Warum Israel eine Rolle spielt

2. November 2024
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Jerusalem liegt mit dem Auto rund 4.000 Kilometer von Berlin entfernt. Juden sind eine absolute Minderheit in Deutschland und der Nahostkonflikt hat weder territorial noch durch den direkten Bezug zu Staatsbürgern einen Einfluss auf uns. Können uns die politischen und jetzt militärischen Auseinandersetzungen Israels deshalb egal sein? Das wäre zu kurz gegriffen. Denn unsere Kultur und unser Land sind stark durch Geschehnisse in diesem kleinen Landstrich geprägt…

Es gibt in ganz Deutschland kaum ein Dorf, in dem das Stadtbild nicht wesentlich von historischen Geschehnissen aus dem Nahen Osten geprägt wäre. Da stehen Kirchen, in denen Nachbildungen des gekreuzigten Juden Jesus hängen und unter diesen Kreuzen werden mehrmals die Woche Erzählungen verlesen, die von Juden handeln, im Nahen Osten spielen und teilweise aus dem Hebräischen übersetzt wurden.

An Weihnachten strömt alle Welt in diese Kirchen um die Geburt eines jüdischen Kindes, welches in der heute von Arabern bevölkerten israelischen Stadt Bethlehem geboren wurde, zu zelebrieren. Wenig später laufen in vielen Gebieten Kinder von Haustür zu Haustür, um verkleidet als die drei Weisen aus dem Morgenland um Spenden zu bitten. Mit dem Morgenland ist im weitesten Sinne der Nahe Osten gemeint. Von Ostern, Pfingsten und sogar dem Sonntag als Tag der Auferstehung eines gewissen Juden ganz zu schweigen…

Aber nicht nur das Christentum ist unlöslich mit dem Judentum und mit Israel verbunden. Juden haben Deutschland nachhaltig geprägt. Die Liste der einflussreichen deutschen Juden ist lang: Von Heinrich Heine und Moses Mendelson, über Karl Marx bis hin zu Albert Einstein und Hannah Arendt. Auch gegenwärtig findet man sie in Deutschland als laute Stimmen im politischen Diskurs. Sei es ein Daniel Cohn-Bendit und ein Michel Friedmann auf linker bzw. liberal-progressiver oder ein Hendryk M. Broder und ein Elijah Tee auf eher rechter bzw. liberal-konservativer Seite.

Der Blick auf die Juden wird in Deutschland maßgeblich von der politischen Einstellung bestimmt – auf linker wie auf rechter Seite. Begründen die linken Antideutschen ihre Ablehnung Deutschlands aus dem Holocaust und sehen die Juden und ihren Staat als ewige Schutzbefohlene an, ordnen linke Antiimperialisten Israel mehr oder weniger unverhohlen als eine Art neuen kolonialistischen Faschostaat ein, der die Palästinenser unterdrückt. Im rechten Lager sehen sich liberal-konservative tendenziell stärker mit Israel verbunden, da sie den westlichen Werten deutlich näherstehen, manche betonen auch die besondere deutsche Verantwortung aufgrund des Holocausts. Ein Teil der Rechten lehnt Juden und vor allem Zionisten per se ab – Überschneidungen mit linken Antiimperialisten sind nicht selten.

Nicht nur die politische Landschaft in Deutschland ist gespalten, was die Juden oder den Staat Israel angeht. Die ganze Welt scheint eine Meinung zu diesem Volk und Land zu haben. Auch stechen die Juden und Israel global immer wieder hervor, wie zwei Beispiele verdeutlichen sollen: Einerseits ragen Juden in der Forschung heraus (23 Prozent aller Nobelpreisträger sind jüdischer Abstammung), andererseits kassierte der Staat Israel bisher sagenhafte 108 UN-Menschenrechtsverurteilungen. Aber egal, wie man zu der Sache steht – Deutschland ist gemeinsam mit den USA Teil der NATO. Für die Geostrategie des Westens ist ein Brückenkopf im Nahen Osten von unschätzbarem Wert. Nein, Deutschland und der ganze Westen werden ihren Bezug zu Israel und dem Judentum nicht abschütteln können. Und das sollten sie auch nicht.

Aller berechtigten Kritik am Schuldkult zum Trotz, bleiben die Verbrechen der Nationalsozialisten ein Kapitel der deutschen Geschichte, zu dem wir uns irgendwie verhalten müssen. Das Dritte Reich lässt sich aus der deutschen Identität genauso wenig wegretuschieren wie das vorchristliche Heidentum, Karl der Große, die Reformation oder Goethe. Es verlangt einen Umgang. Gerade wer den Volksbegriff ethnisch begreift, muss wissen, dass Erlebnisse gemeinsamer Schuld, genauso einen Eindruck in der Volksseele hinterlassen wie gemeinsames Leiden oder gemeinsamer Triumph. Ich verstehe den Zynismus derjenigen gut, die sich wundern, warum Israels Sicherheit plötzlich „Staatsräson“ ist, während die Sicherheit der Deutschen im eigenen Land seit Jahren ignoriert wird. Darin liegt eine gewisse Paradoxie und sicherlich auch politische Falschheit der Machthaber in Berlin – doch gleichzeitig kann man aus diesem innerdeutschen Problem nicht wirklich eine Ignoranz gegenüber Israel und dem Nahen Osten ableiten.

Oft wird vergessen, dass nicht nur die Juden uns beeinflusst haben, sondern auch wir sie. So ist der Antisemitismus in arabischen Ländern zwar keine deutsche Erfindung, wurde aber von nationalsozialistischer Ideologie nachhaltig geprägt. Die Bibel und somit auch die Biografie Jesu ist nicht nur das einflussreichste Buch in Deutschland, sondern die Autobiografie eines gewissen Österreichers auch ein Bestseller im Nahen Osten und auch in den palästinensischen Gebieten. Den modernen Staat Isreal würde es ohne den Holocaust wohl nicht geben. Als Theologe und Christ denke ich bei all dem auch an einen Zuspruch Gottes über Israel der auch heute noch Gültigkeit beansprucht:  „Gesegnet sei, wer dich segnet, und verflucht, wer dich verflucht!“ (4.Mose 20,9:)

Karl Napf

Karl Napf vereint etliche Widersprüche in sich. Er ist badischer Protestant, anarchistischer Demokrat und libertärer Antikapitalist. Er strebt dem Ende seines Theologiestudiums entgegen und hegt große Sympathien für Erweckungsprediger wie Spurgeon, Whitefield oder seinen badischen Landsmann Aloys Henhöfer.

6 Comments Leave a Reply

  1. Leicht abgewandelt bringt folgende Aussage aus dem Beitrag den Kern des Themas auf den Punkt:
    „Den modernen Staat Israel würde es ohne Großbritannien wohl nicht geben.“
    Als Denkanstoß worum es wirklich geht und was nur Vorwand ist.
    Danach kann man sich überlegen wie 4.Mose 20,9 am passendsten auszulegen ist.

  2. Mehr Stolpersteine bitte, aus Gold, mit Koks gepudert um diese unseren friedmänn’schen Musen in die Schädel zu prügeln! Nur eine vom Talmud befreite Welt hat eine Zukunft.

  3. „Das Erlebnis gemeinsamer Schuld“ ist, dass meine (Ur)Großväter extrem stabile, evilmaxxed Gigachuds waren.

  4. Die Levante ist nicht die Knochen eines badischen Grenadiers wert. Da gibt es für uns nichts zu gewinnen. Sie können ja Waffen bei uns kaufen, wenn sie wollen. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass mir niemand aus der Ecke besonders wohl gesonnen zu sein scheint.

  5. Und wie gut er das tut. Das tut gut in all‘ der Hetze gegen ein tolles Land in einem kritischen Daseinskrieg.

  6. Hach, mein auf YouTube geäußerter Wunsch, Karl Napf möge sich der Thematik doch annehmen, ist in Erfüllung gegangen. <3

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