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Cancelculture, Meinungsfreiheit und Anstandslektionen von Herrn Anpalagan

27. Oktober 2020
in 5 min lesen

Spätestens nach dem Harper´s Letter und dem ähnlich ausgerichteten „Appell für freie Debattenräume“ von Gunnar Kaiser und Milosz Matuschek, entzündet sich auch hierzulande die Debatte um „Cancelculture“ – gemeint ist eine Unkultur der Zensur, Stigmatisierung und Kontaktschuld – die in einem zunehmend giftiger werdenden Klima des Meinungstotalitarismus mit politisch korrekten Sprachregelungen zusammenfällt.

Höchste Zeit also, im Rahmen eines ebenso harten wie fairen Schlagabtauschs die stark polarisierenden Fragen zu diskutieren, ob eine sogenannte Cancelculture überhaupt existiert, oder ob es sich hier lediglich um den erwartbaren, mutigen Widerspruch der Zivilgesellschaft handelt, und ob Sprachregelungen notwendige Konsequenz einer sensibler werdenden und inklusiveren Gesellschaft seien.

Der Fehdenhandschuh wurde geworfen im für kontroverse Berichterstattung bekannten ÖRR, genauer in Frank Plasbergs Format „Hart aber fair“ vom 5.10.2020. Und was würde sich besser dazu eignen um die unterschiedlichen Pole und Bruchlinien herauszuarbeiten, als Linke gegen etwas weniger Linke antreten zu lassen?

Es spielt dabei keine Rolle, wie der als Opposition zum zensurfreudigen Zeitgeist geladene Schriftsteller Jan Weiler sich selbst im politischen Koordinatensystem verorten würde. Die Tatsache, dass er „Negerkönig“ in Pippi Langstrumpf nicht durch „Südseekönig“ ersetzen möchte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich in Talkrunden dieser Art lediglich über Geschwindigkeit und Intensität der Progression uneins ist, nicht aber über die Notwendigkeit der Progression hin zu einer gerechten – weil gleichen – Gesellschaft selbst, etwa wenn die Chefredakteurin des Philosophie Magazins Svenja Flaßpöhler, ebenfalls in der Funktion der Oppositionellen, konstatiert, sie sei für eine Sensibilisierung der Gesellschaft und für eine diskriminierungsfreie Sprache, sich aber Sorgen darüber macht, dass „eine Entwicklung, die an sich gut ist, in etwas Destruktives umkippt.“ Diskutiert wird also nicht die Frage, ob aus politischen Motiven an Sprache herumgedoktert werden sollte, sondern nur, bis zu welchem Grad es wünschenswert ist.

Dass Cancelculture existiert, erleben wir an jeder Ecke; dass sich „Sprache wandelt“, in vielen Fällen nicht als organischer Prozess von unten nach oben, sondern von oben aufoktroyiert, ebenfalls. Der Vogel wird nur immer dann abgeschossen, wenn uns diese Vorgänge als Lauf der Dinge, ja als das Normalste der Welt verkauft werden sollen. Wie schon Ferda Ataman, Ko-Vorsitzende des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen, eine massiv subventionierte Lobbyorganisation, die den Negativpreis „Goldene Kartoffel“ für eine „realitätsferne und verzerrte Berichterstattung über Einwanderer“ verleiht, und einige andere vor ihr, will uns diesmal der linke Aktivist im Journalistenkostüm, Stephan Anpalagan, in völliger Verkennung der unterliegenden Machtstruktur, weismachen, dass es Cancelculture und Sprachregeln immer schon gegeben habe und diese nichts anderes seien, als die Manifestation des gesamtgesellschaftlichen Anstands, der Sittsamkeit und ganz allgemein Ausdruck des gesunden Menschenverstandes. Vergleichbar mit Benimmregeln etwa in Form des Knigges.

Wenn der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) für seine Untergebenen im öffentlichen Dienst vorsieht, den in Kalenderwoche 38 noch als unproblematisch geltenden Begriff „Mensch mit Migrationshintergrund“ künftig durch „Mensch mit internationaler Geschichte“ und „Ausländer“ durch „Einwohnender ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ zu ersetzen, dann wirkt hier also lediglich der für alle klar umrissene gesunde Menschenverstand.

Eine bestechende Logik! Man könnte allerdings auch auf die Idee kommen, dass es sich um Steven Pinkers politisch motivierte Euphemismus-Tretmühle handelt. Ob das ständige Anpassen von Begriffen dabei überhaupt irgendetwas bewirkt, ist zweifelhaft, da sich die zu vermeidende negative Konnotation auf den neu gewählten Begriff überträgt, solange sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern. Daher spielt es keine Rolle, ob man von einem verhaltensauffälligen oder einem verhaltensoriginellen Kind spricht, jeder weiß, dass man es mit einem Rotzlöffel zu tun hat. Diese Sprachkosmetik dient lediglich dazu, bestimmte Sachverhalte zu verschleiern und darf nicht mit unseren Bemühungen um eine korrekte Sprache verwechselt werden, die auf das genaue Gegenteil abzielen, nämlich mit präzise definierten Begriffen die Wirklichkeit möglichst akkurat beschreiben zu können.

In Bezug auf Geschlechter liegt laut dem Berliner „Leitfaden für diversitysensiblen Sprachgebrauch“ auf der Hand, dass „sie sich nicht als ein Junge fühlt, sondern „ein Junge ist“. Sie wurde nämlich nicht als Junge geboren, sondern lediglich bei der Geburt „als männlich eingeordnet“.
Spätestens hier stellt sich die Frage, ob man in einem Maße weltfremd sein kann, das notwendig ist, um die politische Dimension dieses Aktionismus zu leugnen, oder ob man verschlagen genug ist, sie bewusst zu verschweigen.

Das biologisches Geschlecht nicht nur für ein überholtes Konzept zu erklären, sondern auch die Sprache dahingehend anzupassen, ist sowohl Ideologie in Reinform als auch größtmögliche Machtdemonstration.
Der gleichen abenteuerlichen Blindheit entspringen die Beteuerungen, es handele sich bei derlei Eingriffen ja nur um „Richtlinien“ und „Vorschläge“, zu deren Umsetzungen niemand gesetzlich gezwungen werden würde.

Da in Deutschland anno 2020 nichts stärker wirkt als die moralische Verpflichtung, signalisiert sie doch die Zugehörigkeit zum „Gewinnerteam“, dürfte auch daran kaum jemand ernsthaft glauben.

Insofern wäre es ehrlicher, wenn Stephan Anpalagan nicht von Anstand und von nachvollziehbaren, akzeptablen und freiwillig eingehaltenen Sittengeboten sprechen würde, sondern einfach zugibt, dass er einer politischen Ideologie anhängt, die das Konzept von Mann und Frau für einen vom Partiarchat erfundenen Unterdrückungsmechanismus hält und sich darüber freut, dass seine Gesinnungsgenossen in einem Maße gesellschaftliche und damit politische Macht kumulieren konnten, dass sie nun den Mitgliedern dieser Gesellschaft diktieren können, in welcher Form und mit welchen Termini über dieses Thema gesprochen wird. Genau diese Macht ist es, die Haltungsjournalisten wie Anpalagan anzieht wie Motten das Licht.

Ein angenehmer Nebeneffekt der gesellschaftlichen Hegemonie, die Phänomene wie Kontaktschuld überhaupt erst wirksam werden lässt, ist der Umstand, dass man sich echte Debatten sparen und es sich stattdessen mit diversen Diffamierungsvokabeln gemütlich machen kann. Anpalagan selbst weiss zum Beispiel gar nicht genau, was an Lisa Eckharts Auftritt aus dem Jahr 2018 antisemitisch gewesen sein soll. Es reicht ihm, dass der Zentralrat der Juden den Inhalt als antisemitisch markiert hat, um dafür zu plädieren, Eckhart künftig die Bühne zu entziehen.

Das pathologisches Muster, trotz Abwesenheit von Argumenten zur tonangebenden Klasse gehören zu dürfen, liefert allein schon den Beleg für eine im Niedergang befindliche Gesellschaft. Von dieser rohen, formenden Kraft sind wir in den Katakomben des digitalen Untergrunds noch Lichtjahre entfernt. Die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ wird dennoch in einiger Regelmäßigkeit gestellt.

In einem vielfach als kritisch aber ausgewogen wahrgenommenen Artikel über den „Appell für freie Debattenräume“ von Jan Freyn auf zeitonline spekuliert der Autor über die Wahrhaftigkeit der Unterzeichner, insbesondere derjenigen der rechtskonservativen Fraktion. Sollten sie einmal die Diskurshoheit erlangen, würde sich in eben jenem Moment entscheiden, wie sie es tatsächlich mit der freien Rede halten.

Das Mißtrauen gegenüber der Redlichkeit rechter Akteure ist tief verankert. Ein gängiger Vorwurf l
autet, dass Rechte und Konservative eben nicht am Austausch von Meinungen interessiert sind, sondern eine Cancelculture von Links durch eine von Rechts ersetzen möchten, um ihrerseits der Gesellschaft diktieren zu können, wo es lang geht.

Gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass die scheinbare Notwendigkeit des Zensierens von Meinungen, egal von welcher Seite, das indirekte Eingeständnis enthält, dass der Mensch zumindest in der Masse eben kein Vernunftwesen, sondern manipulierbar ist, also mit „guten Erzählungen“ versorgt und vor „schlechten“ bewahrt werden muss.

Wenn in der Schweiz 63% der Bevölkerung gegen eine Begrenzung der Einwanderung votieren, könnte man sich fragen, ob nicht auch gewisse Erzählungen unterdrückt hätten werden müssen. Oder lag es eher daran, dass sie sich zu lange unwidersprochen entfalten konnten? Kann man darauf vertrauen, dass die Masse überhaupt in der Lage ist, das bessere Argument zu erkennen?

Die ehrliche Frage lautet also: Würden wir zensieren, wenn wir die Macht dazu hätten? Würden wir Schmierentheater wie die Amadeu-Antonio-Stiftung verbieten? Als „Künstlerkollektiv“ getarnte Denunzianten wie das Zentrum für politische Schönheit oder das Propagandanetzwerk Funk?
Es mag sicherlich einige Befürworter geben, aber die meisten wären wahrscheinlich schon zufrieden, wenn sie diese Umtriebe nicht mit ihrem Steuergeld finanzieren müssten.

Gastautor

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