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Professusductus; CC 4.0 (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Andreas_Kalbitz_2016.jpg)

Zeitgeist und Markenkern. In Opposition und Kirche

25. Mai 2020
in 3 min lesen

Eine Antwort auf Bernard Udaus Text über Andreas Kalbitz von Patrick Andreas Bauer

Ich bin im Jahr 1995 geboren und habe mich 2014 in einer Mennonitengemeinde taufen lassen. Nach katholischer Erziehung und zeitgeistiger späterer Ablehnung jeglicher Religiosität erschienen mir gerade die evangelischen Freikirchen als wahrhaftiges Christentum. Die Kirchen sind voll, die Menschen herzlich, die Botschaft oft politisch inkorrekt – im Gegensatz zu den zentralistischen, orientierungslos wirkenden „Staatskirchen“. Dort wird nicht mehr das Wort Gottes verkündet, es wird indoktriniert. Wir, die Kirche, also die Gemeinschaft der Gläubigen, sollen unsere bisher gültigen Überzeugungen zur Homosexualität, zur Sexualmoral, zur Frauenpredigt ändern. Die neuen Maßstäbe für die Auslegung der Bibel heißen Beliebigkeit und Hedonismus.

Offenbar funktionieren Gemeinschaften dort noch, wo strenge Regeln Geborgenheit und Sicherheit geben können. Möglicherweise sind es gerade auch traditionelle Regeln, die den Gläubigen in seinem Bedürfnis nach Gottesnähe, Transzendenz und Verinnerlichung unterstützen und diese Kirchen so attraktiv machen. Insofern teile ich die Überzeugung Bernard Udaus, wenn er mit Kierkegaard der Auffassung ist, dass derjenige, der sich mit dem Zeitgeist vermählt, schnell zum Witwer werden wird. Udau führt aus, dass der Vergleich der AfD mit den Kirchen lediglich als Beispiel dafür dienen soll, dass eine Anpassung an den Zeitgeist der falsche Weg ist. So geht es ihm auch nicht darum, wie er schreibt, die Linie von Höcke oder Kalbitz zu verteidigen. Das ist geschickt, da der angestellte Vergleich sonst auch rasch hinken könnte.

Insofern erspare auch ich mir längere Ausführungen zur Tauglichkeit eines Vergleiches zwischen Kirche mit ihrer zentralen Botschaft, dem Gebot der Nächstenliebe und der Frage, ob es einer Partei guttut, jemanden in ihren Reihen zu wissen, der langjährige und deutliche Bezüge zum Rechtsextremismus und Nationalsozialismus (HDJ) aufweist und der auf den Gräbern seiner politischen Feinde tanzen möchte.

Selbst unter Außerachtlassung des Vorgesagten bestehen noch weitere grundlegende Zweifel an der Sinnhaftigkeit des von Udau angestellten Vergleiches zwischen Kirche und Partei unter dem Kriterium der Mitglieder-/Wählergewinnung. Zu unterschiedlich sind die Zielsetzungen: Hier die Verkündung der einzig seeligmachenden Lehre, dort die Kanalisierung des Wählerwillens. Bei Parteien, die ihre Aufgabe darin sehen, konkrete Probleme zu lösen, wird man den Wähler – nicht jeden, aber viele – dort abholen müssen, wo er nach jahrzehntelanger linker Indoktrination steht. Dieses Entgegenkommen, ist aber genau das, was Udau als Grund für die Erfolglosigkeit der Kirchen (und potentiell der AfD) ausmacht. Auch die üblicherweise in diesem Kontext angestellten Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Erfolgen der west- und mitteldeutschen Landesverbände, die suggerieren sollen, man müsse nur laut und schräg genug musizieren, um erfolgreich zu sein, sind schwach. Es ist nicht entscheidend, wie viele Prozente Kalbitz in Brandenburg geholt hat, sondern wie viele Prozente er in Hamburg geholt hätte.

Was ist es denn nun, was einige Kirchen so erfolgreich macht? Meines Erachtens ist es ihr programmatischer (bibeltreuer) Markenkern, ihre fehlende Beliebigkeit, ihre Gegenposition zum Hedonismus oder positiv formuliert, ihre beharrliche Fokussierung auf nicht immer einfach zu befolgende, aber haltgebende Regeln. Regeln, die eben gerade nicht eine Rassen- oder Klassenzugehörigkeit in den Vordergrund, sondern den Menschen als freies Individuum mit all seinen Fehlern in den Vordergrund stellen. Dieses Erfolgskonzept ist sicher nicht vorbehaltlos auf die Politik spiegelbar. Dort geht es um Interessen, auch um wirtschaftliche; und es geht um Begriffe wie Identität, Kultur, Werte- und Schicksalsgemeinschaft mit all ihren Unschärfen und Durchlässigkeiten und die erforderliche Positionierung einer Partei zu diesen Begriffen.

Was der AfD abhanden gekommen ist, ist aber genau dieser Markenkern. Niemand wird eine Partei wählen, die weder in der Lage noch willens ist, mögliche Betrügereien beim Parteieintritt zumindest aufklären zu wollen. Immer weniger werden eine Partei wählen wollen, die in ihrem Programm eine Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards fordert (“Schlanker Staat für freie Bürger”), deren „Ost-Vertreter“ aber von einer Querfront mit einer Linkspartei unter Wagenknecht träumen. Namentlich die geradezu ostentativ geforderte Aufweichung des Parteiprogramms durch Begriffe wie ökologische Marktwirtschaft oder sozialer Patriotismus schadet den Markenkern Parteiprogramm. Dass die Forderungen aus einer Ecke der Partei erhoben werden, die keinerlei Wirtschaftskompetenz vorzuweisen hat, macht die Sache nicht besser.

Eine linke CDU gibt es bereits, ebenso wie eine NPD. Wer das Parteiprogramm als Markenkern, das zahlreiche Alleinstellungsmerkmale enthält, verwässern möchte, für den gibt es im Parteienspektrum sicherlich noch genug Platz an anderer Stelle.

Der Wähler muss wissen, was er bekommt: Sozialismus oder Marktwirtschaft; Konservatismus oder Rechtsextremismus. Auch muss die Partei wieder glaubwürdiger werden; dazu gehört auch, dass man endlich diejenigen kaltstellt, die nicht zum Markenkern stehen können.
Will die AfD nicht den Weg der großen Kirchen gehen, muss sie an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten, ihren Markenkern wieder schärfen und nicht in weitere Beliebigkeit verfallen.

Gastautor

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