Karl-Heinz Stiegler
Die Unterstützung Elon Musks für die AfD hat die Karten in Deutschland neu gemischt. An dem aktuellen Umfragehoch, so kurz vor der Bundestagswahl, ist nicht zuletzt der Elektroautobauer schuld. Mancher Boomer hat ihn wohl in den vergangenen Wochen erstmals gegoogelt. Denn wer im Internet aufgewachsen ist, ist in der Regel allerspätestens seit der „Twitter-Ergreifung“ ein Musk-Fanboy. Das auch nicht ganz zu Unrecht: Seit der blaue Vogel durchgeixt wurde, ist der auf der Plattform herrschende Wettbewerb der Ideen einzigartig für die westliche Welt. Das und Musks radikales Auftreten umgeben ihn mit einer fast kultischen Aura. Für viele Rechte ist Musk nicht nur ein Symbol der Meinungsfreiheit, sondern auch ein willkommener Schutzpatron.
Die Frage steht im Raum, warum sich Musk ausgerechnet für Deutschland und ausgerechnet für die AfD interessiert. Deutsche haben angefangen, Posts auf X auf Englisch zu verfassen, in der Hoffnung, dass Musk sie liest und repostet. Das ist zum Meme geworden, aber manchmal sind sie damit erfolgreich. Die hier vertretene These lautet, dass die Unterstützung Musks für die AfD nicht seinem persönlichen Mitgefühl mit dem deutschen Volk oder seiner Belustigung über die irre Clownspolitik der letzten Jahre entspringt. Das Interesse Musks an der deutschen Alternative lässt sich verstehen, wenn man es als Teil einer Annäherungsstrategie auffasst.
Trotz alledem ist Deutschland immer noch ein wichtiges Land in Europa und konstituierend für die EU. Zu unserem Leidwesen wird das beispielsweise an den horrenden Beitragszahlungen an die „Europäische Umverteilungsunion“ erkenntlich. Dass Deutschland diese Machtposition nicht nutzt, verschuldet zuallererst die Schwäche der eigenen Politikerkaste. Wer aber als nicht-Europäer mit Europa reden will, der redet mit Deutschland.
Warum dann aber nicht „Only the CDU can save Germany“? Merz hat doch die besten Aussichten, Bundeskanzler zu werden! Grund ist der sich abzeichnende Wechsel des Politikstils auf beiden Seiten des großen Teichs.
Ein Gespenst geht um (nicht nur) in Europa – das Gespenst des Populismus. Der Populismus funktioniert als eine Art „Hack“ für das „demokratische Betriebssystem“. Er hat sich von dem idealistischen Gedanken verabschiedet, dass eine Demokratie durch rationale Abwägungen von Sachargumenten mündiger Staatsbürger funktioniere. Der Populismus trägt endlich der Erkenntnis Rechnung, dass im Massenzeitalter die Emotion den Verstand ausschaltet. Wir sind heute die La-Ola-Welle im Fußballstadion, nicht der Torwart der verlierenden Mannschaft. Die Zukunft aller westlichen Demokratien liegt im Populismus. Diese Verflachungstendenz ist schon seit der Antike bekannt, wonach die Volksherrschaft irgendwann zur Pöbelherrschaft umschlägt. Das ist keine Wertung, sondern eine Beobachtung. Und die AfD, stellvertretend für den gesamten Rechtspopulismus, ist die Erste, die diese Beobachtung für unsere Zeit angestellt hat.
In den USA geht Trump diesen nächsten Entwicklungsschritt der politischen Moderne. Und mit ihm Musk. Auch eine „Mainstream“-Regierung nach Trump II, also in vier Jahren, wird die einmal erreichte Verflachung des demokratischen Diskurses nicht wieder vertiefen können. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, das den Weg des geringsten Aufwands geht.
Die Verbindung zwischen Musk und der AfD als Stellvertreterin des zukünftig Europa regierenden Rechtspopulismus erscheint daher nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Zwar ist der eine libertär, die andere (hoffentlich!) rechts; doch ihre Verbindung folgt einem Zweck: die transatlantische Bindung der aufstrebenden rechten Parteien Europas an die USA. Die kommenden Rechtspopulisten auf der linken Seite des Atlantiks suchen die Gefolgschaft der kommenden Rechtspopulisten auf der rechten Seite des Atlantiks. Die Meinungsfreiheit auf X und die Gratis-Unterstützung Musks für die AfD, die beide wie Joker in der deutschen Innenpolitik wirken, sind Honigtöpfe. Als Preis für diese Anschübe bleibt man in der transatlantischen Süße kleben und gibt die Chance auf eine „gesunde Amerikafeindschaft“ auf.
Zu der Gefahr einer „AfD-light“ durch Anschmiegen an die enttäusche Liebschaft CDU gesellt sich die Gefahr einer „AfD-chewinggum“ durch Ankoppeln an den Trump-train. Ist es nicht verlockend, sagen zu können, man hätte ein gutes Verhältnis zum US-Präsidenten? Sicher, es gäbe schlechtere Entwicklungspfade in die Zukunft, aber ein europäischer, geschweige denn deutscher Standpunkt wird dabei aufgegeben. Aus der „Alternative“ wird „ein bisschen anders weiter so“. Die amerikanische Hegemonie ist noch immer wirksam.
Der Musk-Joker hat also auch eine Kehrseite. Das Gespräch mit Alice Weidel zum Beispiel hat der AfD Reichweite und internationales Gehör verschafft. Der deutsche Mainstream kocht Geifer, das alles ist begrüßenswert. Das Problem an dem Gespräch im X-Space war nicht, dass sich die AfD wie eine Boomer-Partei präsentiert hat, die mit liberalkonservativen und marktwirtschaftsfreundlichen Positionen, sowie „Hitler war ein Kommunist“ buhlen will, während der Bevölkerungsaustausch nur am Rande vorkam. Das ist durch die internationale Zielgruppe zu entschuldigen. Das Problem ist die dadurch wachsende transatlantische Ausrichtung der einzigen Parteienfamilie, die tatsächlich manchmal so etwas wie „europäisch“ sein will.
Alles geht weiter. Herumnörgeln auf einem Stimmungshoch wirkt pessimistisch und destruktiv. Aktuell tut der Musk-Turbo Deutschland gut. Alles, was hilft, das deutsche Elend zu beseitigen, tut gut. Doch gerade dann, wenn man keine Hilfe ausschlagen kann, sollte man sehen, ob man sich Läuse sich in den Pelz setzt.
Sehr geehrter Karl-Heinz Stiegler,
Ihre Einschätzung im letzten Absatz teile ich ungeschmälert. Es ist, trotz aller Opportunität eine gesunde Distanz angebracht. Es heißt ja auch MAGA und nicht „Deutschland zuerst!“
Ihre Erwähnung des „demokratischen Betriebssystems“ allerdings, wirft die Frage auf, was Sie denn damit meinen. Welche Ausprägung der „Demonkratie“. Ist die Wirklichkeit der Demokratie überhaupt demokratisch im Sinne einer Volksherrschaft zu Besten der Allgemeinheit?
Demokratische Wahlen funktionieren seit Anbeginn nur im Rahmen einer „Formierung“ des Wählerwillens durch mediale Manipulation, auch und besonders in einem indirekten, parlamentarischen System. Insofern trägt die Wahl-Demokratie ihre Negation in sich von Anbeginn und ist, ebenfalls von Anbeginn, bereits die Verfallsform der Demokratie.
Die fortschreitende Beutemachung der Parteien in der Demokratie und die immer weniger bemäntelbare Klientelpolitik für das (anationale) Kapitalinteresse hat die Sichtbarkeit der Verfallserscheinungen verstärkt.
Da das „Kartell der Beutemacher“ natürlich ein Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung der herrschenden Zustände hat, bildet sich als Negation der Negation im dialektischen Sinne eine neue, (echte) Opposition. Das Thematisieren der realen Mißstände in evtl. vereinfachter Diktion ist dabei keine „Verflachung“ sondern eine realitätstaugliche Ansprache des Wahlvolkes. Gerade die „echten“ Oppositionsparteien zeichnen sich durch eine eher hohe personelle/intellektuelle Qualität aus. Von der Wahrhaftigkeit der vertretenen Positionen ganz zu schweigen.
Ja, die MAGA-Bewegung in den USA hat nach innen den gleichen Antagonisten und daher einen ganz ähnlichen Antrieb. Nach außen stellt sich auch für die USA die Frage nach Partnern und Verbündeten im Positionskampf im aufkommenden, multipolaren Weltsystem. Die Aufgabe der deutschen Politik der Zukunft ist darauf zu achten, keine irreversiblen Abhängigkeiten zu schaffen, die einer deutschen Forderung nach „Augenhöhe“ wirksam entgegenstehen.
Beste Grüße