Von Alexander von Goldstein
Wenn man sich aufmacht, einen Spaziergang durch eine unserer zahlreichen deutschen Großstädte zu unternehmen, überkommt einen schnell das Gefühl der Tristesse. Hierfür gibt es sicherlich zahlreiche Gründe, seien es die Erscheinungen des demografischen Wandels oder die Qualität der in den Geschäften angebotenen Waren. Aber für mich ist es vor allem die hervorstechende Hässlichkeit, die zahlreichen Großstädten, besonders im Westen Deutschlands, immanent zu sein scheint. Damit meine ich nicht unbedingt Müll und Dreck, sondern vor allem die Unerträglichkeit des ästhetischen Erscheinungsbildes zahlreicher Gebäude in den Innenstädten. Kaum noch sieht man ein Gebäude aus dem Barock oder Klassizismus, teilweise nicht einmal historistische Bauten. Dies trifft nahezu alle Gebäudetypen, vom einfachen Wohnhaus über Kaufhäuser bis hin zu einst repräsentativen Verwaltungs- oder Konzerthäusern.
Wenn man dann mit den Einwohnern ins Gespräch kommt und das mangelhafte Erscheinungsbild ihrer Heimatstadt erwähnt, hört man schnell Sätze wie: „Früher war es schön, doch im Krieg wurde es zerstört.“ Natürlich wurden so gut wie alle deutschen Großstädte im Zweiten Weltkrieg bombardiert, besonders in den letzten Monaten des Krieges wurden oftmals die schönsten deutschen Städte durch den alliierten Bombenterror zerstört.
Dennoch darf man nicht nur auf die Bombardierungen verweisen. Nicht nur im Osten Deutschlands gab es einen Kulturkampf. In der BRD lauteten die Schlagworte nicht Sozialismus, sondern Moderne und Fortschritt. Der Anspruch zahlreicher Bürgermeister und Stadtplaner war es, eine Stadt mit einem modernen Aussehen zu erschaffen. Ihr Ideal war die autogerechte Stadt, deren Innenstadt sich dem Geschäftsleben und dem Einkaufen unterordnen sollte. Die Menschen sollten am Stadtrand in trostlosen Schlafstätten leben. Zentral dabei waren breite Schnellstraßen, die die Städte wie ein Kuchen zerteilten. Es sollte ein Bruch mit allem Alten sein. Wie ein damaliger Bundestagsabgeordneter aus Trier sagte:
„Mir scheint, dass die Gefahr, dass Trier ein Opfer seiner historischen Überwucherung wird, tatsächlich gegeben ist.“
Und so rollten die Abrissbagger, sei es beim Deutschordens-Renaissancepalast (Ulm), der Flusswasserkunst (Hannover) oder dem St.-Katharinen-Kloster (Bremen). An ihre Stelle traten Parkplätze, Straßen oder Einkaufszentren. Doch nicht nur gegen die mittelalterliche oder barocke Stadt wurde gekämpft, ihr vielleicht größter Feind war die wilhelminische oder historistische Architektur, die vor dem Ersten Weltkrieg dominierte. Es sollte dabei betont werden, dass diese Gebäude nicht oder nur teilweise beschädigt waren. Der moderne Mensch sollte eine Stadt nach seinen Bedürfnissen erhalten, befreit vom Ballast der Vergangenheit. Befreit von Schönheit und Authentizität, möchte man heute hinzufügen.
Aus Sicht der Stadtplaner steckte in dieser Architektur der Geist des Untertanen. Dieser Prozess zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. In NRW riss man innerhalb kürzester Zeit die Hälfte aller Arbeitersiedlungen ab, die Vorstadtvillen ersetzte man hingegen durch moderne Bungalows – ein Wort, das wohl nicht zu Unrecht aus dem Bengalischen Sumpfland stammt. Mit noch gesteigerter Begeisterung rollten die Abrissbagger weiter, seien es neobarocke Opernhäuser in Köln oder zahlreiche neugotische Rathäuser. Der Zerstörungsdrang vernebelte die Geister so sehr, dass etwa in Essen das Rathaus abgerissen wurde, ohne dass man einen Ersatz hatte – und dann 14 Jahre ohne ein Rathaus leben musste. Die größte Zerstörungswut traf jedoch die klassischen Wohnhäuser. Zahllose Stadtviertel in klassischer Blockrandbebauung mit ihren lieblichen und Privatsphäre ermöglichenden Höfen wurden durch lieblose Quaderbauten ersetzt. Wo einst parallel zur Straße gebaute Häuser die Welt in einen öffentlichen und privaten Raum trennten, führte die neue Zeilenbauweise (abgehend von der Straße) zu einem Verlust des Heimischen.
Jene, die sich gegen die Pläne zur Zerstörung ihrer Stadt wehrten, wurden als ewig Gestrige, engstirnig und als Feinde des Fortschritts bezeichnet – was zu dieser Zeit tatsächlich eine Beleidigung war. Mit an alte Wochenschauen erinnernden Werbefilmen versuchte man der störrischen Bevölkerung die Segnungen der Moderne näherzubringen. Es sollte dabei betont werden, dass dies im Allgemeinen eine überparteiliche Angelegenheit war. Zwar zeigten sich die radikalsten Maßnahmen in SPD-regierten Städten wie Hannover, Bremen oder Essen, doch auch die CDU tat alles, um etwa in Köln die Stadt so fortschrittlich und autogerecht wie möglich zu gestalten. Mancherorts, wie etwa in Trier, riss die christliche Partei liebend gerne Kulturdenkmäler wie Klöster ab, um ein Kaufhaus zu errichten.
Doch was bringt es nun zu wissen, dass es nicht nur britische und amerikanische Brandbomben waren, die unsere Städte in eine Minecraft-Simulation verwandelten, sondern dass es unsere eigenen Stadtplaner und unsere eigenen Planierraupen waren, die für einen Großteil des heutigen Zustands verantwortlich sind? Der Grund ist einfach: Diese Architekten und Politiker waren beseelt von einem die Vergangenheit verneinenden Zeitgeist, der nach Fortschritt und Moderne lechzte. Wenn wir uns klarmachen, dass der Zustand unserer Innenstädte nicht naturgegeben, sondern Ausdruck eines Zeitgeistes ist, der uns dieser Gebäude beraubte, dann können wir mit einem neuen Grundgefühl unsere Städte ein zweites Mal aufbauen. An zahlreichen Orten sehen wir, wie die alten Städte wieder auftauchen – die besten Beispiele sind wohl der Wiederaufbau von Potsdam und Dresden. Es muss aber noch viel geleistet werden, denn noch immer gibt es viele Städte, die aus ästhetischer Sicht keinen Bombenregen fürchten müssen.
„Lieber Gott, beschütze dieses Haus vor Unwetter und Feuer, Stadtplanung und Steuer“
Die Gestaltungswut der Futuristen, egal welcher Geschmacksrichtung, war schon immer der Feind jeglicher natürlich gewachsener und damit letztlich menschlicher und gesellschaftsstützender Strukturen.
Sehr, sehr wahr. Wir heute machen uns kein Bild mehr davon, wie radikal die Menschen in der ersten. Hälfte des letzten Jahrhunderts dachten. Ich war immer latent auch ein Freund modernen Bauens. Also klar: Bauhaus ist (auch) gut. Aber dann fand ich irgendwann einen Fotokalender mit Bildern des unzerstörten modernen Berlins – also Bauten der 20er Jahre. Darin hatte ein Architekt / Städeplaner geschrieben, dass die alten Gebäude kein „EXISTENZRECHT“ hätten. Die nicht -national-sozialistischen Linken hatten eben genauso die Ausrottung gewisser Dinge, Gedanken und Menschen wie die radikalen National-Sozialisten. Sicher waren auch die Rechten nicht zimperlich. Aber das ganze eugenische Denken, Reden und Tun hatten sie irgendwo alle. Und das hat sich in den Vernichtungsfeldzügen 1941-1955 (sagen wir mal) widergespiegelt. Irre. Deswegen wurden auch in Berlin die ganzen Fassaden „gesäubert“. Es gab Geld für das Stuck-Abschlagen – also „Modernisieren / Verhässlichen“ der Stadt. Das kann man nur mit Ideologie und Traumata erklären. Wahnsinn in Aktion…