Es ist Zeit das Offensichtliche zu benennen, die EU führt in ihrer diesjährigen Staffel eine Neuinterpretation von Dostojevskis Klassiker „Schuld und Sühne“ auf. Die Handlung des Originals geht ungefähr so: Der durchaus Begabte Raskolnikow ist ein bitterarmer ehemaliger Jurastudent, den die Gesellschaft zunehmend anwidert, weil er diese für die Kognitive Dissonanz in Bezug auf sich selbst verantwortlich macht – er ist, ähnlich wie Napoleon, zu Großem bestimmt, muss es aber in Lumpen gekleidet in einer kleinen Kammer im kalten Sankt Petersburg aushalten.
Als Erleichterung seiner prekären finanziellen Situation leiht er sich von einer alten Pfandleiherin Geld, von der er weiß, dass ihr bescheidenes Vermögen nach Ihrem Tod einem Kloster zukommen soll. Unter diesen Umständen entwickelt er die Theorie „von den ‚außergewöhnlichen‘ Menschen, die im Sinne des allgemein-menschlichen Fortschritts natürliche Vorrechte genießen“. Dies beinhaltet auch einen „erlaubten Mord“, der für die Erreichung hoher Ziele legitim ist. Mit dieser Motivation ermordet er die Pfandleiherin dann auch, um sich ihres Vermögens zu bemächtigen, was ihm in der Hitze des Augenblicks nicht einmal gelingt. Es muss diese kalte, utilitaristische Moral eines Raskolnikow sein, der die EU-Apparatschiks dazu antreibt die so oft beschworene Rechtsstaatlichkeit im übertragenen Sinne zu ermorden.
Wegen der seit dem Jahre 2015 angeblichen Verstöße gegen das EU-Asylrecht hatte der EuGH im Juni 2024 eine Strafe von 200 Millionen Euro gegen Ungarn verhängt. Weil Ungarn die Strafe nicht begleicht, muss das Land zusätzlich ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag Verzug zahlen. Bislang hatte die EU lediglich gegen das PiS-regierte Polen, wegen der angeblichen rechtstaatlichen Unzulänglichkeiten, Strafen in ähnlichem Ausmaß verhängt – Polens Bruttosozialprodukt ist jedoch dreimal so hoch wie das von Ungarn. Beanstandet wurde in dem Urteil die Praxis, dass Ungarn versuche Migranten, die ohnehin kaum eine Chance auf eine Anerkennung Ihres Asylbegehrens haben, bereits an der Grenze abzuweisen. Eine Praxis, welche die EU am 14. Mai 2024 in dem Migrations- und Asylpaket mittlerweile explizit fordert.
Aufgrund der Berichterstattung in den Medien muss der Eindruck entstehen, dass die westeuropäischen Musterländer sich in letzter Zeit keine nennenswerten Rechtsverstöße geleistet haben. Tatsächlich läuft aber, ebenfalls seit Juni 2024, ein Verfahren gegen Frankreich wegen Missachtung der sogenannten Maastricht-Kriterien; nach denen die jährliche Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen soll und die absolute Schuldenquote 60 Prozent des BIP nicht überschreiten darf.
Rettete man sich währen der Corona-Zeit noch damit, dass die Regelung außer Kraft gesetzt wurde, müsste man gegen Frankreich nach der Konstitution der Regierung nun eigentlich zum Vollzug schreiten, denn Frankreich ist massiv verschuldet und die Neuverschuldung für das laufende Jahr wurde mit 5,4 Prozent veranschlagt. Am 20. Januar diesen Jahres berichtete die „FAZ“ jedoch, dass die EU wohl erwägt die neuen Budgetpläne in kürzester Zeit und möglichst geräuschlos durchzuwinken.
Diese offensichtliche Ungleichbehandlung von Ländern ist, wie oben bereits angedeutet, Mord an der EU-Rechtsstaatlichkeit. In einer gesichtslosen Funktionärstechnokratie ist das Analogon zu Raskolnikow ein Kollektiv – in diesem Falle das der EU-Finanzminister in Abstimmung mit der EU-Kommission. Wie kann die Kommission als „EU-Regierung“ die Strafverfolgung durch den EuGH eigentlich unterbinden? Ist das überhaupt demokratisch? Egal, denn die Bürger interessiert dies nicht und wie ich am Thema Datenschutz bereits gezeigt habe, macht sich die EU bei den wirklich heiklen Fragen regelmäßig lächerlich.
Bleibt zu hoffen, dass die EU das Geld von Ungarn, wie Raskolnikow, letztlich aufgrund der eigenen Hybris nicht bekommt. Raskolnikow kann im Original mit der Bürde seiner Tat nicht leben und stellt sich. Nachdem er für seine Tat gesühnt hat, findet Raskolnikow doch noch seinen rechten Platz in der Gesellschaft. Dass sich die EU eines Tages als geläuterte Institution für die Völker Europas nutzbringend einsetzen wird, kann aber wohl in Ihrer derzeitigen Form ausgeschlossen werden.
Gretchengegenfragen:
Warum schmeißt Brüssel Budapest nicht raus?
Warum tritt Orban trotz allem weiterhin nicht aus?
Und wieso unternimmt die EU gegen die von ihr schon vor Jahrzehnten gerügten weisungsgebundenen Staatsanwälte hierzulande nichts?
Ein verlogener scheinheiliger Haufen wohin man nur schaut!