Von Nilliño
Eine der bundesdeutschen Reaktionen auf den Ukrainekrieg war die Einführung des sogenannten Sondervermögens für die Bundeswehr in Höhe von 100 Mrd. Euro, „um der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Genüge zu leisten. Frieden, Freiheit und Wohlstand müssen in jeder Generation neu begründet werden“, so heißt es vollmundig auf der Webseite des Bundesfinanzministeriums. Doch was soll mit dieser astronomischen Summe bezweckt werden?
Politische Maßnahmen und Entscheidungen kann man anhand von Urteilskriterien analysieren und anschließend bewerten. Im Sachurteil stellt man sich in der Regel die Frage nach der Wirksamkeit einer Maßnahme. Stellt man sich das Sondervermögen als politische Maßnahme vor, muss man erst einmal beantworten, was damit erreicht werden soll, bevor man die Wirksamkeit beurteilen kann.
Wenn man einmal von der staatstragenden Formulierung der Bundesregierung absieht, lässt sich erahnen, dass die 100 Mrd. Euro dafür aufgewendet werden sollen, die Bundeswehr wieder in einen wehrfähigen Zustand zu versetzen. Gemeint ist damit einerseits die Neuanschaffung von Material sowie die Instandsetzung der vorhandenen Ausrüstung und des Kriegsgeräts. Wie man diversen Artikeln in den vergangenen Jahren entnehmen konnte, mangele es an Munition, Ersatzteilen und teilweise persönlicher Ausrüstung – woraufhin angeblich einige Soldaten vor ihrem Einsatz Ferngläser bei Tchibo gekauft hätten. Wenn man der Jungen Freiheit glaubt (vgl. JF Nr. 48/22, S. 5), wird die reale Kaufkraft des Sondervermögens inflationsbedingt deutlich geschmälert werden. Zudem gehe es der Truppe momentan sogar noch schlechter als vor dem Krieg, weil die an die Ukraine abgegebenen Waffensysteme noch nicht ersetzt worden seien. Man kann konstatieren, dass das gesetzte Ziel offenbar (noch) nicht erreicht worden ist. Bekanntlich kann, was nicht ist, ja noch werden.
Andererseits ist ein weiteres Ziel, die Anzahl der Soldaten zu erhöhen. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahre 2011 verkleinerte sich die Truppe gewaltig. Gegenwärtig dienen 182.963 Soldaten, wie die Bundeswehr ganz transparent im Internet bekundet. Man kann hier von einer Sollstärke von 198.000 Soldaten lesen, dort gar von 203.000 Soldaten. Es fehlen also wahlweise an die 15.000 bzw. 20.000 Soldaten. Eine Möglichkeit wäre die Reaktivierung der Wehrpflicht. Doch fehle es vor allem an qualifiziertem Fachpersonal, welches nicht mit Wehrpflichtigen zu stellen wäre, sondern nur durch sich länger Verpflichtende. Und nun kommen wir zu des Pudels Kern: Wer ist bereit, Leib und Leben für Deutschland in die Waagschale zu werfen?
Die technische Ausstattung ist nur die eine Seite der Medaille, die Manpower die andere. Muss ein Großteil des Sondervermögens jetzt in weitere YouTube-Werbeformate gesteckt werden? Zweifelsohne kann man bei der Bundeswehr eine Vielzahl interessanter Berufe erlernen und auch (bei voller Besoldung) studieren. Betrachtet man den anhaltenden Personalmangel, scheint dies aber nicht zu ziehen.
Vor einigen Jahren sah ich durch Zufall eine Graphik des Katapult-Magazins. Diese illustriert, wie viele Europäer bereit wären, im Falle eines Krieges für ihr Land zu kämpfen. Bei den Deutschen seien dies lediglich 18 Prozent, was weltweit der drittniedrigste Wert sei. Ein Artikel aus der Welt bestätigt dies. Insgesamt seien die Menschen im Westen „kaum noch bereit, zur Verteidigung ihrer Errungenschaften, ihrer Freiheit und ihres Reichtums zur Waffe zu greifen“. Man könnte nun einwenden, dass jene Errungenschaften keineswegs voraussetzungslos sind. Jedoch seien die Werte nicht überall in Europa derart niedrig. Hier wird gemutmaßt, dass historische Prägungen eine wichtige Rolle spielten. Der niedrige Wert Deutschlands wird mit einer Mentalitätsveränderung infolge des verlorenen Zweiten Weltkrieges erklärt.
Eine aktuellere Umfrage liefert die evangelische Nachrichtenagentur IDEA. Ihr zufolge würden mittlerweile schon 29 Prozent aller Befragten für Deutschland kämpfen, 35 Prozent hingegen nicht. Nach Frauen und Männer aufgeteilt, ließe sich feststellen, dass Männer (36 Prozent) eher bereit seien, Deutschland zu verteidigen, als Frauen (22 Prozent). Auch ein Blick auf die Unterschiede nach Altersgruppen ist hier interessant: So seien Bürger unter 40 weniger bereit (24 Prozent) als alle Älteren (im Schnitt 30 Prozent). Ganz markant auch ist die Feststellung, dass AfD-Anhänger den niedrigsten Wert (30 Prozent) nach Parteianhängern hätten.
Nun mag man sich die Frage stellen, ob das Sondervermögen hieran etwas ändern wird. Ausrüstung und Kriegsgerät lassen sich noch beschaffen, aber eine grundsätzliche Einstellung zur Landesverteidigung nicht. Woran liegt es? Die Frage, die sich jeder Soldat stellen muss, lautet: Bin ich bereit, für diese Gesellschaft, letztendlich diesen Staat mein Leben zu riskieren? Nicht wenige werden entgegnen: wofür? Dafür, dass einen das eigene Volk mit „höflichem Desinteresse“, wie es der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler einmal formulierte, begegnet? Was bieten einem die Streitkräfte und der dahinterstehende Staat an das Individuum Übersteigendem außer Wohlstand und einlullende sowie bräsig machende Berieselung sowohl durch öffentlich-rechtliche Medien? Zumindest der Wohlstand hierzulande ist zweifelsohne ein hohes Gut, aber weshalb sollte man gewillt sein, für das allgemeine Wohlstandsniveau sein Leben zu opfern? Jedweder positive Bezug zu Deutschland als Nation wird in den Streitkräften mittlerweile hysterisch gerahmt und bekämpft. Dann muss man sich auch nicht wundern, dass nur so wenige zur Verteidigung bereit wären. Da helfen auch keine 100 Mrd. Euro.