen wahr, als sie die Hand- und Fußschellen unserer Schützlinge bemerken. Nach einem ausführlichen Sehtest probieren die Männer jeweils an die zehn Brillengestelle an. Am Ende darf es nur das Beste sein: „Stadt Heidelberg reiche Stadt“, scherzt der Pole, als er sich schließlich für eine bestimmte Gleitsichtbrille im Wert von etwa 350 Euro entscheidet.
Auf Station 97 mache ich eine Stockwerks-Razzia mit, weil mehrere Personen offenbar Drogen konsumiert haben. Die Pflegerinnen vermuten, es handele sich wieder einmal um sogenanntes Spice. Da man das Zeug nicht dosieren kann, sind die Pflegerinnen geradezu panisch. Einen weiteren Todesfall, da sind sie sich einig, dürfe es im „Faulen Pelz“ nicht geben. Als ich eine von ihnen frage, wie diese Substanzen in die Maßregelvollzugsanstalt gelangen könnten, sagt sie: „Besucher, Post, Personal, Personal, Personal.“
Ein Insasse mit albanischen Wurzeln, seines Zeichens Hotelfachmann, bestätigt es mir. Seiner Ansicht nach verdienten die Sicherheitsleute zu wenig Geld. Ein Handy sei im Maßregelvollzug beispielsweise 2000 Mäuse wert. Aber es geht nicht immer nur um Geld. Eine Pflegerin wurde entlassen, weil sie mit Insassen Kokain geschnupft hat. Dazu soll’s das gute alte Rein-raus-Spiel gegeben haben. Gemauschelt wird offenbar auch bei solchen Entlassungen. So wurde ein Sicherheitsmitarbeiter gefeuert, weil er im Dienst geschlafen habe. Unerwähnt blieb bei der Kündigung die Tatsache, dass er Alkohol an Insassen verteilt hatte …
Die ganze Geschichte samt weiterer schockierender Details und brisanter Enthüllungen erscheint im März im „Freilich“-Magazin!
64er wäre nichts für mich, nein. War lieber bei den 63ern, wo Drogen eine untergeordnete Rolle spielen. Bis Herr Lauterbachs Impfpflicht kam. Jetzt unterrichte ich Pflegeschüler darin. Danke, Karlchen.