Dunkel
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Quelle: Ochlo, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Capitol_Hill_Autonomous_Zone_Welcome_Sign.jpg

Vollendete Demokratie in der CHAZ – Gesellschaftsklempnern für Fortgeschrittene

18. August 2020
in 7 min lesen

Von Kool Rainer

„The Left can cry, the Left can scream, but everybody knows, the Left can´t meme!“ Dieses Verdikt ist eine der aus Granit gemeißelten Säulen des Internets, so alt wie das Internet selbst und jeder weiß das! Sie können es einfach nicht. Wie auch?! Man ist ja viel zu sehr mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigt. Wollen wir in einer Welt leben, in der Turnschuhe von oben mit viel Phantasie aussehen wie Hitler?

Wenn Linke neben dem unablässigen Kampf für soziale Gerechtigkeit doch mal die Zeit finden, sich in die Schützengräben des memetischen Krieges vorzuwagen, dann ist das Unternehmen schon gescheitert, bevor die Schlacht überhaupt begonnen hat. Als ob man das elende Moralisieren, die plumpen Belehrungen und die Selbstherrlichkeit als Grundpfeiler des eigenen Selbstverständnisses so einfach abstellen könnte.

Und doch sorgen Linke ab und an für ein humoristisches Feuerwerk, denn sie sind unfreiwillig komisch, wenn man sie einfach machen lässt. Genau wie bei Laborhamstern in einem Labyrinth, brauch man nichts weiter zu tun, als sie beim umherirren zu beobachten. Bestes Beispiel in jüngster Vergangenheit war das sechs Blocks umfassende Freilaufgehege „CHAZ“, die leider mittlerweile geräumte „Capitol Hill Autonomous Zone“ in Seattle. Hier konnte man Linke in Echtzeit dabei beobachten, wie sie vor den Augen der Welt ihr Utopia errichten.

Ein Teil dieses ambitionierten Projekts waren die, von einem autonomen Schlaumeier auf Reddit veröffentlichten, Vorschläge zur Beseitigung institutioneller Benachteiligung. Konkret handelt sich um den Enwurf einer Strategie, die Konflikmanagement ohne Machtgefälle in der autonomen Zone gewährleisten soll. Mit der Konstituierung des sogenannten „Conflict Resolution Advisory Council“, einer Art unabhängiger, gemeinschaftlicher Ratsversammlung, die im Streitfall konsultiert werden würde, wird der Versuch unternommen, durch Überrepräsentation marginalisierter Gruppen in öffentlichen Organen eine Art „Balance of Power“ zu schaffen und somit institutioneller Diskriminierung Einhalt zu gebieten.

In der ersten Fassung war die Rede von drei Ratsmitgliedern, die in einer demokratischen Wahl bestimmt werden würden. Um „Vorurteile zu eliminieren“ sollte der Rat aus einem Schwarzen Mann, einer Schwarzen Frau, sowie einer Weißen Frau zusammengesetzt sein. Dieser revolutionäre Ansatz war eine Kampfansage ans Patriarchat und die weiße Mehrheitsgesellschaft! Aber nicht für die aufgeweckten, progressiven Mitstreiter, die sofort das protofaschistische, ausgrenzende Element in dieser gut gemeinten, auf Inklusion bedachten Ausgestaltung witterten.

In sechs aufeinanderfolgenden Überarbeitungen wurde die Zusammensetzung auf Basis der erhaltenen Kritik angepasst:
Edit 1: Dem Rat angehören soll: ein Schwarzer Mann, eine Schwarze Frau, eine Schwarze Trans-Person und eine Schwarze non-binäre Person. Die Weiße Frau wird gestrichen.
Edit 2: Dem Rat wird hinzugefügt: eine asiatische nicht-männliche Person, ein nicht-männlicher amerikanischer Ureinwohner, eine nicht-männliche LatinX-Person und vier zusätzliche Schwarze, um das auszubalancieren.
Edit 3: Nicht im Rat repräsentiert sind geistig und körperlich behinderte Personen und Obdachlose. 20% oder 40% des Rates sollen daher aus Personen bestehen, die gelebte Erfahrung mit Behinderungen haben. Mindestens 10% der Ratsmitglieder sollen von unfreiwilliger Obdachlosigkeit betroffen sein.

In drei weiteren Überarbeitungen, wird auf die fehlende Repräsentanz von LGBTQIA-Personen und Kindern eingegangen und für erstere Gruppe eine Quote von 10 – 50% in der finalen Fassung garantiert. Darüberhinaus werden zusätzliche Sitze für, frei übersetzt, sich als LGBTQI identifizierende, behinderte Personen of Colour, Schwarze Queer-Obdachlose und gemischtrassige, nicht-weiße Kinder geschaffen.

Schöner kann man sich nicht vergaloppieren und man kommt nicht umhin, sich halb ungläubig, halb belustigt zu fragen, ob das wirklich ernst gemeint sein soll und tatsächlich können wir, wie so oft im Internet, die Identität des Autors keiner realen Person zuordnen und damit nicht zweifelsfrei ausschliessen, dass es sich hier nicht doch um die meisterhafte Persiflage eines Nicht-Linken handelt. Diese Frage spielt aber insofern keine Rolle, als dass es sich hier im Grunde um nichts anderes handelt, als um die Neuauflage des Rätegedankens, also des sozialistischen Versuchs, die „wahre Demokratie“ in Gestalt einer Räterepublik zu verwirklichen. In den deutschen Revolutionswirren um 1918/19 kam es im Zuge dieser rätedemokratischen Forderungen zu ähnlichen Vorschlägen, nämlich die Arbeiter- und Soldatenräte um Räte der Bauern, Räte der geistigen Arbeiter, Räte der Deserteure oder Räte der Arbeitslosen zu ergänzen. Vom Rat der Deserteure zum Rat der queerfeministischen, gemischtrassigen, behinderten Kinder mit gelebter Obdachlosenerfahrung ist es in der Theorie also nicht allzu weit.

In Zeiten, wo Fiktion und Wirklichkeit derart nah beieinander liegen, dass man zwischen Satire und Größenwahn kaum noch unterscheiden kann, und eine abwegige Forderung nur darauf wartet, von einer noch abwegigeren abgelöst zu werden, kann man sich nur zu gut vorstellen, dass die hier gezeigte Vorgehensweise im linken Spektrum auf breite Unterstützung gestoßen wäre. Ein Nutzer auf Reddit fasst das mit folgenden Worten treffend zusammen: „This is simultaneously the most absurd, yet most believable shit I have ever read, and only you people could make that possible. Hats off to you, you people are beyond parody.“

Die Art und Weise, wie hier versucht wird, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zu schaffen, eignet sich also gut fürs kurzweilige Internet-Amusement, wirft aber auch einige Fragen auf: Wann wäre der Prozess, Vertretungen für marginalisierte Gruppen zu schaffen, eigentlich jemals abgeschlossen? Wie kann, bei allen denkbaren tatsächlichen und eingebildeten Identitäten ein Zustand der Handlungsfähigkeit erreicht werden, wo doch in dem Moment, indem man meint, alle Minoritäten inkludiert zu haben, sich schon die nächsten entwickeln? Der Versuch, alle Teile der Gesellschaft einzig auf Basis ihrer augenscheinlichen und oberflächlichen Merkmale einzubinden, kann nur zum Scheitern verurteilt sein. Ineffizienz bis hin zur totalen Dysfunktionalität jeglicher Institution, ausgelöst durch selbstreflexive, selbstreferentielle Scheinbeschäftigung wäre die Folge.

Und noch grundlegender: An welchen belastbaren Indizien wird die institutionelle Ungleichbehandlung überhaupt festgemacht, abseits von subjektiven Empfindungen, vagen Vermutungen, Betroffenheitsrhetorik und irgendwelchen Statistiken, die nichts als eine zahlenmäßige Ungleichheit ausweisen? Wie will man nachweisen, ob jemand eine Arbeitstelle oder einen Preis zu Recht oder zu Unrecht, und nur weil er einer bestimmten Rasse oder einem bestimmten Geschlecht angehört, erhalten hat?

Dass es in einem Wettbewerb ebensoviele prämierungswürdige Arbeiten von Minderheiten gab, die einzig und allein aus Gründen der institutionellen Diskriminierung ausgesiebt oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen wurden? Könnten für eine ungleiche Verteilung auch andere Faktoren, etwa Geld, Beziehungen, Sympathie oder individuelles Verhalten eine Rolle gespielt haben? Und wenn beim 100m Sprint mehrheitlich Schwarze antreten, wurden in diesem Fall dann systematisch Weiße diskriminiert?

Bei Linken äussert sich Gerechtigkeit nicht länger nur in der Gleichheit der Chancen, prominent vertreten in der Gleichheit vor dem Gesetz, sondern im „equality of outcome“, also im gleichen Endergebnis. Wenn sich Menschen und Kulturen in nichts unterscheiden, ist „equality of outcome“ notwendigerweise das Resultat. Wenn nicht in jeder Statistik, jeder Institution, jedem Vorstand, jedem Fußballverein alle in der Gesellschaft auffindbaren Spielarten des Menschen gemäß ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung repräsentiert oder sogar gemäß ihrer Postion innerhalb d
er Opferhierarchie überrepräsentiert sind, liegt also strukturelle und institutionelle Diskriminierung vor.

Eine oft diskutierte Lösung für ungleiche Repräsentanz sind festgelegte Quoten. Dieser Ansatz basiert letztlich auf Eigennutz, als dem vorherrschenden Motiv menschlichen Handelns. Wenn jede Gruppe überall verteten ist, dann sind folglich auch die Interessen der jeweiligen Gruppe gewahrt. Es ist natürlich richtig, dass Selbstsüchtigkeit eine starke, vielleicht die stärkste, treibende Kraft ist, aber es degradiert den Einzelnen doch zu einem beliebigen Teil einer Gruppe, der bestimmte Einstellungen und Interessen zugeschrieben werden. Weichen die Vorstellungen des Einzelnen vom vorgesehenen Muster ab, kann ihm auch schon mal die Mitgliedschaft zur jeweiligen Gruppe aufgekündigt werden. Um es mit den Worten Joe Bidens zu sagen: „If you vote for Trump, you ain´t black.“

Das Paradoxe daran ist, dass man Vorurteile, Stereotype und die „Reduzierung von Personen auf bloße Vertreter einer Kategorie unter Absehung von ihren je besonderen Eigenschaften, Interessen und Verdiensten“ bekämpfen möchte, indem man genau diese Kategorisierung vornimmt. Über die Mitgliedschaft in einer Institution bestimmt nicht mehr persönlicher Verdienst oder eine Qualifizierung, sondern allein die Anzahl der Häkchen im Katalog der Gruppenzugehörigkeiten. Verblüffend, im Angesicht der liberalen Fixierung auf das Individuum samt Abgesang auf kollektive Identitäten und kein Zufall, in einer Zeit, in der das Leistungsprinzip unter Generalverdacht steht Konkurrenz, Ungleichheit und Ungerechtigkeiten zu produzieren.

Eine andere Lösung, nämlich die im besten Wortsinn maximalinvasive, wäre nichts weniger, als die Änderung der Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur an sich, indem die benachteiligten Minderheiten allmählich zu Mehrheiten werden. Dieser tiefergehende Ansatz würde sich nach linker Lesart auch wunderbar dazu eignen, dem eigentlichen Problem zu begegnen, der perfideren, weil in der Regel unter dem Radar ablaufenden, „strukturellen Diskriminierung“. Diese Form der Benachteiligung erwächst aus der Gesellschaftsstruktur an sich. Aus ihrer Geschichte, ihren Traditionen, Bräuchen, Normen, Wertvorstellungen und Verhaltensmustern.

Der Vorwurf der Strukturellen Diskriminierung greift also unmittelbar die Gesellschaft in allen ihren gewachsenen Strukturen an. Da Gesellschaft und Struktur sich bedingen, geradezu eins sind, wird es, solange der Mensch sich in dieser Form organisiert, auch immer Strukturen geben, die im Verdacht stehen, gewisse Teilmengen zu bevorzugen und andere zu benachteiligen. Die ambitionierte Vorstellung, die in diesem Fall westliche Gesellschaft strukturell so zu verändern, dass alle ihre aktuell auffindbaren Teile ohne Ausnahme in jeder Institution vertreten sind und in Folge auch das gleiche Mitgestaltungsrecht haben, entspringt einer zutiefst globalistischen und universalistischen Sichtweise, die der Meinung ist, dass dem ungebundenen Weltbürger an jedem Ort, unabhängig von Raum und Zeit, alles in gleichem Maße zusteht.

Folgendes Zitat der Psychologin Ute Osterkamp stellt exemplarisch fest, “dass rassistische Denk- und Handlungsweisen nicht Sache der persönlichen Einstellungen von Individuen, sondern in der Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders verortet sind, welche die Angehörigen der eigenen Gruppe systematisch gegenüber den Nicht-Dazugehörigen privilegieren.“

Da Gruppenbildung unweigerlich zur Folge hat, dass bestimmte Teile außenvorbleiben, bleibt nichts anderes übrig, als die Definition soweit zu dehnen, dass irgendwann nur noch eine einzige Gruppe existiert. In letzter Konsequenz kann das also nur darauf hinauslaufen, alle Unterschiede einzuebnen und einen neuen Menschen zu kreiren, den Massenmenschen, der sich in nichts mehr von seinen Mitmassenmenschen unterscheidet. Es ist das Ende der Meinungsverschiedenheiten, das Ende der unterschiedlichen Interessen, der allumfassende Konsens, die von liberalen Theoretikern postulierte Beseitigung der antagonistischen Sphäre des Politischen, kurz: Postpolitik!

Wie man es dreht und wendet, geliefert wird mit den immer häufiger gebrauchten Begriffen der institutionellen und strukturellen Diskriminierung ein unterkomplexes Erklärungsmuster für statistische Ungleichheiten, das einseitig der Mehrheitsgesellschaft den schwarzen Peter zuschiebt, Minderheiten jedoch von jeglicher Verantwortung freikauft. Die Unschärfe, die beiden Begriffen innewohnt, und die Maßlosigkeit möglicher Lösungen legen den Verdacht nahe, dass es sich hier um nichts weiter als um politische Formeln handelt, um eine unwiderlegbare Anklage gegen bestehende Strukturen, mit dem Ziel diese abzuwickeln, mindestens aber grundsätzlich zu verändern und auf den rauchenden Trümmern etwas Neues zu errichten. Wie gut das dann funktioniert, haben wir in Seattle gesehen. Wir können uns also schon mal freuen, wenn es bald heisst: Willkommen in der „Planetary Autonomous Zone“!

Gastautor

Hier schreiben unsere Gastautoren, bis sie sich in unserer klebrigen Mischung aus Hass und Hetze verfangen, und schließlich als regelmäßige Autoren ein eigenes Profil bekommen.

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