Wie der „Friedenskanzler Scholz“ 2025 gewinnen könnte

29. November 2024
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Die Abläufe in einer Gerontokratie unterliegen einer spezifischen Logik, die nicht nur das soziale Miteinander bestimmt, sondern auch in der Politik den Takt vorgibt. So dürfen sich in der späten Bundesrepublik nach wie vor zwei Parteien – CDU und SPD – das Prädikat „staatstragend“ anheften, obwohl sie in der Wählergunst über die letzten Jahrzehnte hinweg massiv an Unterstützung verloren haben. Dennoch beherrscht die vergiftete Erzählung unser Land, die da lautet, dass keine Bundesregierung ohne die Beteiligung der sogenannten Christdemokraten oder Sozialdemokraten konstituiert werden dürfe. Ein Erneuerungsprozess der deutschen Parteienlandschaft gelang bisher immer nur in Ansätzen, denn noch verhindert der demografische Wasserkopf der Boomer eine grundlegende Neuausrichtung des politischen Betriebs. Die späte Bundesrepublik steckt mental irgendwo zwischen den 70ern und frühen 2000ern fest, was eine Zahl ganz beeindruckend widerspiegelt: Bei der letzten Bundestagswahl 2021 waren 58 Prozent der Wähler 50 Jahre oder älter. 50 Jahre zuvor betrug ihr Anteil noch 41 Prozent.

Und damit haben wir auch schon die Antwort darauf, wie ein Anticharismatiker wie Olaf Scholz Bundeskanzler werden konnte, ja wie überhaupt so ein Eselrennen mit Schnecken 2021 möglich war – wir erinnern uns: Scholzens Gegenspieler hieß Armin Laschet. Auch der war und ist eine durch und durch spätbundesrepublikanische Erscheinung. Die lange, bleierne, lähmende Ära Merkel will ich an dieser Stelle gar nicht erst rekapitulieren – die Schwarmkönigin dominierte über meine gesamte Jugend und jungen Erwachsenenjahre die Geschicke dieses Landes, und ich bin sicherlich nicht der Einzige, der unter dem Eindruck dieser 17 Jahre (!) währenden Paralyse den ominösen „Generationenvertrag“ nachhaltig infrage stellt.

Aber bevor ich in den Kommentaren jene lieben Leser beschwichtigen muss, die sich unter dem Schlagwort „Boomer“ reflexhaft mitbeleidigt fühlen, will ich einen vorauseilenden Blick aus unbestimmter Zukunft zurück auf das Jahr 2025 werfen und in guter deutscher Tradition die Frage stellen, wie das passieren konnte. Wie Olaf Scholz – ja, Sie lesen richtig – es dann doch noch schafft, Kanzler zu bleiben, wobei wir etwaige Koalitionskonstellationen mal außer Acht lassen wollen. Die Antwort auf diese Frage ist im Osten zu finden. Nein, nicht in Mitteldeutschland, sondern im echten Osten, oder genauer gesagt: im Frontbogen, der sich von Cherson am Schwarzen Meer über Städte wie Tschassiw Jar, Saritschne und Kupjansk bis in die russische Oblast Kursk wölbt.

Für die meisten rechten Oppositionellen in Deutschland gilt es als ausgemachte Sache, dass mit der Präsidentschaft Trumps der Krieg in der Ukraine enden wird. Gestützt wird diese Vermutung vom Hinweis auf mehrere naheliegende Gründe, die Trump haben könnte – etwa die Schwerpunktverlagerung der US-Strategie auf den Pazifik und Asien, das Fehlen einer ideologischen Feindschaft Trumps gegenüber den Russen und Putin und seine generelle „Deal Maker“-Attitüde. Im Windschatten dieser Neuausrichtung der US-Außenpolitik wackelt die finanzielle und materielle Unterstützung der Ukraine gewaltig. Auch wächst nach über 1.000 Tagen Krieg unter der gebeutelten Bevölkerung – einschließlich der Streitkräfte – der Wunsch, das desaströse Materialschlachten zu beenden.

Nun hat Trump den ehemaligen Generalleutnant Keith Kellogg als zukünftigen Sonderbeauftragten für das osteuropäische Pulverfass ernannt, und der trumpfte auch just mit einem einleuchtenden Plan auf: Die Ukraine und Russland sollen an den Verhandlungstisch gezwungen und die Front eingefroren werden. Sein Druckmittel: Blockieren die Russen, so werden die USA die Ukraine-Unterstützung verstärken. Blockieren hingegen die Ukrainer, so werden sie den Krieg ohne US-Mittel fortsetzen müssen.

Eine Lösung ist das nicht, im Gegenteil: Zunächst einmal ist die Einfrierung der Front ein untragbarer Zustand für beide Kriegsparteien. Für die Ukraine steht das außer Frage, aber auch die russische Führung muss ihrer Bevölkerung irgendwie klarmachen, dass die horrenden Verluste und Kosten der „militärischen Spezialoperation“ nicht umsonst gewesen waren. Und wie sollen die Millionen Ostukrainer, die in den letzten Jahren geflohen sind, in ihre zerstörten Städte zurückkehren – ja, warum sollten sie sich ein paar Dutzend Kilometer von der eingefrorenen Frontlinie entfernt wieder eine neue Existenz aufbauen? Dieser Krieg kann nicht gestoppt werden, er muss – und das ist die eigentliche Tragödie – von der einen oder anderen Seite gewonnen werden. Vorher wird es keinen Frieden geben.

Und dieser potenzielle Friede, der nur eine nachhaltige Zerstörung der Ukraine oder eine die russische Staatsmacht unterminierende Demütigung sein kann, trägt den Keim eines weiteren Krieges in sich. In beiden Fällen hat sich nämlich das Ressentiment bestätigt: Die Russen sehen sich von der NATO in ihrer Existenz bedroht, die nord- und osteuropäischen (NATO‑) Länder hingegen von der bellizistischen Großmacht Russland. Polen rüstet auf und schickt sich an, eine gewaltige konventionelle Armee auszuheben. Schweden sensibilisiert seine Bevölkerung für eine militärische Auseinandersetzung mit Russland. Der Krieg ist mit einer Wucht in den politischen, aber auch sozialen Alltag zurückgekehrt, dass der verwunderte Deutsche sich nur die Augen reiben kann.

Eine spitzfindige Beobachtung sei mir gestattet: Neben den hartgesottenen Rechtsboomer-Veteranen („Hammelburch ’82, watt war datt ’n Scheiß!“) und den friedensbewegten Linksboomern („Rheinwiesen ’82, da habe ich die Dörthe kennengelernt…“) tritt ein zumeist in der Generation X verhafteter Typus, der sich in erschreckend kurzer Zeit vom renitenten Wehrdienstverweigerer zum nervigen Kriegsfetischisten gewandelt hat („Du, der Ralf Raths vom Panzermuseum Munster macht echt tolle Videos. Schau mal!“).

Aber was hat das jetzt mit Scholz zu tun? Wenn sich die Sache in der Ukraine im Laufe des nächsten Jahres eben nicht so entwickelt, wie sich das die Trump-Anhänger erhoffen, wenn dort der Krieg in seiner immer eskalatorischeren Logik fortgesetzt wird, dann stellt sich bei der nächsten Bundestagswahl neben all den wirtschaftlichen Dingen plötzlich ganz konkret die Frage, wie das eigentlich werden soll – also das mit dem „woken und wehrhaften“ Deutschland, der Bundeswehr und dem erst mal ganz unverfänglichen Gedanken, dass der Jonas und die Sophie nach dem Abi nicht nach Australien fliegen, sondern in den Donbass fahren. Was also, wenn das 50-plus-Deutschland nächstes Jahr vor der Wahl steht: Falke Merz oder Taube Scholz? Vergessen wir nicht: Das Nein zum Krieg hat einem Sozialdemokraten schon mal die Wahl gesichert. Geschichte reimt sich, heißt es. In der Gerontokratie ist sie dazu verdammt sich zu wiederholen.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

2 Comments Leave a Reply

  1. Allein schon der prätentiöse Täuschungsbegriff „Generationenvertrag“ ist BRD-Sprech pur. Einst als schnellen Ausweg aus schwerer Ausgangslage begonnen wurde die Altersversorgung nie auf eine solide fundiertere Grundlage umgestellt. Stattdessen handelt es sich in Wirklichkeit effektiv um nichts anderes als immens ausgeweitete und zahlreich zweckentfremdete Sozialstaatszahlungen auf Schuldenbasis, zu einem skandalös schlechten Minuszinssatz.

  2. Und nach der Wahl stimmt er dann doch der Taurus Lieferung zu. Man kennt das doch alles schon. Vor der Wahl große Versprechen geben und dann … Werte wie Verantwortung und Ehrlichkeit sind doch schon längst im Arsch (schon seid mindestens 20 Jahren) . Das ist das große Problem.

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