Deep Seek – Weckruf aus China

5. Februar 2025
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Da blieb selbst der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29. Januar, die ansonsten für Peking nur Gift und Galle kennt, vor Staunen der Mund offen:

„Es ist eine Erfolgsgeschichte, die eigentlich viel besser ins kalifornische Silicon Valley passt als in die chinesische Volksrepublik: Ein kleines Start-up mischt mit bahnbrechender Technologie die gesamte Branche auf und wird über Nacht zum Star der Tech-Welt. Der chinesischen KI-App Deep Seek ist genau das passiert. Und das trotz des Stigmas der trägen chinesischen Planwirtschaft und trotz zahlreicher Barrieren wie dem US-amerikanischen Ausfuhrverbot von KI-Chips an China.“

Von wegen „träge Planwirtschaft“: Seit Jahren ist China führend beim Bau von Hochgeschwindigkeitszügen; unter den Top 10 der weltweit meistverkauften Elektroautos befinden sich drei chinesische Marken, an erster Stelle der Hersteller BYD („Build Your Dream“); seit 14 Jahren ist die Volksrepublik Weltmarktführer im Schiffbau, ihre Unternehmen bauen sowohl Kreuzfahrt- als auch Containerschiffe sowie Flüssiggas-Tanker; die Kurzvideo-App TikTok hat längst Facebook überholt und ist mit mehr als 170 Millionen Nutzern in den USA so erfolgreich, daß sie dort wegen angeblicher Spionagemöglichkeiten vor dem Verbot steht; chinesische Internetfirmen wie Huawei, Tencent, Alibaba etc. haben mit staatlicher Hilfe das größte 5G-Netz der Welt aufgebaut, im Fokus stehen jetzt Forschung und Entwicklung der 6G-Technik in den Bereichen humanoide Roboter, Meta-Universum und Quantentechnologie.

Im Meta-Konzern von Mark Zuckerberg wurde nach Berichten des Redaktionsnetzwerks Deutschland ein Team eingerichtet, das sich auf die Analyse der im chinesischen Jahr der Schlange auch in den USA veröffentlichten App von Deep Seek („Tiefe Suche“) konzentrieren soll. Im Gegensatz zu den amerikanischen Konzernen ist die nicht nur kostengünstigere chinesische Konkurrenz ein Open-Source-Modell: Es hat seine Programmcodes veröffentlicht, damit die Angaben zur Leistungsfähigkeit überprüft werden können; somit kann jedes Unternehmen der Welt damit arbeiten. Mark Hawtin, Chef der britischen Fondsverwaltungsgesellschaft „Liontrust Asset Management“, spricht daher gegenüber dem US-Sender CNBC von einem „großen Geschenk der Menschheit“, nun ein solches offenes Modell zu haben. Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ (29. Januar) zitiert ihn:

„Die Demokratisierung von KI ist absolut phantastisch für all die kleineren Unternehmen, die ihre eigenen kleinen Modelle bauen und ihre eigenen Geschäfte führen wollen.“

Auch in diesem Punkt kommt die „Süddeutsche“ nicht um ein Lob herum. Deep Seek zeige, daß die Welt nicht von KI aus den Vereinigten Staaten abhängig bleiben müsse. Jeder könne sich nämlich jetzt die Software holen und für seine Zwecke anpassen. Das bedeute: Billige, gar kostenlose Hochleistungs-Intelligenz für alle Menschen sei möglich, zum Beispiel als Assistent im Privaten oder im Beruf. Das „Aber“ läßt jedoch nicht lange auf sich warten: „Als chinesische Firma ist Deep Seek dem Zugriff einer Diktatur ausgeliefert… KI ist jetzt Geopolitik – am Ende wird es darum gehen, wer sie am besten in sein Militär integrieren kann.“

Die Menschenrechts-Belehrungen können daher selbstverständlich nicht ausbleiben, auch wenn jener Redakteur, der das Eingangs-Zitat geschrieben hat, nicht einmal weiß, was im Chinesischen Vor- und Nachname ist. In seinem Beitrag über Liang Wenfeng, den Gründer von Deep Seek, nennt er ihn ständig Wenfeng – so als hieße der Gründer der Volksrepublik nicht Mao, sondern Tsetung.

Schon vor fünfzehn Jahren hatte Vize-Außenministerin Fu Ying Redakteure der „Zeit“ gewarnt: „Wenn Sie China immer an Ihren Maßstäben messen, und wenn Sie erwarten, China werde eines Tages wie der Westen sein, dann wird diese Hoffnung Sie immer wieder trügen. Sie sollten jedenfalls nicht glauben, daß alle in China ohne Gehirn herumlaufen – 1,3 Milliarden Menschen.“ Mittlerweile sind es bereits 100 Millionen mehr.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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  1. Ein schöner Artikel, ich freue mich, dass darüber auch aus Sicht der Krautzone berichtet wird.
    Ein kleiner Fehler hat sich allerdings eingeschlichen: Wirklich quelloffen ist eine KI dann, wenn auch der Code zum Trainieren mitveröffentlicht wird. Dies ist hier allerdings nicht der Fall, da nur die Gewichte für die Neuronen veröffentlicht werden. Man spricht im Englischen dann von „open-weight“.

    Wenn man dann das „Aber“ der Süddeutschen noch weiter schwächen möchte, so lässt sich noch sagen, dass ein nicht bei den Chinesen betriebenes System, z.B. auf dem eigenen Rechner noch viel unabhängiger ist. Ohne Deep Seek App/Api fallen schon viele der Zensurmaßnahmen weg und man kann unangenehme Fragen stellen. Zwar mag das grundsätzliche System noch etwas pro-chinesisch sein, aber selbst das lässt sich durch Umtrainieren abmildern und die KI erzählt fast so gerne von Tianmen wie von der PKS.

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