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Das „Freie China“ will nicht mehr chinesisch sein

16. Oktober 2020
in 3 min lesen

Taiwan ist gemäß der gültigen Verfassung die „Republik China“. Von den Portugiesen wurde es auf den Namen „Formosa“ getauft, aber nie betreten, hingegen kurz von Spaniern und Holländern besetzt. Schließlich wurde es zum Zufluchtsort für Chinesen, die während der Qing-Dynastie nicht unter der Herrschaft der Mandschus leben wollten.

1895, nach dem ersten japanisch-chinesischen Krieg, übernahm Nippon die von Peking fast vergessene Insel und machte sie in den 50 Jahren bis zur bedingungslosen Kapitulation im 2. Weltkrieg zur Musterkolonie.

Schrittweise wurde eine moderne Infrastruktur geschaffen, die zusammen mit der nach und nach eingeführten allgemeinen Schulpflicht sowie dem Zugang von Frauen zu Bildung die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung Taiwans in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildete.

Zu Zeiten des Kalten Krieges wurde Taiwan auch Freies China genannt, weil 1949 Chiang Kai-shek (1887-1975) nach der bitteren Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg mit seiner Regierung, vielen Mitgliedern der damaligen chinesischen Elite und knapp zwei Millionen Soldaten vor den Schergen Mao Tse-tungs (1893-1976) dorthin geflohen war.

Sein Traum von der Rückeroberung ganz Chinas aus den Händen der offiziell so genannten „kommunistischen Banditen“ sollte sich dabei nie erfüllen. Chiang starb 1975 in Taipeh, noch vor seinem ärgsten Feind. 1971 beging er einen äußerst folgenschweren außenpolitischen Fehler, nachdem auf Antrag Albaniens Taiwan den Alleinvertretungsanspruch für ganz China verloren hatte und die von ihm so gehassten chinesischen Kommunisten aus Peking Mitglied der Vereinten Nationen wurden.

Er weigerte sich konsequent, mit diesen unter einem Dach zu sitzen und verließ die UN. Bis heute bleibt Taiwan vor der Tür, da die Volksrepublik China konsequent jeden Versuch eines Wiedereintritts der aus ihrer Sicht „rebellischen Provinz“ durch ihr Veto im Sicherheitsrat verhindert.

Im Februar 1947 kam es zu schweren Unruhen zwischen enttäuschten alteingesessenen Chinesen und den korrupten und arroganten Vertretern der Nationalregierung in Nanking, die unzählige Opfer forderten. Nach fast vierzig Jahren Kriegsrecht begannen dann unter Chiang Ching-Kuo (1910-1988) ab Mitte der 80er Jahre zahlreiche Reformen, die sich nach und nach bis auf die unterste Ebene auswirkten.

Bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen im März 1996 wurde der schon amtierende Taiwanese Lee Teng-hui (1923-2020) gewählt, dessen Bruder als japanischer Marinesoldat im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Er prägte den als „Taiwanisierung“ bekannten Prozess entscheidend. Wegen seiner offenen Sympathie für ein unabhängiges Taiwan und entschlossenem Widerstand gegen eine zu enge Anbindung an China flog der langjährige Vorsitzende der KMT 2001 sogar aus seiner eigenen Partei und betätigte sich daraufhin politisch anderweitig.

Im März 2000 hatte sich bereits der Kandidat der Oppositionspartei DPP, der ehemalige Bürgermeister von Taipei Chen Shui-bian, aufgrund der Zersplitterung des prochinesischen Lagers bei der Präsidentschaftswahl durchsetzen können.

In einer Gesellschaft, in der die Befürworter einer wie auch immer gearteten eventuellen „Wiedervereinigung“ immer noch den Ton angaben, war dies sicherlich ein beachtlicher Erfolg derjenigen, die sich die Demokratie jahrzehntelang mühsam erkämpft hatten.

Neben vielen anderen Maßnahmen, die Eigenheiten hervorheben sollten, wurde unter Präsident Chen erstmals neben „Republik China“ das Wort „Taiwan“ auf die neu auszustellenden Reisepässe gedruckt, was bei der alten Garde der KMT zu heftigen Reaktionen führte.

Deren Versuch, nach ihrer Rückkehr an die Macht 2008 das Rad der Geschichte zurückzudrehen und “Taiwan“ wieder zu streichen, scheiterte auch aufgrund des entschiedenen Widerspruchs vieler taiwanischer Diplomaten. Diese argumentierten, dass es endlich gelungen sei, im Ausland ein Bewusstsein zu schaffen, dass Taiwan und China zwei getrennte Staaten seien. Dieser Erfolg dürfe nicht verschenkt werden.

Umfragen zufolge definieren sich immer mehr Inselbewohner als „Taiwanesen“ und nicht als „Chinesen“. Dies trifft auch auf die Nachkommen der Bürgerkriegsflüchtlinge zu, die ein kommunistisches, undemokratisches China nicht als ihre Heimat ansehen.

Gerade wegen der vielen wirtschaftlichen Bindungen zwischen beiden Seiten prägt nämlich mittlerweile die große Mehrheit der Taiwanesen das Bewusstsein, anders zu sein als ihre angeblichen „Brüder und Schwestern vom Festland“ und dies auch bleiben zu wollen.

Die politische Entwicklung im benachbarten Hong Kong, wo nach monatelangen gewaltsamen Protesten gegen die Zentralregierung seit Juli 2020 ein neues Sicherheitsgesetz zur Bekämpfung von Separatismus und Subversion gilt, stärkt dieses Gefühl weiter.

Die Wiederwahl der seit 2016 amtierenden DPP-Präsidentin Tsai Ing-wen (Jahrgang 1956) im Januar diesen Jahres ist hauptsächlich auf die Aufstellung eines völlig überschätzen KMT-Kandidaten zurückzuführen.

Weitere Spannungen mit dem 2018 als Herrscher auf Lebenszeit gekürten Xi Jinping (Jahrgang 1956) sind vorprogrammiert, vor allem die aus dessen nicht verhandelbaren „Ein–China-Prinzip“ resultierenden außenpolitischen Verwicklungen: andere Länder können gleichzeitig keine diplomatischen Beziehungen mit Taiwan und China haben.

Daher führte der kürzlich in Taipei erfolgte Besuch einer umfangreichen tschechischen Delegation, angeführt von Senatspräsident Milos Vystrčil, der immerhin das zweithöchste Amt im Staate bekleidet, seitens der Roten Mandarine zu offenen Drohungen gegen Prag.

Immerhin stehen die USA unter Präsident Donald Trump mehr denn je zu Taiwan Von daher erscheint ein Angriff der Volksbefreiungsarmee eher unwahrscheinlich. Doch Tattergreis Joe Biden (beziehungsweise das Weibsstück Kamala Harris) dürften dagegen einen ganz anderen, sehr chinafreundlichen Kurs fahren.

Ich habe fast 20 Jahre im ehemaligen Formosa gelebt und fühle mich Land und Leuten sehr verbunden. Daher bereitet es mir ebenfalls Sorgen, dass dort zunehmend progressive Sirenenklänge auf offene Ohren stoßen. Nach den desaströsen Erfahrungen im Westen könnte sich dies nämlich mittelfristig als das größere Problem herausstellen…

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Flying Dutchman.

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