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Reise nach Russland

24. März 2021
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Deutsch und polnisch: Wenn man als Rechter hierzulande Politik macht, gibt es sicherlich unkompliziertere Binationalitäten. Das ist mir Anfang August vorletzten Jahres aufgefallen, als ich am 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands in der polnischen Hauptstadt der Helden gedachte, die in einem Akt der Verzweiflung erbitterten Widerstand gegen Nazideutschland leisteten.

Damals mit dabei: mein Urgroßvater Marian Kornet, Pseudonym „Trąbka” (Tröte), Gruppierung ,,Krybar‘‘. Man warf mir in der Folge einen ,,verbalen Kniefall von Warschau‘‘ vor und daß ich dadurch den Schuldkult zementieren würde – was schlichtweg absurd ist, da ich bloß ein wenig gedenken wollte. Und den Schuldkult erachte ich ohnehin als eines der Grundübel im Nachkriegs-Deutschland. Ohne Schuldkult kein Selbsthass, kein Multikulti, keine offenen Grenzen.

Deutschland-Polen-Russland

Noch komplizierter als die binationale Konstellation Deutschland-Polen ist da wohl nur die trinationale Konstellation Deutschland-Polen-Russland. Und wie es das Schicksal so will, ist mir diese trinationale Konstellation nun nicht so fremd, weiß ich doch die Schönheit, die Fürsorglichkeit, die Zärtlichkeit und die Intelligenz der russischen Frau zu schätzen – möge all das auch nach meiner Hochzeit mit Ksenia so bleiben.

Diese Umstände führten mich während meiner Sommerreise 2019, mit Zwischenstopp Warschau, nach Russland. Zwei weitere längere Aufenthalte in Russland sollten folgen. Da wollte ich schon immer hin, auch weil ich mir sicher war, daß das Bild, das hierzulande von Russland gezeichnet wird, so kaum stimmen kann.

Moskau und der Rest

Das eine Russland gibt es ohnehin nicht. Russland ist ein Vielvölkerstaat mit gerademal 147 Millionen Einwohnern verteilt auf gigantischen 17.102.344 km². Diesen Staat halbwegs stabil zusammenzuhalten, ist keine leichte Aufgabe, die Putin, bei aller berechtigten Kritik, bisher ganz gut gemeistert hat.

Die Gegensätze innerhalb des Landes sind enorm. Auf der einen Seite Moskau, in das gefühlt jeder Rubel fließt, auf der anderen Seite der Rest, der sich in Bescheidenheit üben muss – St. Petersburg ausgenommen. Während außerhalb Moskaus die Straßen das letzte Mal vermutlich vor der Oktoberrevolution saniert wurden, die medizinische Versorgung zu wünschen übrig läßt und der Staat vielen seiner wesentlichen Pflichten mehr schlecht als recht nachkommt, ist Moskau eine schicke, moderne Weltmetropole.

Modern, aber konservativ. Eine Stadt, die keine Trends setzt, sondern sie kopiert, und das dann gleich ein paar Nummern größer: Man macht Bewährtes gigantischer, und womöglich ist gerade das ein Ausdruck eigener Individualität. So behält die Stadt in Zeiten großer Umbrüche immer noch etwas Eigenes. Konservativ. Modern. Gigantisch. Moskau.

Da drücken dann auch die ihre Hauptstadt hassliebenden Russen aus anderen Teilen des Landes ein Auge zu und sind mit Recht stolz auf ihr Kapitol. Trotz der sie benachteiligenden Umverteilung von Arm zu Reich, von der Peripherie ins Zentrum.

Das moderne Moskau.

Anständiger Osten, dekadenter Westen?

Allein das Betreten der sehenswerten Moskauer U-Bahn-Stationen kommt einem Museumsbesuch gleich. Und die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist überraschend angenehm, was auch am Publikum liegt: Man sieht in den Zügen viele junge, ambitioniert wirkende Menschen, die noch Bücher in den Händen halten und diese sogar lesen.

Älteren Mitfahrern bieten sie ihren Platz an. Bei einer Bahnfahrt in Berlin hingegen hat man den Eindruck, als ob die halbe Drogenentzugsklinik gerade Freigang hat und mit einem das Abteil teilt. Eine Horrorshow. Anständiger Osten in Moskau. Dekadent-degenerierter Westen in Berlin.

Diese Beobachtungen verleiten einen manchmal zu der Überlegung, ob der Realsozialismus im Osten auf lange Sicht vielleicht nicht doch das kleinere Übel gewesen ist als der linksliberale, globalistische, geldsozialistische Fassadenkapitalismus des Westens, in dem sich die Agitation linker Kulturhegemonen und ihrer willigen Vollstrecker in der Politik nicht bloß auf den Bereich der Ökonomie beschränkte, sondern alle Bereiche und Institutionen des gesellschaftlichen Lebens umfasste und schleichend immer totalitärere Züge annahm, bis in die Gegenwart hinein.

Die Beispiele hierfür sind zahlreich. So läßt sich heutzutage ein Kirchentag der EKD kaum noch von einem Parteitag der Grünen unterscheiden. Die Amtskirchen hierzulande haben ihren spirituellen Auftrag gegen den politischen Auftrag des Establishments eingetauscht und Pfaffen dreschen linksgrünbunte Politphrasen, während der russisch-orthodoxe Pfarrer in der Dorfkirche, die ich besucht habe, bei deren Wiederaufbau selbst anpackt und sich dem Seelenheil der Menschen widmet.

Und macht man hierzulande aus Männern Frauen und aus Frauen Männer, dürfen in Russland Männer Männer und Frauen Frauen bleiben – letztere wirken extrem fein, grazil, damenhaft, und nicht so grob und vulgär wie das weibliche, ach so progressive Akademikerinnenprekariat an den sozialwissenschaftlichen Fakultäten hierzulande, bei dem es einen schon gruselt, wenn es den Mund aufmacht – nicht bloß wegen der geäußerten Inhalte, sondern auch wegen der tieferen Stimmlage (Frequenz von 168 Hertz statt, wie vor 20 Jahren, 220 Hertz), die, wissenschaftlich erwiesen, eine Folge der Emanzipation der Frau ist, die, manche mögen es begrüßen, noch nicht in allen Winkeln der Welt Einzug gehalten hat.

Bei uns in Deutschland werden die kulturmarxistischen Exzesse, die ein normaler Mensch nur mit einem Kopfschütteln quittieren dürfte, mittlerweile zum Maßstab erhoben, während sie in Russland weiterhin als das gelten, was sie sind: Ideologische Missgeburten. Man könnte auch sagen: Der Realsozialismus nahm den Menschen in Russland fast alles, aber eben nicht den gesunden Menschenverstand.

Im Westen hingegen brachten es die Menschen zu größerem Wohlstand, der gesunde Menschenverstand jedoch ist ihnen nahezu vollständig abhanden gekommen. Und der Schaden, der daraus im Westen entstand, scheint irreversibel zu sein. Das ist in den postsozialistischen Gesellschaften anders.

Keine romantische Verklärung!

Nur sollte man als Rechter nicht den Fehler machen, vor lauter westlichem Kulturpessimismus die Sowjetunion romantisch zu verklären. Die Schwarzbücher des Kommunismus füllen tausende Seiten, und ein erheblicher Teil hiervon geht auf die Sowjetunion zurück. Zerstörung von Privateigentum, Tradition, Familie und Religion – das waren und sind nach Igor Schafarewitsch die vier Komponenten eines jeden sozialistischen Menschenversuchs, der zwangsläufig in Armut, Verelendung, Zensur – und im Endstadium – in Gulags und Massenmord enden muss. Das weiß kaum jemand so gut wie die Russen – einige von ihnen waren Täter, Millionen von ihnen waren Opfer.

Alte Ehrengarde in neuem Glanz.

Alte Ehrengarde in neuem Glanz.

Gedenken und Geschichtsschreibung: Das Beste aus allen Epochen

Der Opfer gedenken die Russen bis zum heutigen Tage inbrünstig. Das Gedenken ist sehr emotional – selbst bei jungen Russen fließen Tränen, wenn sie ihrer Vorfahren gedenken, die sie nie persönlich kennengelernt haben. In solchen Momenten spürt man, daß dieses Volk noch lebt. Es ist vital. Das ist beeindruckend.

Daß ein solches Gedenken möglich ist, ist sicherlich auch der etwas einseitigen russischen Geschichtsschreibung geschuldet. Man spricht kaum vom Zweiten Weltkrieg, sondern vom Großen Vaterländischen Krieg. Entsprechend zieren die monumentalen Mahnmale die Jahreszahlen 1941 bis 1945. So, als ob 1939 und 1940 nichts gewesen wäre.

Das mag etwas irritieren. Aber diese einseitige Geschichtsschreibung hat durchaus eine legitime Funktion. Aus allen Epochen der eigenen Geschichte die besseren Momente zu akzentuieren ist dem Nationalstolz zuträglich und schafft ein positives Verhältnis zur eigenen Identität. Diese Identität mag diffus erscheinen, etwa dann, wenn aus der Geschichte des weißen zaristischen Russlands und der Geschichte des roten sowjetischen Russlands diejenigen Momente ins kollektive Gedächtnis gerufen werden, in denen das eigene Land am besten wegkommt.

Aber ist das wirklich schlimm, solange es die eigene Geschichte nicht komplett pervertiert? Und pervertieren die Deutschen ihre eigene Geschichte nicht viel krasser, nur eben mit komplett entgegengesetzter Intention? Nicht falsch verstehen, es geht ja nicht um unverschämte Geschichtsklitterung wie aus Sowjetzeiten. Und es geht auch nicht um eine geschichtspolitische Wende um 180 Grad.

Aber 90 Grad reichten für ein unverkrampfteres Verhältnis zur eigenen Vergangenheit – und damit auch zur eigenen Identität. Die Russen haben diesen Pragmatismus. Sie betonen die besseren Momente aus allen Epochen. Man sollte es ihnen nicht verübeln.

Das haben sie übrigens mit den Polen gemein, deren Geschichtsschreibung ebenfalls eine gewisse Einseitigkeit aufweist. Auch deshalb haben beide Völker kein zu jeder Zeit aktivierbares schlechtes Gewissen und keine Schuldkomplexe, die sie irgendwie kompensieren müssten, indem sie etwa Millionen kulturfremder Migranten aufnehmen, um dem von Linksglobalisten gemachten Vorwurf der moralischen Niederwertigkeit zu entkommen und den politisch-korrekten Gesinnungs-TÜV zu bestehen.

Die Russen und die Polen lassen sich nicht erpressen. Sie haben nicht den kulturellen Selbsthass des Westens, sondern sind stolz auf ihre Kultur und das Eigene. Das immunisiert gegen solche Hirngespinste wie das der multikulturellen Politik der offenen Grenzen.

Früher hohes Ansehen, irgendwann nur noch Spott

Daß die Deutschen in Russland immer noch hohes Ansehen genießen, ist der Substanz geschuldet, von der wir zehren. Deutsche Dichter, deutsche Denker, deutsche Autos, deutscher Erfindergeist, deutsche Tugenden, Fleiß, Pünktlichkeit, Genauigkeit – all das übt noch immer eine große Faszination auf die Russen aus.

Vermutlich auch deshalb, weil viele der immer noch als deutsch wahrgenommenen Tugenden keine russischen sind. Ob wir noch lange von dieser Substanz zehren können, bleibt fraglich. Denn auch in Russland vernimmt man die nationalmasochistische Selbstdemontage Deutschlands, für die man kein Verständnis hat.

Zumal die Protagonisten dieser Demontage mit missionarischem Eifer danach streben, aus den Russen neue Menschen westlicher Prägung und aus Russland eine riesengroße kulturmarxistische Freiluftklapse zu machen: Wenn eine fremde Gesellschaft nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, war’s das mit der sonst so gerne gepredigten Kultursensibilität der Linken, deren Werterelativismus es zulässt, archaische Buschvölker zivilisatorisch auf eine Stufe mit europäischer Hochkultur zu stellen, aber gleichzeitig Korrekturen von Russland einzufordern.

Diese Bigotterie ringt den Russen nur ein müdes Lächeln ab. Und irgendwann erntet man dafür nur noch Spott. Völlig zurecht.

Gastautor

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