Dunkel
Hell
Dunkel
Hell

Umgeben von NPCs!

22. November 2021
in 3 min lesen

NPCs faszinieren. Die Abkürzung steht für „non-playable character“ und bezieht sich auf die zahlreichen Rollenspiele, die seit mittlerweile fast 20 Jahren existieren. Hauptsächlich angesiedelt im Fantasy-Bereich, begehrt man als Spieler gegen die dunklen Mächte des Bösen auf, muss stärker werden, verschiedene Aufgaben meistern und schließlich einen Endgegner besiegen.

Dabei trifft man in eigentlich jedem Spieluniversum auf NPCs, also Charaktere, die vom Entwickler eingebaut sind, um mit ihnen zu interagieren oder einfach nur, um die Landschaften mit Menschen zu bevölkern. Da die KI – künstliche Intelligenz – dieser NPCs meist auf ein Mindestmaß beschränkt wird, entstehen absurd komische Situationen. Auch die Interaktion mit den Personen ist sehr beschränkt, und man kann meist nur spärliche Antworten auf die ebenfalls sehr simplen Fragen geben. Charakteristisch sind die vollkommen unnatürlichen Gespräche, idiotisches Verhalten oder der Wechsel vom Freund- in den Feind-Modus – oder zurück.

Das sieht im Spiel „Gothic II“ beispielsweise so aus:

Held: Hallo.

NPC: Lass uns Wildschweine jagen.

Was soll man auch sonst groß auf „Hallo“ antworten. Oder dieser Geniestreich eines Gesprächs:

Held: Bring mir bei, wie ich Wildschweinen das Fell abziehe.

NPC: Dazu hast du noch zu wenig Erfahrung.

Hier hat sich jemand sogar die Mühe gemacht, viele der Dialoge hochzuladen:

Seit einigen Jahren hat der Begriff der NPCs es auch in die politische Diskussionskultur geschafft. Damit bezeichnet man all jene „Normies“, die sich wie künstlich programmierte Menschen verhalten und zwar glauben, eine eigene Meinung zu haben, im Endeffekt aber nur den politischen Mainstream wiederkäuen. Das macht es nahezu unmöglich, ein konstruktives Gespräch zu führen, geschweige denn, nicht die Nerven zu verlieren. Beispiel gefällig?

Ich: Ich glaube, wir sollten mehr auf Atomkraft bauen.

NPC: Was? Das ist viel zu gefährlich.

Ich: Statistisch betrachtet sind AKWs extrem sicher.

NPC: Aber was ist mit Fukushima?

Ich: In Fukushima ist niemand an der Strahlung gestorben. Der Tsunami forderte mehr Todesopfer.

NPC: Option A: Das glaube ich nicht!

NPC Option B: Trotzdem kann immer was passieren.

(Wahlweise kann man wieder vorne anfangen oder den Dialog verlassen.)

Was würde passieren, wenn man sich selbst einfach auch mal wie ein NPC verhalten würde?

Ich (im NPC-Modus): Ich glaube, wir sollten mehr auf Atomkraft bauen.

NPC: Was? Das ist viel zu gefährlich.

Ich: Das ist überhaupt nicht gefährlich.

NPC: Aber was ist mit Fukushima?

Ich: Aber was ist mit den Hunderten anderen Atomkraftwerken?

NPC: Es kann immer was passieren!

Ich: Es kann auch nichts passieren!

(Dialog beendet.)

Sofort merkt man, dass ein Herablassen auf den Intellekt eines NPC zu einer vollkommenen Gesprächskernschmelze führen würde – was eben auch beweist, dass „wir“ die echten Helden sind, wohingegen der Großteil der Bürger einfach nur Standardpropaganda aus dem TV wiederholt.

Wie ich aber auf das Thema gekommen bin: In der letzten Woche habe ich meine Arbeit immer mal wieder mit NPC-Minivideos aus der realen Welt aufgelockert und bin quasi süchtig geworden.

Angelehnt sind die Zighunderte von Videoschnipseln an das Rollenspiel „Oblivion“ und zeigen immer eine Begegnung des normalen Filmers, also des Helden, mit einem ultimativen NPC, der ein seltsames, „programmiertes“ Verhalten an den Tag legt. Im Hintergrund läuft die Musik des Computerspiels.

Besonders markant ist das Verhalten dieser Dame, da sie vom friedlichen Modus in den Angriffsmodus schaltet und schließlich flüchtet:

Wer also irgendein Hobby braucht, um in den Weiten des Netzes nicht den Verstand zu verlieren und selbst ein NPC zu werden, dem seien diese Videos ans Herz gelegt. Aber abseits unserer Lacher zeigen sie doch vor allem eines: Dass eine nicht geringe Anzahl Personen aus den verschiedensten Gründen nicht mehr mit dem Alltag der modernen Welt zurechtkommt und sich dementsprechend nicht mehr wie Menschen verhält – sondern dass schlichtweg nur noch ein Programm abläuft, das durch Hass, Frustration und Überforderung geprägt ist.

Zwar sind viele Videos älter als die letzten ein, zwei Jahre, aber die Corona-Krise hat dem Ganzen noch mal eins oben draufgesetzt. Man kann es ihnen in den Irrungen des Jahres 2021 schlecht verübeln.

Mir kann kein geistig normaler Mensch glaubhaft erklären, dass, wenn er sich nach seiner stundenlang dauernden Steuererklärung, bei der herauskommt, dass er statt x Prozent seines Einkommens y Prozent gestohlen bekommt, in den Wagen setzt und anschließend mit OP-Maske im Gesicht Pfandflaschen zurückbringt, er das einfach so wegsteckt. Anschließend muss er 100 Euro für eine Tankfüllung zahlen, wird an einer Baustelle geblitzt, an der nicht gearbeitet wird, und muss sich wegen eines Grippevirus vorm Eingang zu einer Veranstaltung ein Ohrenstäbchen in die Nase rammen lassen, was ihn dann wieder 15 Euro kostet.

Es gibt schlichtweg zwei Optionen: Entweder Sport, Meditation, Familie, Dorf, Abschirmung von der Gesellschaft, Eskapismus in Bücher – oder man wird aus Selbstschutzgründen zum Voll-NPC und spielt das Idiotenspiel einfach mit:

„Klar trage ich Maske, um andere zu schützen.“

„Wenn Benzin teuer ist, fahre ich auch ab und zu mit Bus und Bahn.“

„Steuern zahlen ist okay, schließlich werden davon Straßen gebaut“ (fährt währenddessen in ein Schlagloch).

„Pfandflaschen sind gut für die Umwelt“, und so weiter.

Manchmal frage ich mich, ob all die NPCs es einfach nur viel früher verstanden haben, dass „Held“ sein ziemlich anstrengend ist.

Florian Müller

Der Sklaventreiber-Chef hat diverse Geschwätzwissenschaften studiert und nach eigenen Angaben sogar abgeschlossen. Als geborener Eifeler und gelernter „Jungliberaler“ freundete er sich schnell mit konservativen Werten an – konnte aber mit Christentum und Merkel wenig anfangen. Nach ersten peinlichen Ergüssen entdeckte er das therapeutische Schreiben in der linksradikalen Studentenstadt Marburg, wurde Autor für die „Blaue Narzisse“ und „eigentümlich frei“. Ende 2017 gründete er mit Hannes die Krautzone.

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