Ostwahlen – Der große Denkzettel

21. August 2024
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Es ist wieder soweit, die Deutschen legen sich gegenseitig beim Analytiker auf die Couch. Es sind Wahlen im Osten und die Hütte brennt. Undankbare ostelbische Dunkeldeutsche gegen wissende und demokratisch Erleuchtete und umgekehrt. Erneut hohe Zeit für Experten für alles und nichts, mit denen dieses Land so reichlich gesegnet ist. Warum wählen die im Osten falsch und noch schlimmer, warum kann sich mehr als die Hälfte sogar eine Regierungsbeteiligung der AfD vorstellen?

Sind sie nicht wie unartige Kinder? Abkömmlinge einer Generationenfolge von diktatorisch Erzogenen, die die harte Hand lieben gelernt haben. Die mit der täglichen Neuaushandlung des Zusammenlebens, welches „unsere Demokratie“ genannt wird, heillos überfordert sind und ihre Vergangenheit in der Diktatur verklären.

Unartig und ängstlich. Ja, Angst ist das Zauberwort der Volksseelenkenner zur Erklärung des Unerklärlichen. Sie, die so viele Veränderungen mitmachen mussten, haben Angst: Vor erneuten gesellschaftlichen Abstieg, Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit – und aus dieser Angst erwächst Wut. Unwillig Neues zu ertragen, seien es Migranten, Corona, die ökologische Transformation, den Krieg in der Ukraine mit seinen Auswirkungen auf unseren Wohlstand, sehnen sie sich nach einfachen Antworten auf das komplizierte Leben.

Ich stelle hier die Gegenthese auf: Die Ostdeutschen haben Lust auf Veränderung und die westdeutsche Elite Angst, „ihre Demokratie“ verändern und ihre „Werte“ überdenken zu müssen. Gesellschaftliche Prägungen überdauern Generationen. Nachdem der große Krieg von allen Deutschen gemeinsam verloren war, wurde dieses Volk von seinen Besiegern unfreiwillig in zwei Teile zerlegt, deren Schicksale kaum unterschiedlicher sein konnten. Die westlichen Sieger gaben dem deutlich größeren Teil des Volkes ein Grundgesetz, lehrten es die Marktwirtschaft und die Demokratie. Die damit verbundene Gehirnwäsche und Verbiegung des Rückgrates bemerkten sie nicht. Zunehmender Wohlstand und der Blick über den Zaun zu den armen Verwandten im Osten, stärkte das Gefühl, nun auch zu den Siegern der Geschichte und zu den besseren Menschen zu gehören.

Der kleinere Teil des Verlierervolkes hatte weniger Glück. Russische Lotterwirtschaft schaffte es, das industrielle Wunderland Mitteldeutschland, welches nun zu Ostdeutschland geworden war, abzuwracken. sozialistische Mangel- und Kommandowirtschaft lehrte den Menschen schnell: Arbeit lohnt sich nicht. Wohl aber wurde auch diesem Teil des Volkes von den Mächtigen erzählt, zum besseren, fortschrittlichen Teil der Menschheit zu zählen. Zunehmend jedoch wurden Schein und Sein zur Kenntlichkeit entstellt. Bald genügte ein Blick aus dem Fenster. Es dauerte vierzig Jahre, dann reichte es – weg damit, weg mit diesem verlogenen, bankrotten System und seinen Wasserträgern, weg mit diesem ganzen Land.

Man sollte nicht unzufrieden sein. Bei allem zu kritisierenden Unannehmlichkeiten fielen die nun Fallenden verhältnismäßig weich. Die reichen Brüder und Schwestern im Westen fingen sie auf. Aber sie verlangten einen Preis – bis heute. Bedingungslose Unterwerfung. Wir helfen euch bei eurem Weg zu unserem Wohlstand, aber stört unsere Kreise nicht. Bis heute ist die Dominanz des Westens ungebrochen – selbst 35 Jahre nach der Wende sind Ostdeutsche noch immer in Führungspositionen unterrepräsentiert. Es sollte gemessen am Bevölkerungsanteil ein Viertel sein, tatsächlich beträgt ihr Anteil nur ein Zehntel.

Mit herablassender Attitüde wird noch heute den Ostdeutschen unterstellt, sie hätten „Demokratie“ nicht verstanden. „Unsere Demokratie“, „unsere Werte“ – was eigentlich soll das sein? Es sind die geschwollenen Worthülsen zur Beschreibung des Selbstbedienungsladens für diejenigen, die es zu einem der vorderen Plätze an den Fresströgen der Macht geschafft haben. Das System der „Wohlerzogenen“. Es ist weder zu hinterfragen noch zu verbessern. Viel zu viele haben es sich bequem gemacht in „ihrer Demokratie“. Ausuferndes Beamtentum und öffentlicher Dienst um das zunehmende Chaos zu verwalten und die Bürger zu schurigeln; Listenplatzparteiknechte die um Parlamentsplätze für die Ewigkeit buhlen; Asylindustriemitarbeiter für die der Zustrom ihrer zu betreuenden Klientel niemals enden darf – stell dir vor, es kämen wirklich Fachkräfte – schrecklich; sich ins universitäre Prekariat hineinstudiert Habende – zu blöd für ein MINT-Fach – nun auf steuergeldfinanzierte Bullshitjobs angewiesen.

Sie alle und noch viel mehr lieben „unsere Demokratie“. Bloß nichts ändern. Alle vier Jahre werden alternierend die Parteien wiedergewählt, die seit nun wenigstens 15 Jahren dieses Land in die galoppierende Schwindsucht treiben. Dabei genügt auch heute ein Blick aus dem Fenster. Dieses Land ist auf dem absteigenden Ast, wird im Industrie- und Wohlstandsranking nach hinten durchgereicht. Wohnungsnot, kaputte Infrastruktur, Verwahrlosung und Vermüllung, zunehmende Gefahr für Leib und Leben im öffentlichen Raum.

Wer sagt, dass es das früher so nicht gab und das nicht will ist ein Querulant, ein „Ungezogener“. Die Stelle, an dem heute dieses Land steht ist der Ort, an den uns „unsere Werte“ und „unsere Demokratie“ geführt haben. Und dieser Ort ist, außer für die Nutznießer und Abhängigen des Systems, kein guter Ort für die Menschen. Der Ort heißt „heimatlos“.

Egal, ob die Wahl der AfD im Osten etwas ändert – sie wird vermutlich eher wenig ändern – sie ist der Versuch mit dem Mut der Verzweiflung, etwas Anderes, etwas Neues zu probieren. Ein weiter so, wäre das Ende unserer deutschen Heimat. Wenigstens ein Zeichen setzen – und drei Zeichen sind ein Omen. Das Omen für die Altparteiendämmerung. Nichts bleibt, wie es ist – diesen Spruch hauen die Anywheres den Somewheres gern um die Ohren. Nun dürfen sie – hoffentlich – ihre eigene Medizin kosten.

Udo Holm

Glücklicher Privatier und Hobbyschreiber mit grimmigem Humor und zunehmender Altersmilde. Geboren im grünen Herzen Deutschlands als Grün noch die Farbe der Blätter und nicht die Beschreibung eines Geisteszustandes war. Als guter Beobachter erkennt er seine Schweine am Gang und lässt sich nichts mehr vom Pferd erzählen. Lebt in Berlin und schreibt im "Spiegelsaal".

3 Comments Leave a Reply

  1. „Aber sie verlangten einen Preis – bis heute. Bedingungslose Unterwerfung.“?

    Nein, es ist vielmehr so daß die „reichen Brüder und Schwestern im Westen“ – ähnlich einem Sektenguru – Opfer ihrer eigenen Dauerpropaganda geworden sind und sich in einer Scheinrealität befinden in der die eigene Weltsicht die Wahrheit ist, der goldene freiheitliche Westen wirklich überragend alternativlos ist und daher jegliche Kritik oder mangelnde Begeisterung daran einzig nur maximales Unverständnis erregt.

    Eines muß man den Wertewestnarrativlern anerkennen, es ist ihnen hervorragend gelungen ihre Propaganda derart geschickt in die Gehirne einsickern zu lassen daß selbst die heutigen Zumutungen, Widersprüche und Selbstschädigungen als wünschenswert erscheinen.

    Ganz anders als im auf der anderen Seite des früheren eisernen Vorhangs bei dem die Bevölkerung mangels Wirtschaftswunderwohlstandssedierung tagtäglich erkennen konnte wie dünn die Fassade war.

    Ansonsten: Gut geschrieben!

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