Beim letzten sonntäglichen Waldspaziergang kam die Debatte um meine Lieblingsjahreszeit auf. Ich druckste rum und fand keine schlagfertige Antwort. Furchtbar. Vermutlich ist es die Zeit zwischen Winter und Frühling. Wenn alles erwacht, die Sonne mit mir um die Wette strahlt und das Gras wieder grün wird. Wobei das wohl einer eine Phase ist, anstatt einer konkreten Jahreszeit. Wie dem auch sei.
Ein paar Tage später beschäftigt mich das Thema immer noch. Und ich staune über mich selbst, wie ich meinem Gegenüber eine präzise Antwort verwehren konnte. Inzwischen ist es mir aber wieder eingefallen. Es ist weder Frühling, Sommer, noch Herbst oder Winter. Es ist die fünfte Jahreszeit – Karneval!
Montagabend, kurz nach sieben Uhr. Ich bin seit knapp 14 Stunden auf den Beinen aber nun geht es erst richtig los. Schnell noch die Turnschuhe angezogen und dann: Aufstellung. Die Musik läuft, die Schritte werden einstudiert und wiederholt und wiederholt und wiederholt. Rechts, links, rechts, Drehung, Knie hoch, Bein noch höher…
Die ganze Zeit hämmert es im Kopf, dass der Auftritt immer näher rückt. Aber man steht noch hier, in seiner Jogginghose, kaputt vom Tag und leicht angespannt, ob man die fünf Minuten Gardetanz auch vernünftig über die Bühne bringen wird. Doch bevor man noch weiter mit seinen Gedanken abschweift, da geht es schon weiter. Nach zwei Stunden und der alles entscheiden Frage, „dreh ich mich jetzt rechts oder links herum?“, auf welche zumeist die Antwort „rechts rum Klara!! Reeechts!!“ folgt, falle ich erschöpft auf den Autositz und fahre nach Hause. Erschöpft aber zufrieden.
Am Freitagabend folgt dann das Gegenstück – die Proben des Männerballetts. In diesem Jahre wurde mir die überaus herausfordernde Aufgabe zu Teil, ein Dutzend Männer zu trainieren. Mir. An etlichen Freitagabenden. Meine Begeisterung hielt sich anfangs in Grenzen, aber mein Pflichtbewusstsein und meine jahrzehntelange Mitgliedschaft ließen mich die Situation dann doch besser verkraften als ursprünglich angenommen. Das Gute an den Abenden: sie verlaufen völlig konträr zu den durchorganisierten Proben von uns Mädels.
Bevor es losgeht, werden erst einmal einige Biere vernichtet. Angeheitert betreten die Männer den Saal, schauen mich an. Ich stehe da, alle warten darauf, was ich verkünden werde. Und ich soll jetzt diesen Burschen sagen, wie und wann sie was zu tanzen haben?! Zu meiner Überraschung hören alle aufs Wort. Wahnsinn. Die Truppe anführen? – kann ich! Es macht sogar richtig Spaß. Aber da gebe ich natürlich nicht direkt zum Besten. Sie sollen sich schließlich auch noch bei den folgenden Proben anstrengen.
Doch wozu der ganze Zirkus – ähh Karneval? Ganz einfach: für das Gefühl, wenn man dann wieder zum ersten Mal auf dem Parkett steht. Die Stiefel geschnürt. Das Gardekostüm sitzt, der Hut auch. Zuvor wurden akribisch genau Glitzersteinchen im Gesicht angebracht. Die Musik ist noch aus. Alle warten gespannt. Das Licht der Scheinwerfer lässt die Anspannung noch steigen. Man schaut nochmal rechts und links von sich. Hab ich auch das richtige Bein angewinkelt? Ach das wird schon! Wo bleibt die Musik?! Ich hör mein Herz schlagen.
Und dann: Zack, Boom!! Der erste Takt der Liedes ertönt. Und es wird getanzt, als gäbe es keinen Morgen mehr. Dieses Gefühl, wenn man spürt, dass die Schritte ins Blut übergegangen sind und man sich einfach nur treiben lassen muss – fantastisch. Man strahlt mit den Scheinwerfern um die Wette. Aber man sieht weder sich, noch die Gesichter im Publikum. Man hört nur, wie alle jubeln und klatschen. Doch der Tanz ist noch nicht vorbei. Die Hälfte ist geschafft. Jetzt noch einmal richtig Vollgas geben. Auch, wenn die Luft schon wegbleibt. Atmen nicht vergessen.
Scheinbar süchtig nach Applaus, tanzt man mit noch mehr Elan und Inbrunst, als zu den Proben. Die letzten Sekunden laufen. Die Endposition wird eingenommen. Konfetti fällt nieder und ein Gefühl der absoluten Vollkommenheit macht sich breit. Ach, ist das schön.
Aufstehen. Ausmarsch. Oder doch nicht? „ZUUU-GAA-BE!!“, ruft das Publikum. Angeheitert von Bier, Schnaps und der guten Laune, die sich in der Luft des Saals bereitgemacht hat. Also, wieder zurück zur Aufstellung und noch eine Runde. So könnte es von mir aus den ganzen Abend weiter gehen. Bis die Stiefel durchgetanzt sind. So geschieht es dann auch.
Nach erfolgreichen Auftritten geht es zurück in die Umkleide. Umziehen. Denn nach dem Programm und der letzten offiziellen Schunkelrunde folgt der Partyteil des Abends. Nicht vergessen sollte man aber, dass an der Bar schon ein frisch gezapftes Bier auf mich wartet. Ist das erstmal ausgetrunken, folgen unzählige Cocktailrunden mit den Mädels. Und Schnapsrunden mit den Jungs.
Ich stürme auf die Bühne und sage dem Gitarristen, dass das nächste Lied von Wolle Petry sein muss! Natürlich spielt die Band es. Freude macht sich breit. Noch schnell drei Schlucke Bier, dann das Glas weg und zurück auf die Tanzfläche gestürmt. Während man überlegt (wenn man denn noch überlegen kann), was man wohl als Nächstes beim Barkeeper bestellt, ruft man der Kellnerin noch „einmal Pommes Schranke, bitte“ zu. Da sitzt man nun also. Betrunken, glücklich, mit einer Portion Pommes, all seinen Freunden und Lieblings-Tanzpartnern. Um einen herum nur glückliche Gesichter. Kein Streit. Keine Angst vor dem Kater morgen. Einfach die wahre Wonne.
Ich bin schon bei dem Gedanken daran, ganz verliebt in dieses Szenario. Doch bevor ich mich jetzt aufrege, dass das Alles „aufgrund der aktuellen Lage“ nicht wie üblich möglich sein wird, schwelge ich weiter in der Erinnerung der letzten Saison und diesem Gefühl, wie schön es sein wird, wieder zu tanzen.