Ich möchte heute mal ein paar Gedanken über einen Umstand äußern, der mich schon seit einiger Zeit beschäftigt. Mein Musikstudium geht, dank Corona, nun ins fünfte Jahr. Viele Musiker, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe, scheinen aus meiner Sicht in einem unauflösbaren Widerspruch zu leben: Auf der einen Seite die Pflege einer weitreichenden, anspruchsvollen Tradition, andererseits vertreten sie, wenn man sie fragt, häufig linke oder linksliberale Positionen.
Nun kann ich von Glück reden, dass die Musikhochschulen nicht ganz so politisiert sind wie die Universitäten – andernfalls könnte ich es dort kaum aushalten –, dennoch frage ich mich, wie meine Kommilitonen mit diesem Widerspruch leben können. Es scheint ja so, als ob sie ihn gar nicht bemerken, wo er doch so offensichtlich ist: Die Ideologien, die im heutigen Mainstream und links davon vertreten werden – ein guter Freund von mir zum Beispiel ist überzeugter Marxist und hat über einem historischen Klavier von 1780 die Gesamtausgabe der Leninschen Werke stehen –, sind doch maßgeblich dafür verantwortlich, dass die großartige (Musik‑) Kultur, die wir zu pflegen gedenken, zersetzt und zerstört wurde. Ähnlich wie in der Architektur und der Malerei setzte spätestens im 20. Jahrhundert ein radikaler Zerfallsprozess ein.
Ein Gutes könnte die Sache aber haben: In ihrem Unterbewusstsein liegt nämlich das Bekenntnis zur Tradition begraben, wieso es also nicht ans Tageslicht holen? Das gilt generell für alle Leute, die irgendetwas mit Kultur – also Hochkultur im reaktionären Sinne – zu tun haben. Ziel sollte nicht sein, die Leute unnötig zu politisieren, aber die Abneigung gegen linke Ideologien könnte man sehr wohl wecken, indem man auf die Zusammenhänge zwischen Kulturzerfall und dem Aufstieg moderner Ideologien immer wieder hinweist. Viel ändern wird sich dadurch nicht, das ist mir klar, aber dennoch: Einige Zähne könnten der Bestie damit sehr wohl gezogen werden…