Der lang erwartete Wahltag liegt hinter uns: Am 23. Februar wurden alle wahlberechtigten Bürger der Bundesrepublik Deutschland dazu aufgerufen, den 21. Bundestag zu wählen, nachdem der vorherige Bundestag im Zuge des Scheiterns der Ampelkoalition aufgelöst wurde. Die Wahl hatte einige historische Dimensionen: Sie war die erste Wahl seit 20 Jahren, die nach einer gescheiterten Vertrauensfrage eines Kanzlers (und zwar wieder eines SPD-Kanzlers) abgehalten wurde, sie hatte mit 82,5 Prozent die höchste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl im wiedervereinigten Deutschland – lediglich 1998 gingen mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne –, und sie ist die erste Bundestagswahl der Geschichte, in der der zweite Platz unter den Parteien nicht von einer der klassischen „Volksparteien“ CDU oder SPD belegt wurde, sondern von einer relativ neuen Kraft: der AfD.
Und damit sind wir am entscheidenden Punkt: Mit 20,8 Prozent ist die AfD mit einem bundesweiten Rekordergebnis in das neue Parlament eingezogen, hat dabei die Noch-Kanzler-Partei SPD überholt und wird zweitstärkste Kraft nach der Union. Und doch – dieser Sieg fühlt sich nicht vollständig an. So viel mehr hätte noch drin sein können – oder?
Nun, erst einmal die Gründe zum Feiern:
1.) Die AfD ist zweitstärkste Kraft! Das mag angesichts der Übermacht der anderen Parteien erst mal bedeutungslos erscheinen, aber es hat trotzdem eine Symbolwirkung: Viele Deutsche wollen den alten Kurs eben doch nicht mehr, und es ist mittlerweile jeder Fünfte – wenn man diejenigen, die sich von Fritze Merz haben einlullen lassen, noch hinzuzählen wollte, sind es noch mehr.
2.) Der Osten ist blau! Gut, das ist eine längst etablierte Binsenwahrheit. Aber dennoch sind die Rekordergebnisse der AfD beachtlich, in Sachsen und Thüringen etwa erreichte die Partei knapp 40 Prozent. Solche Ergebnisse zu den Landtagswahlen wären schön gewesen! Doch nicht nur im Osten ist die AfD auf dem Vormarsch. In den alten Bundesländern konnte sie in zwei Wahlkreisen die meisten Zweitstimmen gewinnen, nämlich in Gelsenkirchen und in Kaiserslautern. Doch unter dem CDU-Filz, der im Westen in den allermeisten Wahlkreisen gewonnen hat, erscheint vor allem im Südwesten und Süden ein strahlendes Blau: Dort hat nämlich die AfD den zweiten Platz errungen. In Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland ist sie mit rund 20 Prozent hinter der Union gelandet. In den restlichen alten Flächenländern, vor allem im Nordwesten, musste sie sich mit dem dritten Platz zufriedengeben. Die Stadtstaaten haben erwartungsgemäß links gewählt, dort rangiert die AfD auf Platz vier oder fünf.
Doch bei all den Gründen zur Freude muss auch Wasser in den Wein gegossen werden…1.) Die politische Großwetterlage war perfekt für den Wahlkampf: Die Ampelparteien waren/sind zerstritten, Merz hat einen feigen Pseudovorstoß zu einer rechten Migrationspolitik gemacht und ist gescheitert, es gab ausländische Unterstützung und – so zynisch es leider klingt – jede Woche ereignete sich mindestens ein Vorfall, der durch eine klare, rechte Politik hätte verhindert werden können. Und man hat dies nicht wirklich nutzen können oder wollen. Der kernige Wahlkampf hat gefehlt – die Provokation, die harte Kante, die Kreativität. Es ging ja bei den langweiligen Wahlplakaten schon los: „Zeit für…“ holt doch niemanden ab! Statt „Zeit für Alice Weidel“ hätte man lieber „Alice für Deutschland“ plakatieren sollen. Wo wir gerade beim Thema sind: Bei allem Respekt für diese Frau muss doch gesagt werden, dass ihr Auftreten als „strenge Bänkerin“ häufig unsympathisch gewirkt haben muss. Zusammen waren beide Spitzenkandidaten oft in Talkshows oder Ähnlichem zu Gast, und oft ließ – trotz einiger schöner Momente, gerade bei Chrupalla – ihre Schlagfertigkeit zu wünschen übrig.
2.) Daran schließt sich der nächste Punkt übergangslos an: Der fehlende Kampf um die Jugend. Ein Viertel der Jungwähler hat ihre Stimme der Linken gegeben – klar, die AfD folgt danach mit 19 Prozent, aber auch hier gab es eine vertane Chance. Maximilian Krah hatte es doch beim EU-Wahlkampf vorgemacht: Die Jugend will keine langweiligen Wahlplakate, keine Diskussion darüber, ob Hitler links oder gar Kommunist war – kurz: keine „seriöse“ Wahlkampfstrategie! Provokationen und TikTok-Edits sind die Mittel der Zeit, und man hat sie nicht genutzt. Ausgerechnet die Linke, dieses entartete Überbleibsel des deutschen Bolschewismus, hat sich das zu eigen machen können: Mit Heidi Reichinneck an der Spitze kopierte man die TikTok-Strategie der AfD vom letzten Jahr und begeisterte so vor allem junge Frauen – und jetzt dürfen wir uns mit den Linken, die wir noch bis vor drei Wochen außerhalb des Parlaments sahen, für weitere vier Jahre herumschlagen…
Es gibt noch weitere kleinere Punkte, etwa die verfehlten 25 Prozent der Parlamentssitze, die notwendig wären, um einen Untersuchungsausschuss zu initiieren, die etwas schwer auf dem Magen liegen, aber die oben genannten sind die wichtigsten. Somit ist dieser Sieg eben alles andere als vollständig, und bis 2029 will eigentlich niemand mehr warten. Bleibt zu hoffen, dass Merz es bald vergeigt – und wir vielleicht auf die 30 Prozent zugehen.
Ja, es ist kein „vollständiger Sieg“, aber eben doch ein großer Schritt. Unter den gegebenen Umständen und den Phrasenhändlern der Altparteien haben Weidel und Chrupalla einen guten Job gemacht.
Zu den gegebenen Umständen gehört u.a.: Über 40 % der Wahlberechtigten gehören der Generation 60+ an (der Anteil der Altersgruppe 50-59 liegt nur noch bei 17 % und schrumpft weiter bis auf 11,1 % bei den 21-29jährigen). Diese „Gerontokratie“ lässt ihr Weltbild überwiegend durch die klassischen Leitmedien prägen und stützt die Altparteien, weil sie sich davon Stabilität „wie in den guten alten Zeiten“ verspricht.
Zur Strategie der AfD muss also auch eine gehörige Portion langer Atem gehören, bis die Altparteien an der Bewältigung der selbstgeschaffenen Krisen scheitern.