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Cerca Trova – der wahre Wert von alten Dingen

15. November 2021
in 3 min lesen

Die Sommerzeit ist vorbei. Mit dem November kommen mehr und mehr kalte, verregnete Tage. Tage, an denen man nicht im Antlitz der Sonne über den Trödelmarkt wandern kann. Weltuntergang. Möchte man meinen. Doch ich habe mir, wie jeder vernünftige Mensch, Abhilfe verschafft. Auf Schatzsuche geht es jetzt wieder online. Meine Merkliste auf eBay Kleinanzeigen ist schier endlos. Getreu dem Motto cerca trova.

Wer jetzt denkt, die wäre voll mit Hello Kitty-Stickeralben oder heruntergekommen Teelichthaltern, die man auch für einen Euro im nächsten Ramschladen bekommt, der hat seine Hausaufgaben schlecht gemacht. Es finden sich lediglich echte Schätze darunter, die größtenteils noch unerfüllte Wünsche sichtbar machen. Echtholz-Schachbretter mit handgeschnitzten Figuren, alte Transporter, Florentiner Deckenlampen, DDR-Integralhelme, Tischlampen im Art déco-Stil und eine Menge anderer Dinge, welche ich als wertvoll bezeichne.

Preis und Wert

Doch wer gibt den Dingen eigentlich seinen Wert? Wer jetzt denkt „so viel wie Gegenstand xy eben kostet…“, dem sollte zuerst klar werden, dass Preis und Wert unabhängig voneinander betrachtet werden müssen, da sie schlichtweg nicht ein und dasselbe verkörpern. Vor allem in unserem kranken Zeitalter, in dem jeder denkt, mit seinem Handy für 2.000 € in der MCM-Bauchtasche und den Balenciagas an den Füßen, die Welt im Nu erobern zu können.

Beispielsweise kostet ein neuer Kombi im Schnitt 30- 40.000 €. Er hat eine Sitzheizung, Klimaanlage, einen ganzen Haufen modernen Tinnef, welcher das Auto in ein Wohnzimmer verwandelt und er korrigiert dich automatisch, wenn du mal wieder nicht in der Spur bleiben willst. Schön — sagt der eine. Mist — sage ich. Denn dieses Auto hat für mich keinen ideellen Wert. Zumindest nicht in meiner momentanen Situation.

Klar kostet es eine Stange Geld, aber was nützt es mir, wenn ich nichts transportieren kann, was größer ist, als vier Bierkästen und eine Handtasche?! Mir jedenfalls nicht allzu viel. Für Ausflüge zum Baustoffhandel müsste sich der Kombi-Besitzer erstmal einen Hänger ausleihen. Vorausgesetzt sein geliebtes Fahrzeug verfügt über eine Anhängerkupplung. Aber genug gepöbelt. Meine Definition von Wert hat für mich in dem Fall auch etwas mit dem Nutzen an sich zu tun.

Die Magie der alten Sachen

Weiter zum nächsten Beispiel. Letztens kaufte ich (wiederholt) alte Bücher. Preis: drei Euro. Wert: geht in die Richtung unermesslich — weil alt, schön und vor allem vollgepackt mit brauchbaren Informationen in Reinkultur. Einige andere Menschen hätten den alten Plunder vermutlich keines Blickes gewürdigt. Ich hingegen erfreue mich jedes Mal aufs Neue, sobald ich eines davon aus meinem Bücherregal nehme. Denn es gibt Dinge auf Erden, die in ihrer Stückzahl kontinuierlich weniger werden oder nur noch vereinzelt vorhanden sind. Da sie entweder verloren gehe, vergessen oder aber vernichtet werden.

Der Mensch lebt getreu dem Motto „Neu ist immer besser“. Er schmeißt alles weg, repariert nicht und schätzt besonders nicht, welche Bedeutung, welchen Wert, beispielsweise das Porzellanservice der Uroma einst für sie hatte. Der Wert, auf emotionaler Ebene, wird dabei völlig außer Acht gelassen, da sich die Personen oft gar nicht mit ihren eigenen Verwandten oder sonstigen Vorfahren zu identifizieren versuchen.

Sie kaufen sich stattdessen das gleiche billig Steinzeug, wie es einst eine der tollen „Influencerinnen“ getan hat und freuen sich dann darüber, dass sich ihre Kücheneinrichtungen gleichen, wie ein Ei dem anderen. Der zunehmende Prozess der Abwertung gegenüber alten Dingen, vermeintlichen Kostbarkeiten und Erinnerungsstücken aus längst vergessen Tagen, wird sich nicht aufhalten lassen. Zumindest so lange nicht, bis sich die Menschen wieder ins Bewusstsein rufen, dass der neue Fernseher nicht viel mehr von Wert ist, als der Preis, den sie dafür bezahlt haben.

Verstaubte Geschichten

Es wird schlichtweg nur noch von den Wenigsten in Betracht gezogen, dass hinter einem verstaubten, eingerosteten Gegenstand, mehr steht. Die Erkenntnis, dass es sich lohnt, den Dreck mal wegzuwischen, um den darunter verborgenen Zauber wieder zum Vorschein zu bringen, bleibt dem Großteil der Bevölkerung auf ewig verwehrt. Doch mir nicht. Statt mich weiter auf dieses unaufhaltbare Geschehen zu konzentrieren, um mich darüber zu ärgern, wie blöd die doch alle sind, beleuchte ich lieber noch einen anderen Punkt.

Denn neben all den materiellen Gütern, welchen ein Wert beigemessen wird, sollte man das wertvollste Gut nie vergessen — die Zeit. Ohne Zeit ist alles nichtig. Kein einziges Buch der Welt wäre mir von Nutzen, wenn ich mir nicht die Zeit nehmen würde, um es zu lesen. Oder die Scheune voller Mopeds. Nützt mir nichts, wenn ich sie nicht ab und zu fahre.

Um ein Mensch mit gefestigten Werten und Vorstellungen zu werden, muss man mich mit sich selbst auseinandersetzen. Nur so kann man reflektieren, Schlüsse ziehen und wachsen und so ein definiertes Idealbild von dem erschaffen, welches man Schritt für Schritt umzusetzen beginnt. Nur wenn ich mir darüber im Klaren bin, was ich will, brauche, welche Ansprüche ich an mich und mein Umfeld stelle und wo ich auf kurz oder lang hin möchte, werde ich das auch erreichen. Deshalb ist es so wichtig, die Zeit als das zu begreifen, was sie ist. Unendlich, frei von Wertung, für jeden vorhanden und unfassbar wertvoll.

Also nutze sie klug, auch auf eBay. Und anstatt Tobi_94xD zu fragen: „was letzte Preis?!“, übt euch lieber im verhandeln. Damit ihr im kommenden Frühling beim Ausflug auf den Trödelmarkt fit seid, wenn es darum geht den Preis zu senken. Aber ob das klappt oder nicht, sei mal dahin gestellt. Egal wie viel es schlussendlich kostet – den Wert bestimmt nur ihr allein.

Klara Fall

Irgendwo im ostdeutschen Hinterland versucht sie zwischen Waldspaziergängen und Mopedschrauberei, den Sinn des Lebens zu finden. Wenn das mal nicht ganz glückt, wird der Kummer in Bier ertränkt und rumphilosophiert, während im Hintergrund die besten Hits der 80er laufen. Natürlich immer mit dem Ziel vor Augen am nächsten Katersonntag einen neuen Artikel zu schreiben.

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