Die Verleugnung des Eigenen

14. Mai 2025
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Heribert Prantl, ehemaliger Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, versuchte in seiner Kolumne am 9. Mai, das Verhältnis des neuen Bundeskanzlers zur Kultur zu ergründen, indem er Bezug auf Helmut Kohl nahm, der seinerzeit erklärt hatte, er sei „gut in Hölderlin“:

„Da er [Friedrich Merz – d. Verf.] sich einst, in seiner Vor-Merkel-Zeit als kurzzeitiger Fraktionschef der Union im Bundestag, gern über eine ´deutsche Leitkultur´ verbreitet hat und von den Migranten in Deutschland die Einordnung in diese Leitkultur gefordert hat, könnte es gut sein, dass er ´gut in Grimms HausmärchenË‹ ist.“

In dieser Sammlung, so Prantl, gebe es nämlich ein Märchen, das von jemandem handle, „der auszog, das Fürchten zu lernen“, aber dann dafür ziemlich lange brauche; das passe irgendwie zu Merz. Das Gruseln habe er zwar im ersten Wahlgang gelernt, als er durchfiel. Jetzt müsse er aber zeigen, ob er es wage, einen Verbotsantrag gegen die gruselige AfD zu stellen.

Daß sich ein derartiges Verbot in Wahrheit gegen die Existenz des eigenen Volkes richtet, wird von seinen eifrigen Verfechtern natürlich verschwiegen. Schuld an Deutschlands innerer Zerrissenheit sind weder Putin noch Trump – der eine vom politischen und medialen Mainstream dämonisiert als unberechenbares Ungeheuer, der andere karikiert als hirnloser Spinner. Schon seit Jahrzehnten findet im Land ein Kulturkampf auf nahezu sämtlichen Ebenen statt: in Theatern und TV-Filmen, auf Buchmessen und in Verlagen, auf Kirchentagen und in Universitäten, am Arbeitsplatz und selbst im Verwandten- und Freundeskreis. Im Kern geht es um das historische und kulturelle Erbe Deutschlands, das durch Straßenumbenennungen, zunehmende Individualisierung im Namen von Diversität, Gleichheit und Inklusion sowie durch allseitige Wokeness ausgelöscht werden soll.

Unter der Rubrik „Was die AfD so gefährlich macht“ veröffentlichte die SZ am 5. Mai Argumente aus den 1.100 Seiten des Gutachtens, die das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz zur Hochstufung der Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ geführt haben: Die AfD vertrete „mit Gewissheit einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff, mit dem sie Staatsbürgerinnen und -bürger mit Migrationsgeschichte als Deutsche zweiter Klasse behandelt“, lautet das Fazit des Inlandsgeheimdienstes. „Dies ist mit der Menschenwürde-Garantie nicht vereinbar.“

Als Belege werden etliche Zitate von AfD-Politikern aufgelistet. So habe Vize-Chefin Alice Weidel 2024 in einer Wahlkampfrede erklärt: „Das Herumgemessere, die Vergewaltigungen“ seien Phänomene, „die völlig neu sind in unserem Land“ seien. Im Juni 2023 habe sie gesagt, in Deutschland seien „Parallelgesellschaften gefördert“ worden. „Messerkriminalität“ sei „aus gewaltbereiten Kulturen“, etwa aus Afrika und dem Nahen Osten, nach Deutschland gekommen. AfD-Bundesschriftführer Dennis Hohloch warnte davor, daß das „Wahlvolk ausgetauscht“ werde. Im August 2024 behauptete er: „Multikulti bedeutet Traditionsverlust, Identitätsverlust, Verlust der Heimat, Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigungen“.

Wer wollte diesen Aussagen widersprechen? Rechtswissenschaftler wie Dietrich Murswiek bestätigen auch, daß es ein deutsches Volk im ethnisch-kulturellen Sinn gibt. Das sei nicht verfassungswidrig, sondern eine Tatsache. Auch das Grundgesetz gehe davon aus, wenn es in Artikel 116 von deutschen „Volkszugehörigen“ im Unterschied zu Staatsangehörigen spricht. Falsch sei hingegen, daß dieses Volksverständnis der AfD impliziere, daß die Partei Staatsangehörige mit Migrationshintergrund in menschenrechtswidriger Weise benachteiligen wolle. Im Gegenteil habe sich die AfD ausdrücklich dazu bekannt, daß alle Staatsangehörigen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit die gleichen Rechte haben.

Doch letztlich führt nichts am Offensichtlichen vorbei: Auch mit deutschem Paß bleibt ein Kongolese ein Afrikaner und ein Vietnamese ein Asiate. Damit zeichnet sich die bunte Zukunft dieses Landes ab, denn im Koalitionsvertrag unter dem Motto „Verantwortung für Deutschland“ heißt es unmißverständlich: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“ Ob diese Regierung „tatsächlich die letzte Patrone der Demokratie“ ist, wie CSU-Chef Markus Söder unkte, oder ob sie das Ende eines volksfeindlichen Systems beschleunigt, wird sich zeigen.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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  1. Die Zukunft Deutschlands ist nicht bunt, sondern deutsch. Remigration ist alternativlos. Wobei natürlich auch danach eine gewisse Buntheit im Rahmen übrig bleiben wird.

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