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Der Pelikan M150 Kolbenfüller aus dem Jahr 1989

15. September 2020
in 4 min lesen

In der Reihe Warenfetischismus stellen unsere Autoren irgendein Ding vor. Vielleicht Gerümpel aus Kindertagen oder eine kürzliche Entdeckung auf dem Flohmarkt. Diese Sache war vielleicht teuer oder ein Schnäppchen. Ein Geschenk oder Diebesgut. Man weiß es nicht. Jetzt steht es jedenfalls im Regal und wird betrachtet. Seine Geschichte will erzählt werden.

Es gab Zeiten, in denen ein Füller viel über die Persönlichkeit eines Menschen aussagte. Zu jener Zeit gab es noch keine Computer und keine Handys. Wer etwas auf sich hielt, sei es, weil er sich einen gewissen intellektuellen Anstrich verpassen wollte oder weil es tatsächlich im Alltag unverzichtbar war, trug ein kleines Notizbuch mit passendem Griffel mit sich herum. Das ist lange her, heute entscheidet die Herstellermarke des Mobiltelefons darüber, welchen Persönlichkeitstyp man sich zuschreiben lassen möchte: Apple offenbart den stilsicheren Hipster im BMW, Samsung den Direktor-Typ im Mercedes. Den Füller ereilte hingegen der Untergang in die Bedeutungslosigkeit.

Just als ich mir darüber zum ersten Mal wirklich Gedanken mache, vor meinen Laptop sitzend und die Utensilien auf meinem Schreibtisch betrachtend, fällt mein Blick auf genau so einen Füller – nein, er fällt auf DEN, auf MEINEN Füller: Ein Pelikan M150 Kolbenfüller, Jahrgang 1989. Natürlich steht daneben ein Tintenfass, ziemlich verstaubt, aber man kann ja nie wissen. Man kann nie wissen, ob nicht doch eines Tages, wenn die Strompreise ins Unermessliche steigen, alle elektronischen Geräte total versagen und jeder Cent kostbar wird, mein Füller wieder den Status eines unverzichtbaren Utensils erlangt. Ja, da will ich gewappnet sein, natürlich mit Stil, der in etwa der Beschreibung des Herstellers auf dessen Webseite entsprechen soll:

„Zeitlos klassisch zeigt sich der Füllhalter Classic Schwarz im tiefschwarz gefärbten, hochglänzenden Edelharz-Gehäuse. Der vergoldete Zierring und der typische Pelikan Schnabelclip betonen seine traditionelle Formgebung. Wie ein echter Klassiker ist der Füllhalter Classic Schwarz mit einer zuverlässigen Kolbenmechanik ausgestattet. Seine Spitze ziert eine vergoldete, handgearbeitete Feder aus hochwertigem Edelstahl. Formvollendet im klassischen und unverkennbaren Pelikan Design präsentieren sich die eleganten Schreibgeräte der Classic Serie. Liebhaber des typischen Pelikan Stils werden am Classic Schwarz ihre Freude haben. Das M vor dem Produktnamen steht für Mechanik (sprich Kolbenmechanik). Die Classic 150 Serie ist das kleinste Modell in der Kategorie der Elegance Schreibgeräte. Einer zierlichen Hand bietet der Kolbenfüllhalter und Kugelschreiber ein ideales Schreibgefühl.“

Ich brachte meine Gedanken schon immer gerne zu Papier. Als Teenager kritzelte ich sie ganz im Stil der frühen Achtziger mit schrillen Leuchtstiften in Glitzerpapier gebundene Heftchen, und als ich dann endlich mit Ach und Krach das Abitur bestanden hatte, schenkten mir meine Eltern diesen Füller. Sie hatten nicht berücksichtigt, dass ich Linkshänder bin, und ich empfand das edle Utensil als etwas zu klassisch für mein eher an Billy Idol angelehntes Erscheinungsbild. Aber sie kannten mich wohl besser als ich mich selbst und wussten, dass dies nur eine Phase war, die bald schon abgelöst werden sollte von meiner bisher unbemerkt in mir schlummernden Leidenschaft für alles, was auf den Stil bezogen, mit den Sechzigern zusammenhing.

Filme wie „Der Swimming Pool“, „Das Irrlicht“ und von Regisseuren wie Jean-Pierre Melville, um nur die wichtigsten zu nennen, wurden für mich zum Leitfaden. Ich vermute fast, dass dieser Füller der Auslöser dafür war – gleich einer Injektion, die die Wahrheit ans Licht bringen sollte. Und so kam es, wie es kommen musste: Der Füller wurde mir zum unverzichtbaren Begleiter, der meine Gedanken in so manches Vademecum transportierte. Das Aufziehen der Tinte über den Kolbenmechanismus wurde zum Ritual wie den Japanern die Zubereitung von Tee, die unzähligen Tintenkleckse, die dabei entstanden waren, zieren heute noch viele meiner Besitztümer, den alten Schreibtisch, manche Bluse und natürlich auch die zu vergilben beginnenden Hefte. Wie Fußspuren ziehen sie sich durch mein materielles Leben, mal in nachtblau, mal in tiefschwarz, mal in blutrot.

Ich absolvierte mein damals noch Computer freies Studium mit diesem Füller, zermarterte mir das Gehirn und die Gedanken ließen sich nieder auf unzähligen Seiten, flossen durch meinen Füller aufs Papier. Und als ich später als Briefzusteller tätig war, kann ich mich wohl zu Recht als der einzige dieser Berufsgruppe zugehörige Angestellte bezeichnen, der den Menschen zur Bestätigung des Erhalts von Einschreiben oder kleinen Paketen einen M150 entgegenhielt. Das führte dazu, dass mich die Sekretärin einer Anwaltskanzlei eines Tages sogar begrüßte mit den Worten: „Ah, da kommt ja unser Pelikan“. Das machte die Runde in meinem Zustellgebiet, und schon bald war ich nicht mehr einer unter vielen Briefzustellern, sondern ich war der Pelikan.

Aber die Zeit eilte voran, die Digitalisierung hielt Einzug, Kunden unterschrieben auf kleinen elektronischen Geräten, der PC ersetzte das Schreibheft, und Gedankenblitze notiert man heute in der Notizen-App auf dem Handy, wenn man möchte, sogar in gesprochener Form. Für jede Gefühlsregung gibt es ein formalisiertes Emoji, kein Mensch schreibt mehr: „Das hat mich zu Tränen gerührt“, man verschickt in wenigen Sekunden ein rundes Gesicht mit roten Backen… Nachdem ich mein Lieblingsstück schließlich zum dritten Mal in Folge beim Staubwischen aus Versehen auf den Boden geschmissen hatte, fand es schließlich sein Grab in einer alten Pappschachtel, verstaut in der Abstellkammer. Der Trennungsschmerz verlief in Etappen, aber die Zeit heilt alle Wunden, dachte ich.

Nach vielen Jahren, einem Umzug nach Irland und dem Auspacken der schließlich letzten Umzugskiste, fiel mir dann die verblichene Pappschachtel in die Hände. Ich öffnete sie und erblickte meinen Füller. Die Erinnerungen stiegen wieder in mir auf, vorsichtig nahm ich ihn in die Hände, der Mechanismus hakte ein wenig, aber er funktionierte immer noch. Die Goldverzierungen hatten keine Kratzer, trotz Wind und Wetter und Sonne und jahrelanger Dunkelheit. Ich machte mich auf, suchte lange nach einem Geschäft, das Tintenfässchen verkaufte, und in dem Moment, in dem ich die Feder in das Fass tauchte und begann, die Tinte aufzuziehen, stand die Zeit noch ein letztes Mal still.

Ich benutze ihn jetzt wieder häufiger, muss ich doch einmal manuell ein Dokument unterschreiben, geschieht das natürlich nur mit ihm. Tatsächlich bin ich auf einem Amt darauf angesprochen worden, ich lächelte in mich hinein und war sehr versucht, mit „Frau Pelikan“ zu unterschreiben. Und ein bisschen habe ich das Gefühl, dass ich an dem Tag, an dem ich wieder zum Füller griff, die Kontrolle über mein Leben zurückgewann.

In der Reihe Warenfetischismus erschien bisher:
Die Lomo Lubitel 166B

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