Ich sag’s vorab: Ich war Teil des Krah-Hypes im Sommer dieses Jahres. Übertrieben habe ich es gewiss nicht, dennoch habe ich sein Buch „Politik von rechts“ sehr gern gelesen – auch wenn ich natürlich nicht mit allen seinen Thesen und Punkten einverstanden war, habe ich ihnen im Großen und Ganzen zugestimmt –, und auch die „TikTok-Offensive“ betrachtete ich mit Wohlwollen, da sie doch einen merkbaren Einfluss auf die Jugend zu haben schien – seine Sprüche von „Echte Männer sind rechts“ bis zu „Du bist Deutscher, mach was draus!“ sind in den Köpfen hängen geblieben.
Aber nach jedem Aufstieg kommt die Stagnation, wenn nicht gar der Fall – gerade, wenn man seine Hoffnungen auf einen Politiker der AfD legen möchte. Höcke zum Beispiel versteift sich auf nerviges Pazifismus-Gerede, wohl um die mittelalte, russophile Wählerschaft im Osten abzuholen; seine Positionen hat er aber seit Jahren nicht wirklich weiterentwickelt, und seine Reden sind alles andere als spannend – zumindest in den meisten Fällen. Bei Krah ist das Phänomen anders, seine Thesen in letzter Zeit lassen einen sich eher verwundert am Kopf kratzen.
Da wäre die Sache mit der Türkei. Seit einigen Monaten konzentriert er sich mit seinen Tweets und Äußerungen auf den anatolischen Staat jenseits des Balkans und betont die Wichtigkeit der geopolitischen Partnerschaft, wohlgemerkt in Erinnerung an die Waffenbrüderschaft von 1915 bis 1918. Es mag ja sein, dass Ankara irgendwann ein interessanter Partner werden könnte, doch momentan ist das nicht zu erkennen – eher stellt man sich von Seiten der Türken in die Tradition der Wiener Türkenbelagerungen von 1529 und 1683 als in die Tradition der Schlacht von Gallipoli von 1915. Und taugt diese Offerte wirklich, um türkische Wähler in der Bundesrepublik für sich zu gewinnen? Wohl eher kaum. Man verliert eher deutschnational gesinnte, rechte Wähler und vom Alltagsleben in der Großstadt geprägte Jungwähler – die Krah ja mit seinen Kampagnen im Sommer eben erst für sich und die AfD gewinnen konnte –, als dass man türkische Wähler gewinnen kann.
Jüngst erregte Krah mit einem englischsprachigen Interview mit der „Asia Times“ für Aufsehen, in dem er sich über das jüdische Leben in Deutschland und Europa äußert. Und wie das Wellen geschlagen hat! Besonders das Statement „Without Jews, Europe ‚intellectually uninteresting‘“ stieß vielen sauer auf – und zwar zu Recht. Dieses Thema überhaupt anzufassen, ist angesichts des momentanen politischen Klimas ein Drahtseilakt, denn jede öffentliche Äußerung zum Thema Judentum von unserer Seite kann und wird vom politisch-medialen Komplex bösartig zu unserem Nachteil ausgelegt werden; auf der anderen Seite muss man sich irgendwann zu dem Thema positionieren und Stellung beziehen.
Das Problem ist, dass man die positiven Ergebnisse deutsch-jüdischer kultureller Interaktionen – sei es nun die Musik Mendelssohns, die Lyrik Heines (die ich beide durchaus schätze, aber nicht für den Gipfel der Kunst halte) oder jüdische Musiker im 19. und 20. Jahrhundert, deren Beitrag zum europäischen und deutschen Konzertleben man nicht missen will – nicht nur positiv erwähnen darf, sondern sie fast sklavisch überhöhen muss, während man Schattenseiten – Luxemburg, Hirschfeld, Adorno – eher unerwähnt lassen oder eben doch wieder lobend erwähnen soll. Das ist alles andere als ein gesundes Verhältnis sowohl zur eigenen Geschichte als auch zum Judentum selbst.
Wir sollten nicht mehr in der Position als Bittsteller auftreten, diese Zeiten sind langsam mal vorbei. Wenn Krah allerdings Europa als „intellektuell uninteressant“ bezeichnet, fällt er genau wieder in diese Position zurück, die es doch zu überwinden gilt. Partnerschaft mit den Israelis? Wenn es sein muss, aber nur auf Augenhöhe – und das heißt eben, solche Unterwerfungsgesten wie „das christlich-jüdische Abendland“ sein zu lassen, zu fordern, dass jüdische oder israelische Vereine nicht mehr gegen rechte Interessen agitieren und dass moralische Erpressung überhaupt nichts mehr bringt, sondern nur mit Ablehnung und Missgunst getadelt wird.
Ehe sich Krah nicht in dieser Hinsicht bessert, wird er immer weiter die Unterstützung des Vorfelds verlieren – zu Recht. Es muss als korrigierendes Element wirken, um die Leute an der Spitze bei Schach zu halten, sofern das überhaupt möglich ist. Solange man aber glaubt, die eigenen Leute mit Türkei-Simping und Israel-Cucking vergraulen zu müssen, um sich sonstige kurzfristige Vorteile daraus zu erhoffen, wird das nichts mit der Rettung des Abendlandes.
Juden als Wissenschaftler sind seit jeher unersetzbar.
Liebe Leser, möchtet ihr vielleicht euch einen noch deutlicheren, realistischeren und lebendigeren Blick auf die Dinge erarbeiten?
Das geht natürlich nur von einer höheren Warte aus. Möchtet ihr einen prüfenden Blick riskieren? Kostenfrei, religionsfrei?
@.TS.
Strohmann. Außerdem ist Trump literally orange.
Die deutsche Rechte befindet sich in einem dauerhaften Entwicklungsprozess, der die Tagespolitik und den Medienwandel begleitet.
Also besser formuliert: Björn H. setzt nicht zwangsläufig auf falsche Themen, doch er kommuniziert sie nicht mehr zeitgemäß.
Was auch an seiner Zielgruppe liegen mag. Selbst schuld.
Thema „Spannung“
Von seinen Reden (Betonung: Rede. Kein Thorsten-Waldstein-Vortrag auf der Winterakademie) erwartet man Wortgewalt, Aktualität und Zielsetzung. Also Spannung.
Reden, die eher einer Bittstellung gleichen, an Ort und Stelle Putins Poperze „für den Frieden“ liebkosen zu dürfen, sind vielleicht für den FSB mitreißend.
Komisch, beim Trumpeteer lobt man dasselbe sprunghafte Verhalten für den Erfolg den es – vermeintlich oder tatsächlich – gebracht hat. Hierzulande regiert hingegen Gemecker und Besserwisserei statt Bessermacherei.
„Positionen seit Jahren nicht wirklich weiterentwickelt“?
Wenn es nur noch marginale Anpassungen gibt ist das ein Zeichen dafür daß sie durchdacht und ausgereift sind, mithin also ein Indiz für Qualität.
„Reden sind alles andere als spannend“?
Wer klamaukige Unterhaltung will ist beim wöchentlichen „Mord am Sonntag“ abends besser aufgehoben.