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Der Traum vom eigenen Staat

14. Januar 2021
in 4 min lesen

Von Henry Volt

Uns allen dürfte der Wunsch und das Streben nach persönlicher Autonomie und bestmöglich geschützter Privatsphäre bekannt sein, denn regelmäßig setzt das frühe Kindesalter hier den Ausgangspunkt dieser Entwicklung.

Beginnend mit dem Bau von „Höhlen“ aus Decken und Kissen im elterlichen Wohnzimmer, dem Errichten der eigenen kindlichen Trutzburg bestehend aus Hochbett und der eigens kreierten Flagge im Piratendesign, oder der Gründung eines Außenpostens mittels Tipi im Garten.

Die Verteidigung des Eigenen

Die vorzeitige Perfektionierung der Unabhängigkeit vom Einwirkungsbereich der Eltern erfolgt dann in der frühen Jugend mittels zunehmender Markierung des Eigenen. Oftmals geschieht dies durch klare Warnschilder auf der Zimmertür oder klare Grenzziehung im Stil von „Mein Zimmer, betreten verboten“. In der Jugend folgt dann oft die vorläufige „Unabhängkeit“, sofern denn ein Umzug in einen abgetrennten Bereich, wie einer Kellerwohnung, im Elternhaus möglich ist.

Das endgültige Ziel ist dann die Errichtung eines Eigenheims mit eigenem großem Grundstück, dem persönlichen Stückchen Land, am besten mit Platz für die bald schon souveränen Baumhäuser der Kinder. So beginnt der Zyklus hier im Normalfall von Neuem. Der Erwachsene ordnet sich dem bestehenden Nationalstaat unter und die Kinder begehren auf.

Doch zeithistorisch gesehen gab es vor allem in der jüngeren Geschichte immer wieder Beispiele von Menschen, die diesen Kreislauf zumindest zeitlich begrenzt durchbrachen, oder es sogar teilweise immer noch tun – nämlich mit der Gründung eines eigenen Staatsgebietes, mit dem Gründer selbst als Staatsoberhaupt.

Die Roseninsel

Wie der Perfektionierung des ursprünglich kindlichen Gedankens der Gründung einer eigenen Mikronation zumindest temporär gelingen kann, zeigt aktuell die Netflix- Produktion „Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel“.

Der Film , der sich auch mehrere Wochen in den Netflix-Charts hielt, erzählt die historisch wahre Geschichte des italienischen Ingenieurs Georgia Rosa, welcher 1967 eine eigene Insel aus Stahl im Stil einer Bohrinsel errichtete. Die Krux: Er baute die 400 qm kleine Insel bewusst außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer, um sie vor dem Zugriff des italienischen Staates zu schützen.

1968 folgte dann als logische Konsequenz die Ausrufung der Unabhängigkeit des Stahlkolosses, mit dem Staatsgründer als Präsidenten. Es folgten eine eigene Währung, eigene Briefmarken und sogar eine eigene Sprache. Der Staatsgründer betrieb mit seinem aus engen Vertrauten bestehenden „Ministerrat“ eine Bar, ein Restaurant, ein Souvenirgeschäft und sogar einen Nachtclub, welcher jährlich hunderte Touristen anlockte. Schnell wurde der Vorwurf der italienischen Regierung laut, die Insel nur zum Zweck der Steuerhinterziehung zu betreiben.

1969 wurde die Insel schließlich von der italienischen Marine gesprengt. 1982 wurde dann das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen unterzeichnet. Fortan galt u.a. für die italienischen Hoheitsgewässer die 12-Meilen-Zone. Vermutlich auch eine Konsequenz aus der „Staatsgründung“ der Roseninsel.

Der Traum von einer Insel

Beispiele von Gründungen solcher Mikronationen gab es in jüngster Vergangenheit viele, auch auf deutschem Boden, wie dem der „Dorfrepublik Rüterberg“. Mit dieser wollte man sich den Zwängen der sozialistischen DDR entziehen. Einen Tag nach Ausrufung der Unabhängigkeit fiel jedoch bereits die Mauer.

Betrachtet man die jüngste Welthistorie, war die Proklamation unabhängiger Staaten dabei politisch oftmals linksaktivistisch motiviert. Bedeutende Beispiele sind die heute noch existente Freistadt Christiania in Dänemark oder auch das „Gay & Lesbian Kingdom of the Coral Sea Islands“.

Letztere Ausrufung eines „Königreichs“ entstand maßgeblich aus Protest gegen die Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch das australische Parlament. 2004 wurden so Koralleninseln vor der Küste des Kontinents als Staatsgebiet beansprucht.

Das bekannteste libertäre Beispiel hingegen dürfte die Gründung der „Freien Republik Liberland“ auf einem unbewohnten Stück Niemandsland an der Donau sein. Offiziell zu Serbien gehörend, wird das Gebiet von Kroatien verwaltet, aber von keinem der beiden Länder offiziell beansprucht. Selbsterklärtes Staatsziel mittels einer libertären Verfassung ist u.a. die Schaffung einer Steueroase.

Liberland ist bis heute unbewohnt, nachdem der Staatsgründer zuletzt 2015 von kroatischen Behörden an der „Einreise“ gehindert wurde.

Private Initiative

An einer anderen Herangehensweise versuchte man sich hingegen bei der Ausrufung der „Antiken Republik Seborga“. Hier versuchte man die Souveränität historisch zu begründen. Alles begann in diesem 14 Quadratkilometer großen norditalienischen Dorf mit den Studien eines örtlichen Blumenzüchters über die Historie des Dorfes.

Dabei gelangte er in den 1960er Jahren zu der angeblichen Erkenntnis, dass das frühere Fürstentum an das damalige Herrscherhaus des 18. Jahrhunderts hätte verkauft werden sollen, ein entsprechender Verkaufsvertrag aber nie offiziell existierte.

Fortan wurde das kleine Fürstentum weder im Vertrag zur Gründung des italienischen Staates 1861 erwähnt, noch in jenem zur Gründung der italienischen Republik. Die sich plötzlich ihrer Souveränität bewussten und faszinierten Dorfbewohner wählten daraufhin den Hobbyhistoriker 1993 zu ihrem ersten Fürsten in der modernen Welt, selbstverständlich auf Lebenszeit.

Von 2009 an „regierte“ der Bauunternehmer Marcello Menegatto mit seiner damaligen Frau Nina das überschaubare Stück Land. Das Paar baute das Dorf weiter zu einem Touristenmagneten aus. Seit 2018 regiert Menegatto`s Exfrau Nina, die sich bei einer Wahl gegen die Tochter des „Staatsgründers“ durchsetzte.

Es existieren bereits „landeseigene“ Ersatzzahlungsmittel, nichtamtliche Briefmarken, KFZ-Kennzeichen und Ausweispapiere. Weiterhin unterhält Seborga Botschaften in Nigeria und Brasilien, die auch „amtliche Dokumente“ wie Ausweise und Kennzeichen der Mikronation akzeptieren und anerkennen. Während der Touristensaison patrouilliert eine eigene inoffizielle Polizeieinheit an den „Grenzübergängen“ zu Italien. Seit 2011 wird Seborga durch einen „Honorarkonsul“ in Deutschland vertreten – einem Münchner Frauenarzt.

Die italienische Zentralregierung stuft dabei die „Gefahr“, die von der fürstlichen Autonomiebestrebung ausgeht, offensichtlich als so gering ein, dass sie die Menschen einfach gewähren lässt. Denn der Tourismus ist sicherlich auch gut für das italienische Nachbarland.

Die Kleinen brauchen die Großen

Beispiele solcher Scheinstaaten gibt es weltweit viele, eines haben dabei jedoch alle gemeinsam: Ihnen fehlt die Anerkennung des Großteils der internationalen Staatengemeinschaft.

Oftmals mangelt es bereits an den rechtlichen Voraussetzungen, die ein Völkerrechtssubjekt entsprechend ausmachen und eine Existenz als souveräner Staat ausschließen.

Die „Republik Sealand“ beispielsweise, errichtet auf einer alten stählernen Seefestung der Briten (bis heute rund um die Uhr von mindestens einem „staatseigenen“ Wachmann besetzt) ist heute Bestandsteil jeder Staatsrechtsvorlesung.

Mikronationen bleiben die Versuche einiger Freidenker, oftmals auch politisch motiviert, aus den staatlichen Zwängen auszubrechen und die eigene Trutzburg aus Kindheitstagen zu verwirklichen.

Es ist nett, wenn diesen Fantasiestaaten ein gewisse „Autonomie“ gewährt wird, beispielsweise um den Tourismus anzukurbeln. Für mehr reicht es aber meist nicht.

Gastautor

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