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Die Rolle der Fliege in der Geschichte

13. Oktober 2020
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Die Hütte brennt aber man hat gerade Wichtigeres zu tun als die Feuerwehr zu rufen. So scheint es schon immer zu sein. Als 1453 Mehmet II seine Kanonen vor Konstantinopel, der christlichen Hauptstadt des Oströmischen Reiches, in Stellung brachte, hatten die christlichen Gelehrten der Stadt auch gerade eine wichtige Frage zu klären. Es ging um die theologische Frage nach der Augenfarbe der Jungfrau Maria und um die Frage, ob eine ins Weihwasser gefallene Fliege dieses entweiht oder selbst geheiligt wird. Es ist nicht überliefert, ob diese Fragen letztgültig geklärt werden konnten – jedenfalls machten die Muselmanen dem Spuk ein Ende, die Stadt wurde erobert, geplündert, tausende Einwohner gemeuchelt. Heute heißt die Stadt Istanbul.

Und nun, fast 600 Jahre später, schon wieder eine Fliege. Diesmal auf dem Kopf des amerikanischen Vizepräsidenten bei einem live übertragenen Fernsehduell. Es geht eigentlich um nichts, nur um die Frage, wer die nächsten vier Jahre das mächtigste Land der Welt regiert. Was interessieren Inhalte?

Der Trash-Journalismus der Qualitätsmedien schlagzeilt „warum eine Fliege die sozialen Medien elektrisiert“ – er bleibt zwar die Antwort nach dem Warum schuldig aber dass eine Fliege in einer Welt, in der, sinnbildlich, bald kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird, so viel Aufmerksamkeit erregt, lässt tief blicken.

Es hat sich nichts geändert in den Grundstrukturen der menschlichen Psyche, nur die Spielzeuge sind moderner geworden. Vor 600 Jahren die Versammlung geistlicher Gelehrter, heute die digitale Versammlung von Kreti und Pleti im sogenannten Netz. Wirklich Wichtiges spielt keine Rolle, die Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsspannen gleichen denen flüchtender Zwergkaninchen.

Spätestens seit Le Bon weiß man „ die Abstimmung von vierzig Akademikern über allgemeine Fragen gilt nicht mehr als die von vierzig Wasserträgern“. Die sogenannte Schwarmintelligenz kann man getrost vergessen. Man sollte sich aber nicht täuschen. Diejenigen, die täglich die Arbeit der Propaganda, Gehirnwäsche und Charakterschulung zu verrichten haben, wissen sehr wohl, was sie tun.

Lassen wir am Ende eine Romanfigur aus „Fahrenheit 451“ zu Wort kommen: „ Stopfe ihnen den Kopf voll… bis sie sich zwar überladen aber umfassend informiert halten. Dann glauben sie, denkende Menschen zu sein… und sie sind glücklich. Es wäre falsch, ihnen… Philosophie oder Soziologie zu vermitteln… Das führt nur zu seelischem Unglück“.

Und hoffen wir, dass sich schlussendlich nicht herausstellt, die Fliege war eine chinesische Miniaturtestdrohne zur Gedankenkontrolle. Nicht auszudenken.

Udo Holm

Glücklicher Privatier und Hobbyschreiber mit grimmigem Humor und zunehmender Altersmilde. Geboren im grünen Herzen Deutschlands als Grün noch die Farbe der Blätter und nicht die Beschreibung eines Geisteszustandes war. Als guter Beobachter erkennt er seine Schweine am Gang und lässt sich nichts mehr vom Pferd erzählen. Lebt in Berlin und schreibt im "Spiegelsaal".

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