Von Felix Cassel
Wer andere in den Dreck zieht, macht sich selber schmutzig. Bei den aktuellen Entwicklungen rund um die Einstufung der Jungen Alternative (JA) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz liegt diese Weisheit schnell auf der Zunge. Aber was steckt hinter den Einstufungen, welches Potenzial hat das Ganze und retten wir damit unsere Demokratie?
Seinen Lauf nimmt alles im Januar 2019, als das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD sowie ihre Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als sogenannten „Verdachtsfall“ einstuft. Hierfür bedienen sich die Beamten der Presseberichterstattung und öffentlichen Aussagen von Funktionären und Mandatsträgern. Diese werden dann wahlweise aus dem Kontext gerissen oder in einen anderen Kontext eingebettet, bis man sich seinen Verdacht über AfD und JA als gegen den Kern des Grundgesetzes gerichtete Bestrebungen zusammengebastelt hat.
Gegen diese Einstufung kurz vor der europäischen Parlamentswahl am 26. Mai 2019 erheben AfD und JA Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln. 2022, also nach drei Jahren, weist das Verwaltungsgericht die Klage ab – AfD und JA legen Berufung ein. Über die Berufung soll im März 2024 vor dem Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt werden. Während also die Frage des Verdachtsfalls noch gar nicht endgültig geklärt ist, legt das Bundesamt für Verfassungsschutz im April 2023 nach und verkündet die Einstufung mehrerer patriotischer Akteure als „gesichert rechtsextremistische Bewegung“; darunter neben dem „Institut für Staatspolitik“ und dem Bürgernetzwerk „Ein Prozent“ auch die JA.
Gegen diese „Hochstufung“ der JA zur gesichert extremistischen Bestrebung kurz vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern wehren sich AfD und JA erneut vor dem Verwaltungsgericht Köln. Neben dem Hauptsacheverfahren stellen sie auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, der es dem Bundesamt für Verfassungsschutz bis zur Klärung in der Hauptsache untersagen soll, an der Hochstufung festzuhalten. Und genau über diesen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde nun entschieden. Das bedeutet folglich noch nicht, dass die JA erwiesen extremistisch ist, sondern lediglich, dass das Gericht es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht verbietet, bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren an der Einstufung festzuhalten.
Zusammengefasst bedeutet das: Ob AfD und JA als Verdachtsfall behandelt werden dürfen, wird demnächst in zweiter Instanz verhandelt. Ob die JA zusätzlich sogar als „erwiesen extremistisch“ behandelt werden darf, wird aktuell in erster Instanz verhandelt. Bis zum Ende der Verhandlung darf das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Behauptung aber aufstellen.
Wenn das geklärt ist, stellt sich die Frage, was das jetzt für die JA heißt. Eigentlich erstmal gar nichts. Denn diese „Hochstufung“ zur „gesichert extremistischen“ Bewegung kennt das Bundesverfassungsschutzgesetz nicht. Es ist ein Konstrukt, welches sich das Bundesamt für Verfassungsschutz ausgedacht hat. Scheinbar konnte die Bezeichnung als „Verdachtsfall“ gesellschaftlich nicht mehr die erhoffte Abschreckungswirkung entfalten. Demnach brauchte es eine neue Einstufung, unabhängig von juristisch normierten Kategorien. Demnach darf die JA ebenso wie die AfD auch weiterhin mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht und auch inoffizielle Informanten – sogenannte V-Männer – eingeschleust werden. Das durfte der VS aber bereits seit 2019.
Interessanter ist das aktuelle Urteil in einer anderen Frage. Nämlich, ob die Junge Alternative durch das Innenministerium einfach verboten werden kann. In seinem Urteil lässt das Verwaltungsgericht keinen Zweifel daran, dass es die JA als Teil der AfD sieht und der Jugendorganisation dadurch auch Privilegien aus Art. 21 GG zugutekommen. Diese sprechen Parteien im Vergleich zu Vereinen besondere Rechte zu. Ein Vereinsverbot durch das Ministerium wäre damit theoretisch vom Tisch. Fraglich ist natürlich, ob sich das Ministerium von Nancy Faeser (SPD) auch an die Auslegung dieser Rechtssprechung hält. Immerhin hätte ein Verbot der JA durch das Innenministerium zur Folge, dass sämtliche Vereinskonten eingefroren und die Wohnungen der Funktionäre durchsucht werden könnten. Dass man sich als JA danach erfolgreich gerichtlich gegen die Maßnahmen wehren könnte, scheint in dem Zusammenhang der bis dahin geschehenen Grundrechtseingriffe lediglich ein schwacher Trost zu sein.
Also wozu diese ganze Hochstufung der JA zur erwiesen extremistischen Bestrebung, wenn daraus – wie das Verwaltungsgericht bestätigt – keine Aussage über die rechtliche Beurteilung folgt, „ob die mutmaßliche Bestrebung extremistisch ist oder nicht“? Die Antwort hierauf liegt in der Funktionsweise des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz ist längst keine neutrale Behörde mehr, die als letzte Instanz zwischen Staatsfeinden und unserer Demokratie steht. Er ist ein Inlandsgeheimdienst, der dem jeweiligen Innenministerium direkt untersteht. Die Verfassungsschutzpräsidenten sind nicht nur weisungsgebunden – müssen also ausführen, was die Minister vorgeben -, sondern auch politische Beamte. Sie können somit jederzeit aus ihrem Amt entfernt werden, wenn sie das Missfallen ihres Dienstherren auf sich ziehen; der Fall Maaßen lässt grüßen. Die Arbeit des Verfassungsschutzes findet dabei im legalistischen Raum statt. Er spürt keine Kriminellen auf, sondern definiert im öffentlichen Diskurs durch seine Einstufungen, wer aus seiner Sicht – bzw. aus Sicht seiner Dienstherren – missliebige Meinungen vertritt, die zwar legal, aber ungewollt sind.
Man kann sich schließlich die Frage stellen, was hier vom Verfassungsschutz geschützt werden soll: Die Verfassung oder die Regierung? Bekämpft der Verfassungsschutz Gefährder der Demokratie oder wird er selbst zur Gefahr für sie?
Felix Cassel studiert Rechtswissenschaft in Bonn und dürfte einer der seltenen Fälle sein, die durch das Studium konservativer geworden sind. Inzwischen ist er seit drei Jahren Landesvorsitzender der Jungen Alternative NRW. Für die AfD sitzt er in der Bonner Bezirksvertretung.