Seit ein paar Wochen macht das Phänomen der „Ostmullen“ von sich reden. Hierbei handelt es sich um eine Variation aus zwei Bestandteilen in fein abgestufter Intensität, nämlich:
1.) Die „Ostmulle“ selbst, also eine in den neuen Bundesländern beheimatete Jennifer-Chantall. Das Spektrum reicht von jung und unaufällig bis hin zu 40-jähriger Oma mit 87 Metallsteckern, Gesichtstattoo, rasierten Seiten und violettem Pferdeschwanz.
2.) Musik, oder besser: „Musik“. Hart muss sie sein und natürlich deutsch. Etablierte Außenseiter wie Rammstein, kommerzialisierte Asoziale wie Böhse Onkelz oder irgendwelche ominösen Rechtsrocksachen.
Die „Ostmulle“ imitiert den Gesang einer dieser Bands (man nennt es „Lipsinc“) und teilt diesen Videoschnipsel vornehmlich auf Plattformen wie TikTok. Dort selektieren dann besonders feine Geister die besten dieser vielen, sehr vielen Videos und teilen ihre Favoriten auf Twitter/X – das alles unter „#Ostmullen“ (falls Sie, lieber Leser, sich selbst ein Bild machen wollen).
Ja, deutsches Internet ist wild. Dieser Eindruck erhärtet sich überall dort, wo ein anarchischer, dezentraler, graswurzliger Unterhaltungssektor seine Blüten treibt. Das „Drachengame“, der Anzeigenhauptmeister, diverse deutsche Imageboards – im Netz hat sich längst eine Art von Parallelkultur etabliert, die über Bilder und Chiffren kommuniziert. Es ist nicht leicht, über sie zu schreiben, denn vieles lässt sich nur verstehen, wenn man mittendrin ist.
Hier zeigt sich dann auch der fatale Trugschluss, dem manch ein rechter Aktivist aufsitzt, der das Phänomen der „Ostmullen“ für eine Art kulturellen Ausdruck des allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsrucks hält.
Das Internet ist nicht real. Wir alle verbringen zwar die überwiegende Zeit des Tages im digitalen Warp, aber was dort passiert unterscheidet sich grundlegend von der Realität der Straße.
„Ostmullen“ gab es auch schon in den 90ern und 2000ern, lange bevor irgendjemand so etwas wie TikTok oder Smartphones für möglich gehalten hätte. Es gab und gibt sie übrigens auch in der männlichen, westdeutschen Variante. Damals, vor der allgegenwärtigen Digitalisierung des Abendlandes, nannte man sie „Asis“. Ihre Renitenz erschöpfte sich im sentimentalen Nachgrölen irgendwelcher Onkelz-Schlager. Auch ihr Bierfurz-Patriotismus adelte sie so wenig wie ihre weiblichen Gegenstücke in der ehemaligen Zone. Es ist nichts als dummes Pöbeltum, das auf Seiten der Linken übrigens seine Entsprechung im synthetischen Fußball- oder Palästina-Patriotismus findet.
Natürlich, Hype ist Hype. #Ostmullen hat seinen Unterhaltungswert, aber in ein paar Wochen wird sich kein Mensch mehr nach Mandy aus dem Plattenbau umdrehen. Das soll nicht nach Spielverderberei klingen, vielmehr als Hinweis darauf, dass es eben nicht mehr als ein Spiel ist.
Na also, geht doch. Danke Hr Fechter.
Aha. Na dann Gut Nacht, Abendland…