Ich betrete den FAZ-Tower, den rund sechzig Meter hohen gläsernen Käfig in der Pariser Straße 1 im Frankfurter Europaviertel, und werde von einer jungen Abessinierin lächelnd empfangen. Das Mädchen an der Rezeption fragt mich nach dem Grund meines Besuchs. Ich antworte, ich hätte um 15 Uhr ein Vorstellungsgespräch in der Redaktion des Feuilletons. „Ah, bei Frau S. Ich gebe Ihnen noch ein Besucherschildchen. Nehmen Sie gerne hier drüben Platz. Ich sage Frau S., dass Sie da sind.“ In der Sitzecke, die mir die junge Frau zugewiesen hat, liegt eine aktuelle Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Etwa fünf Minuten dauert es, dann erscheint eine ältere Dame an der Rezeption, spricht kurz mit dem Mädchen vom Empfang, kommt auf mich zu, gibt mir die Hand und bittet mich mit ausgesprochener Herzlichkeit, ihr zu folgen. Ein bisschen Smalltalk im Aufzug, dann sind wir in der Feuilletonredaktion, wo sich mir eine Dame im Hosenanzug als Frau S. vorstellt. Sie bittet mich, Platz zu nehmen. Die Aussicht ist fabelhaft. Man blickt aus weiß Gott welchem Stock direkt auf die Skyline Mainhattans.
Noch mehr Smalltalk, während wir auf Frau K. warten, die ebenfalls an dem Interview teilnehmen möchte. Und hier schon ein Fauxpas. Frau S. ist etwa dreißig Jahre alt, trägt schulterlanges braunes Haar und ist trotz einer markanten Kinnpartie attraktiv. Als sie auf meine Pünktlichkeit abhebend erwähnt, viele Bewerber erschienen zu früh oder zu spät zum Vorstellungsgespräch, erwidere ich, ich sei ebenfalls eine halbe Stunde zu früh gewesen, hätte aber in einem Café um die Ecke noch eine Tasse Tee getrunken. Gerne möchte ich ihr die Himmelsrichtung zeigen, in der sich das Café befindet. Ich verdrehe mich in meinem Sessel und deute in eine Richtung, bin mir aber unsicher und sage: „Wart, ich muss mich erst kurz orientieren. Wo ist die Rezeption?“ Bestimmt hat sie registriert, dass ich sie geduzt habe, aber sie lässt sich nichts anmerken und wir smalltalken noch ein bisschen weiter, bis Frau K. in der Tür erscheint und sich für ihre kleine Verspätung entschuldigt.
Frau K. ist Ende vierzig, vielleicht auch Anfang fünfzig. Das Verhör beginnt. Einer groben Chronologie folgend, erzähle ich von meinen bislang ausgeübten Tätigkeiten, den Studienfächern, den Auslandsaufenthalten usw. Immer wieder werfe ich ein: „Ich weiß gar nicht, ob ich es in die Bewerbung geschrieben habe, aber …“ Es ist ein Drahtseilakt, denn ich darf nicht zu viel Exotisches erzählen, also verschweige ich beispielsweise, dass ich in den Niederlanden Tellerwäscher gewesen bin und in der Ukraine gekämpft habe.
Leider beraubt mich dieses Vorgehen auch der Möglichkeit, meine für die „Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift“ verfassten Frontberichte als Arbeitsproben vorzulegen, zumal dort im Kasten zur Person steht, ich sei wiederholt als Kriegsberichterstatter in der Ukraine gewesen, bevor ich mich der Internationalen Legion angeschlossen hätte. Weil aber das österreichische Magazin „Freilich“ und die KRAUTZONE im Beliebtheitsranking von FAZ-Redakteurinnen vermutlich nicht die obersten Plätze einnehmen, muss ich so tun, als sei ich in Sachen Journalismus ein komplettes Greenhorn.
Auch die Tatsache, dass ich früher für „Compact“ und „Tumult“ geschrieben habe, darf ich nicht erwähnen. Als das Gespräch auf Rezensionen kommt, kann ich nur versichern, ich würde mir zutrauen, eine ordentliche Buchbesprechung abzuliefern: „Haben Sie schon einmal eine Buchbesprechung geschrieben?“, hakt Frau K. nach. „In der Schule“, druckse ich herum. Dass ich für die Krautzone Filme rezensiert habe, kann ich ebenso wenig erwähnen wie den Umstand, dass ich Iddo Netanjahus Buch Itamar K. für den Freilich-Blog besprochen habe.
Ob ich überhaupt schon journalistisch gearbeitet hätte, möchte Frau S. wissen, die die Beine übereinandergeschlagen hat und sich nach vorne beugt. „Sie schreiben in Ihrer Bewerbung, sie hätten ein gutes Zeitmanagement. Aber jetzt sitzen Sie hier, sind Mitte dreißig und wollen noch was mit Tanz machen.“ Statt ihr mit einem Monolog über Humboldt und Bildung als Selbstzweck zu antworten, sage ich nur: „Ich glaube, es ist gerade als Journalist extrem wichtig, dass man sich für viele Dinge interessiert und sich auch immer wieder für einen neuen Sachverhalt begeistern kann.“
Dann erzähle ich noch, ich hätte unlängst eine Reportage über Missstände im Maßregelvollzug angefertigt, die aber noch nicht veröffentlicht sei. Dafür hätte ich mehrere Monate als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes vor Ort recherchiert. Jetzt ist Frau S. hellwach. „Investigativ“, fragt sie. „Ja, die Wallfarff-Methode“, sage ich und bereue im selben Augenblick, den Namen dieses Reporters ausgesprochen zu haben. Immerhin ist er nicht zuletzt dadurch bekannt geworden, dass er undercover bei der „Bild“-Zeitung gearbeitet hat. Frau S. wirft Frau K. einen vielsagenden Blick zu und beide sehen sich wohl schon als Protagonistinnen in einer wenig schmeichelhaften Reportage über Deutschlands renommierteste Tageszeitung. „Haben Sie selbst noch irgendwelche Fragen?“ Ich habe keine mehr, die es wert wären, erwähnt zu werden. Die alte Dame bringt mich wieder ins Erdgeschoss, wo ich der Abessinierin mein Besucherschildchen auf die Theke lege und mich verabschiede. Eine Woche später kommt die Absage per E-Mail. Man habe sich für eine andere Person entschieden.
@Vroma
Ich habe mich im Frühjahr 2019 mit den Slogans „Heimat ist ein Menschenrecht“ und „Auch Deutsche haben ein Recht auf Heimat“ für einen Sitz im Mannheimer Gemeinderat beworben. Weder in den Jahren zuvor noch in den Jahren danach war ich Mitglied der NPD und fühle mich daher auch nur für die Inhalte meines Wahlkampfes verantwortlich.
@Jonathan Stumpf
Danke für die Information.
@Artur Abramovych
Gepöbelt habe ich nicht. Nur eine einfache Frage zur Bestätigung einer Person gestellt.
Das Geld gebe ich nicht aus, um den Artikel zu lesen. Vielleicht kann man ihn hier neu veröffentlichen?
Ich frage mich nur, ob er noch als NPD-Mitglied geschrieben wurden.
Nein, das ist wirklich keine Zierde als libertär-konservatives Blatt.
@Vroma
Falls Sie hier, wider Erwarten, nicht bloß pöbeln, sondern etwas dazulernen wollen, empfehle ich Ihnen die Lektüre von Jonathans Beitrag „Deutsche und Juden – Ursachen des Antisemitismus“ in der Frühjahrsausgabe 2020 von Tumult (unter dem nom de plume Johannes Scharf). BG
Vroma: Als Teenager habe ich mir so einen Totenschädel tätowieren lassen. Der ist aber seit vielen Jahren überstochen. Genau wie jedes andere Tattoo aus dieser Zeit.
@Jonathan Stumpf
Sind Sie der JS mit der SS-Totenschädeltätowierung auf dem rechten Unterarm?
Hat mir sehr gefallen … jetzt noch ein paar verpixelte Wallraff-Investigativ-Fotos bringen.
Bei dem zu erwartenden Ergebnis hätte man auch etwas meh Spaß haben können beim Gespräch und die ganzen Fakten raushauen können.
Der Blick der Damen wäre köstlich gewesen.
Bitte weiter versuchen diesmal Taz.
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lahm, wurde ich wenigstens zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Nu ja, 5 Sekunden Weltnetzsuchmaschine des geringsten Mißstrauens reichen um zu wissen was und wo der Bewerber sich die letzten Jahre so betätigt hat.
Unterhaltsam wars allemal.
So eine Überraschung. Die faz lehnt Trottel ab, die sich nicht benehmen können und nichts vorzuweisen haben.
Super! Mehr davon