Ein Relikt der Bonner Republik

20. März 2025
in 3 min lesen

Normalerweise schreibe ich in meinen Kolumnen nicht viel über persönliche Begebenheiten und Erlebnisse. Hiermit möchte ich einmal davon abweichen und ein paar ambivalente Gedanken über die „gute alte Zeit“ der West-Boomer verlieren. Ich schimpfe ja oft, wirklich sehr oft über die Bundesrepublik, und zwar nicht nur über ihren jetzigen Zustand, sondern auch über die Periode, die allgemein als die „Bonner Republik“ bezeichnet wird – also den Zeitraum bis zur Wiedervereinigung.

Natürlich gab es viel Schlechtes in dieser Zeit: Reeducation, Amerikanisierung, die 68er-Bewegung, die umlagefinanzierte Rentenversicherung und so vieles mehr. Aber diese alte Bonner Republik war auch durch einen Typus Mensch geprägt, der mir nicht nur negativ erscheint, sondern den wir in den kommenden Jahren stark vermissen werden könnten. Ein Typus Mensch, der vielleicht auch deswegen so interessant wirkt, weil er eben noch etwas von dem Deutschland in sich trug und trägt, das vor 1945 (und auch vor 1933) existierte, auch wenn er dieses Deutschland nicht mehr aktiv miterlebte oder zumindest mitgestalten konnte. Wer dazu zählt, lässt sich schwer sagen, womöglich die Generation grob von 1925 bis 1945, also die, die im US-amerikanischen Sprachgebrauch der „Silent Generation“ entspricht.

Genau diesen Typus habe ich am vergangenen Sonntag predigen hören. Wie einige vielleicht wissen, bin ich dem christlichen Glauben eng verbunden. Trotz atheistischer Erziehung (wie es in der ehemaligen DDR eben üblich war und ist) und fehlender Kirchenmitgliedschaft (was ich jetzt auch nicht so schlimm finde…) bin ich ein regelmäßiger Kirchgänger – und zwar nicht nur als normales Gemeindemitglied auf der Kirchenbank, sondern als Kirchenmusiker. Seit gefühlt zig Jahren spiele ich in meiner mitteldeutschen Heimat das jeweilige verfügbare Tasteninstrument (die Orgeln dort sind nicht immer im besten Zustand…) und lausche dann natürlich auch der Predigt des Pfarrers, was auf dem Land meistens wesentlich erträglicher ist als in der großen Stadt (obwohl evangelisch und Landeskirche (!)).

Am Sonntag war der Gottesdienst ein wenig anders als sonst, denn er wurde nicht von unserem „Dorfpfarrer“ gehalten, sondern von einem Pfarrer im Ruhestand, der mit jedem Atemzug den Geruch (oder Gestank) der Bonner Republik ausatmete. Anlass seiner Gastpredigt war sein 80. Geburtstag. Geboren in den letzten Kriegsmonaten, wuchs er in meinem Heimatdorf auf, alsbald mussten er und seine Familie jedoch fliehen, da die Bolschewisten im Zuge der DDR-Landreform ihren Grund und Boden haben wollten.

Die Flucht führte ihn nach Wuppertal, wo er evangelische Theologie studierte und seine eigene Familie gründete. Wuppertal konnte man bis vor einiger Zeit sicher als eine evangelische Insel im katholischen Meer des Rheinlands betrachten, und so beeinflussten ihn die konfessionellen Gegensätze sehr: Er erzählte beispielsweise, dass ihnen als Jugendliche der Besuch des Karnevals unter der Androhung, vom Konfirmandenunterricht ausgeschlossen zu werden, verboten wurde und dass der Aufenthalt im katholischen Krankenhaus vom Naserümpfen (das ist noch nett ausgedrückt) der Schwestern angesichts seiner Konfession geprägt war. Seine Heimat vergaß er nie, und so entschloss er sich nach der Wende, sein Elternhaus zurückzuerwerben und wieder in mein Heimatdorf zu ziehen, wo er auch bis vor Kurzem blieb – die Ferne zu den Kindern, das Alter und das Heimweh seiner rheinischen Ehefrau bewogen ihn, wieder zurückzuziehen.

Ein unglaublich belesener Mann, der seine Predigten gerne mal fast als theologische Vorlesung gestaltete. Mit einer warmen, sonoren Bassstimme trug er sie der Gemeinde vor. In seinen Gottesdiensten legte er Wert auf eine liturgisch korrekte, traditionelle Form, und die Lieder wählte er immer mit großem Bedacht aus: Poplieder, mit Klampfe vorgetragen, kamen – Gott bewahre! – nie vor, stattdessen wurden alte Choräle runtergeschmettert, meistens aus der Reformations- oder Barockzeit (Lutherchoräle schätzte er selbstverständlich besonders hoch). Politik kam in seinen Predigten so gut wie nie vor (es sei denn, es betraf die politisch-konfessionellen Fragen des 17. Jahrhunderts…), davor hütete er sich – auch das in einem modernen, evangelischen Gottesdienst unvorstellbar.

Und was bleibt übrig von dieser Art von Mann? Die Zukunft der evangelischen Kirchen, geschweige denn Deutschlands, bilden sie nicht ab. Und die Ursache dafür liegt – leider – bei diesen Männern selbst. Der größte Fehler dieser Generation war ihre Verschlafenheit gegenüber den Linken, ihre Passivität, ihre Unfähigkeit, die Gefahr zu erkennen und zu handeln. Sie hätten ihren Nachfolgern so viel geben können, waren aber nie in der Lage, ihr reiches Erbe weiterzutragen. Da helfen die größte Bildung und die besten Predigten nicht, wenn ihre Worte vor zwölf Leuten verhallen, die so alt sind wie sie selbst. Diese Männer haben leider nie den Kampf angenommen, sondern stattdessen CDU gewählt.

Der Zeitgeist streifte an ihnen vorbei, und da ist eben die Ehe des eigenen Sohnes mit einer Katholikin eine größere Tragödie als die Flutung des eigenen Vaterlandes mit orientalischen Migranten durch die vermeintlich konservative Partei, die man schon seit der Adenauerzeit gewählt hat. Das ist das Schreckliche am Erbe der deutschen Silent Generation: dass wir es eben nicht mehr antreten können. Uns bleibt nur das Schlechte, das Gute verblasst bald in den Erinnerungen an eine einfache Zeit…

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

1 Comment Schreibe einen Kommentar

  1. „Der größte Fehler dieser Generation war ihre Verschlafenheit gegenüber den Linken, ihre Passivität, ihre Unfähigkeit, die Gefahr zu erkennen und zu handeln.“

    Ich habe diese Generation in meiner Jugend noch live erlebt und kann sagen: Sie war ein Produkt ihrer Zeit und hat ihre Einstellungen und Überzeugungen eher unbewusst aufgenommen. Daher hatten sie den stärker werdenden Linken mental auch nichts entgegenzusetzen. Ihre häufigste Reaktion auf linkes Gebaren war das verständnislose Kopfschütteln. Später haben sie die linke Dominanz in Politik, Kultur und Gesellschaft stillschweigend akzeptiert. Wenn sie sich heute noch öffentlich zu Wort melden, wirken sie wie aus der Zeit gefallen.

Comments are closed.

Mehr vom Autor