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#allesdichtmachen: Gute Aktion, mangelhafte Risikobewertung

26. April 2021
in 3 min lesen

48 Stunden nach #allesdichtmachen ist die Welt wieder in Ordnung. Auf eine Eruption des emotionalen Gefüges der Bundesrepublik folgen die Wogen der Entspannung. Der Störfaktor wurde neutralisiert und für zukünftige Abwägungen in der Kartei der Verdächtigen abgelegt.

Der Ablauf ist immer der gleiche. Jemand wagt sich sich aus der Deckung, äußert eine abweichende Meinung und wird im Anschluss daran mit der Nazikeule zurück ins Glied geprügelt. So auch diesmal. Einige dutzend Schauspieler kritisieren satirisch überspitzt die Corona-Politik und werden dafür medial hingerichtet. Alles beim Alten. Die Reaktion des Establishments und der durch Twitter repräsentierten sogenannten Zivilgesellschaft auf derartige Vorstöße ist so einfältig wie berechenbar.

Und schon kneifen die Ersten…

Umso irritierter war ich angesichts der panischen Distanzierungsversuche einiger Beteiligter, die kaum 12h nach Veröffentlichung erfolgten. Mit welcher Resonanz hatte man denn gerechnet? Mit „Kritik“? Mit „Gegenwind“? Mit einer „überfälligen, fruchtbaren Debatte auf Augenhöhe“?

Die mitunter im Subtext transportierten Inhalte der Videoreihe gehen weit über eine Kritik der Corona-Maßnahmen hinaus. Sie stellen die Glaubwürdigkeit des medialen Komplexes und den selbstlosen Antrieb der politischen Entscheidungsträger in Frage, und geben – als wäre dies noch nicht genug – den zum Selbstzweck verkommenen, völlig überdrehten Kampf gegen „rechts“ der Lächerlichkeit preis. Drei Todsünden, welche die Axt an die Säulen der bundesrepublikanischen Wahrheitsmaschine legen.

Es geht dabei um nicht weniger, als um das wichtigste Gut überhaupt: Deutungshoheit! Daher ist kein Szenario denkbar, in dem diese Häresie nicht zur (sozial-)medialen Kernschmelze führen würde. Mögliche Auswirkungen von #allesdichtmachen wurden zwar antizipiert und in einzelnen Videos adressiert – Hanns Zischler etwa distanziert sich von allem, was er sagt, einschließlich seiner selbst – aber in ihrer Bösartigkeit und Heftigkeit wohl unterschätzt.

Anders lässt sich nicht erklären, weshalb sich prominente Medienprofis, die Kritik am Establishment üben und einen sachfernen, emotionalisierten Diskurs anprangern, von eben diesem Establishment unter Verweis auf „Intensivstationen“ und „80.000 Coronatote“ abwürgen und demütigen lassen.

Ich bin ja nicht rechts, aber…

In einem Beitrag des Konflikt-Magazins wurde die Vermutung aufgestellt, dass die beteiligten Schauspieler dem Irrtum verfallen sein könnten, dass sie, als unverdächtiger und angesehener Teil der Volksfront gegen „Coronaleugner und rechtes Gedankengut“, sich so etwas erlauben, oder doch zumindest im Nachgang eine faire Behandlung erwarten dürfen.

Im Angesicht einer langen Liste von einst hochgeschätzten und mittlerweile exkommunizierten Opfern medialer Rechtsprechung, würde diese Vorstellung ein äußerst naives Weltbild offenbaren und es wäre zu klären, ob diese Sichtweise exemplarisch ist, für Ansichten einer „bürgerlichen Mitte“, die der Meinung ist, dass all das, was tagtäglich auf den digitalen Marktplätzen verhandelt wird, sie nicht betreffen würde.

Unabhängig von den Beweggründen einzelner Teilnehmer, hat man den Eindruck, dass eine realistischere Einschätzung des explosiv-subversiven Potentials der Aktion geholfen hätte.

Wäre den Beteiligten klarer gewesen, welchem Risiko sie sich aussetzen und mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist, hätten sie sich bewusster dagegen oder dafür entscheiden können. Anschließend hätte man sich der Ausarbeitung einer einheitlichen und stringenten Strategie für die Zeit nach der Veröffentlichung widmen müssen, was offensichtlich vernachlässigt wurde.

Wer die Regierung kritisiert ist rechts

Die Videos standen ja eigentlich für sich selbst, alles war gesagt, die Kritik platziert. Jeder, der es hätte verstehen wollen, hätte das auch gekonnt und das Like/Dislike-Verhältnis auf Youtube spricht eine eindeutige Sprache zugunsten der Aktion.

Die chaotischen Distanzierungsreflexe entwerten nicht nur die vorgebrachten Argumente, sondern auch alle Beteiligten. Was eine enorme Signalwirkung hätte entfalten können, wird vorerst zu einer weiteren Episode der üblichen sozialmedialen Empörung degradiert.

Wir werden die weitere Entwicklung interessiert beobachten. Entsteht auch außerhalb der dissidenten Milieus allmählich ein Bewusstsein dafür, dass der omnipräsente Kampf gegen rechtes Gedankengut, der sich im Rahmen einer Kritik von gesundheitspolitischen Maßnahmen nicht allen erschließen dürfte, ein banales Instrument der Machtsicherung darstellt?

Wurden Anreize geschaffen, sich aus dem Fenster zu lehnen, in dem Wissen, dass man nicht alleine ist, oder wurde mit der Demontage von #allesdichtmachen wieder mal deutlich gemacht, was passiert, wenn man sich dem Fenster nähert?

Gastautor

Hier schreiben unsere Gastautoren, bis sie sich in unserer klebrigen Mischung aus Hass und Hetze verfangen, und schließlich als regelmäßige Autoren ein eigenes Profil bekommen.

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