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Joseph de Maistre – Der Vater der Reaktion

21. Mai 2021
in 5 min lesen

Von Fridericus Vesargo

Frankreich – das Mutterland der Revolution, des Jakobinertums, der modernen, zentralisierten Republik. Der Albtraum eines jeden Reaktionärs. Nicht verwunderlich also, dass es in unserem „reaktionär-libertären“ Lager eine gewisse und ja durchaus auch berechtigte Frankophobie gibt, ich selbst stelle keine Ausnahme dar.

Dennoch will ich mich nicht auf simples, dumpfes Franzosen-Bashing herabbegeben – dafür war auf dem Schulhof genug Zeit („hehe, innerhalb von sechs Wochen kapituliert, haha“) –, sondern auch die positiven Seiten der französischen Philosophiegeschichte beleuchten.

Ein reaktionärer Leuchtturm innerhalb der stürmischen See des Progressivismus, welche Frankreich samt seinen Nachbarn nunmehr seit über 200 Jahren überflutet, soll euch nicht vorenthalten werden: Joseph de Maistre (sprich: „de Mätre“). Zugeben, eine wirkliche Ausnahme ist er nicht. Seine Muttersprache war ein italienischer Dialekt, er selbst betrachtete sich nicht als Franzose (Zitat: „Ich bin kein Franzose, ich war nie einer und ich möchte auch keiner sein.“), aber er schrieb immerhin auf Französisch, lebte als junger Mann für mehrere Jahre in Frankreich, und sein Name ist bei Gott nicht italienisch.

Jedenfalls jährte sich vor knapp drei Monaten, am 26. Februar, sein Todestag zum 200. Mal. In der FAZ nahm dies der Feuilletonist Benjamin Loy zum Anlass, sich mit de Maistre näher zu beschäftigen. Er betitelt ihn in seinem Artikel als „Gespensterseher politischer Unordnungen“ (lag der denn damit wirklich so falsch, wie die Formulierung es suggeriert?), „Geburtshelfer des autoritären Denkens“ und „royalistischen Pamphletisten“. Was soll ich sagen, diese Vorwürfe machen ihn auf dem ersten Blick doch sympathisch, nicht wahr?

1753 als ältester Sprössling einer savoyischen Adelsfamilie geboren, wuchs de Maistre in seiner Heimatstadt Chambéry im heutigen Südosten Frankreichs auf – es sei angemerkt, dass diese Stadt bis 1860 unter dem Namen Ciamberì Teil des Königreichs Sardinien-Piemont war. Als er Anfang 20 war, wurde er Mitglied bei den Freimaurern und verbrachte einen Teil seines Lebens in Lyon.

Der Einmarsch revolutionärer Truppen 1792 in Norditalien veranlasste ihn, nach Lausanne am Genfer See auszuwandern; nachdem auch die Eidgenossenschaft Opfer französischer Aggressionen wurde, ging de Maistre nach Sardinien. Dort wurde er für den sardischen König Botschafter in Sankt Petersburg. Nach der Niederlage Napoleons wurde er bis zu seinem Tode Staatsminister im restaurierten Königreich Sardinien-Piemont.

Die Erfahrungen mit der Revolution, aber auch der Einfluss des irischen Philosophen Edmund Burke – dem geistigen Vater des Konservatismus –, führten dazu, dass sich de Maistre zu einem der eifrigsten Verteidiger der Alten Ordnung, speziell in Frankreich des sogenannten Ancien Régime etablierte. Sein ideelle Hauptgegner war dabei Jean-Jacques Rousseau, einer der bedeutendsten französischen Aufklärer und Vordenker der Französischen Revolution und ihrer ideologischen Nachgeburten.

Das Emporheben von Gleichheit und Freiheit (wohlgemerkt: Freiheit im linken Sinne), so stellt de Maistres heraus, müsse zwangsläufig zum Ausbruch scheinbar endloser Brutalität führen. Der Große Terror, der in Frankreich und insbesondere in Paris in den Jahren 1793 und 1794 unter der Herrschaft der Jakobiner ungezügelt dahinmordete, war eine zwangsläufige Konsequenz der Revolution. Die Folgen manch anderer erfolgreicher Revolution sollten diese Behauptung bestätigen.

De Maistres Gegenmittel: die göttliche Ordnung mit einer streng hierarchischen Gesellschaft. Er betrachtet, im Gegensatz zu Rousseau, das Zusammenleben der Menschen nicht als ein rationales Gebilde, auf das man sich mit einem Gesellschaftsvertrag o. ä. einigen könne, viel mehr sei eine Gesellschaft etwas organisches, eine mit der Vernunft nicht eindeutig greifbare Ordnung, die, soll sie reibungslos funktionieren, nur auf göttlicher Basis stehen kann.

Als menschliches Oberhaupt dieser Ordnung gilt der König, über ihn steht nur Gott. Die Demokratie sieht er dementsprechend als unehrliches Konstrukt an – der „Volkswille“ sei lediglich eine kurzlebige Widerspiegelung einer schwankenden öffentlichen Meinung; die Masse werde von der durch die Aufklärer gepriesenen Vernunft ohnehin kaum Gebrauch machen.

Generell seien Staaten nie durch den freiwilligen Zusammenschluss von Individuen entstanden, auch der demokratische Staat nicht, obwohl sie es den Menschen vorgaukele. Wenn überhaupt, so de Maistres, sei Demokratie nur in einem kleinen Rahmen verwirklichbar, jedoch nicht in einem großen Land wie Frankreich.

Der „Wille“ des Volkes werde nie umsetzbar sein, der einzelne Bürger in der Bedeutungslosigkeit versinken. Die Monarchie hingegen sei wenigstens ehrlich: Sie mache keinen Hehl aus der Notwendigkeit der Herrschaft, sie verfolge keine Illusion der Gleichheit. Er bedauert die mangelnde Strenge vor allem der französischen Monarchie, die es erst dazu habe kommen lassen, dass sich die aufklärerischen Gedanken in der Revolution entluden.

Sie hätte durch energischeres Vorgehen verhindert werden können. Weiterhin vertritt de Maistres die These, dass Demokratien keine große Kunst mehr hervorbringen können. Es bräuchte einen König, oder zumindest eine hierarchische Ordnung, damit sich Künste entfalten können, andernfalls wären sie zu sehr dem Geschmacke der Volksmassen ausgeliefert, was eine geistige Verarmung zur Folge hätte.

Nun, wo lag er denn großartig falsch? Die meisten seiner Vorhersagen, insbesondere in puncto Demokratie und Kunst, sind eingetroffen. Sobald sich ein Staat auf eine moderne Ideologie beruft, wird die Bevölkerung belogen. In allen drei großen Ideologieblöcken des 20. Jahrhunderts – „Faschismus“, Kommunismus, parlamentarische Demokratie – war bzw. ist das so.

Sie alle behaupteten bzw. behaupten immer noch, den „Wille des Volkes“ (mittlerweile eher der Bevölkerung…) zu repräsentieren. Sie alle wollten und wollen das „Gute“ erreichen, enden aber immer im geistigen Niedergang. Wo wir gerade dabei sind: Es ist schon auffällig, dass mit der Demokratisierung Europas das Abendland seine künstlerische Schaffenskraft verlor, nicht wahr? Natürlich, auch heute gibt es noch große Kunst, aber ein Niedergang lässt sich nicht verleugnen.

Es sei mir an dieser Stelle ein kurzer Ausflug in die Gedankenwelt Oswald Spenglers, meines momentanen Lieblingsautors, gestattet: Für ihn ist dieser Niedergang zwangsläufig, schicksalhaft. Sowohl die Demokratisierung, d. h. das Niederwerfen der Alten Ordnung und das darauffolgende Annehmen von für das Abendland untypischen Staatsformen – die Demokratie ist eine solche –, als auch die geistige Abstumpfung der abendländischen Kunst – einer Kunst, die, der „faustischen Seele“ entsprechend, nach dem Unendlichen strebt und damit nur wenigen, auserwählten Geistern greifbar ist –, sind nach Spengler die unausweichliche Konsequenz der abendländischen Kulturentwicklung.

So wie ein Mensch die Kindheit, die Jugend und schließlich das Alter durchleben und danach sterben muss, so muss auch eine Hochkultur wie die des Abendlandes ihr Ende finden: Und das ist eben das Zeitalter der Moderne, der Ideologien, der gottlosen Demokratie.

De Maistre muss zum Lebensende eine ähnliche Ahnung gehabt haben, jedenfalls wurde er nach den Erfolgen des revolutionären Heeres und Napoleons zunehmend pessimistischer. Und auch wenn er es nicht mehr selbst erlebte: Vermutlich ahnte er, dass die Restauration von 1815 nicht lange anhalten würde.

Um den Bogen zurück zur FAZ zu schlagen: Loy beschreibt noch einmal die Wirkungsgeschichte de Maistres, seinen Einfluss auf Antonio Gramsci, Alain de Benoist und Carl Schmitt. Auch zeitgenössische Autoren wie Michel Houellebecq seien durch die autoritären Thesen geprägt.

Ich will unserem Feuilletonisten jedoch zugutehalten, dass er de Maistre nicht ganz dem Bösen zuschlägt. So verteidigt Loy ihn gegen den Vorwurf des russisch-jüdischen Philosophen Isaiah Berlins, de Maistre sei ein geistiger Vorläufer des Faschismus (es scheint, als müsste dieser Begriff noch einmal behandelt werden). Vielleicht bin ich zu sehr durch andere Medien à la Spiegel geprägt, jedenfalls war ich von dieser doch differenzierten Betrachtung unseres reaktionären Helden ein wenig überrascht.

De Maistre nimmt, ähnlich wie es Edmund Burke im Bezug zum (englischen) Konservatismus tut, die Rolle des geistigen Vaters der reaktionären Theorie ein. Daher empfehle ich, sich mit diesem Mann noch einmal näher zu beschäftigen; sein Werk „Von der Souveränität. Ein Anti-Gesellschaftsvertrag“, entstanden im Schweizer Exil, ist zumindest schon auf meine Liste der noch zu lesenden Bücher hinzugefügt worden.

Neben seinen Schriften verfasste de Maistre auch einige Aphorismen; zum Abschluss sei hier sein wohl bekanntester, da hinsichtlich der aktuellen politischen Lage in heutiger Zeit oft zitierter, Aphorismus wiedergegeben: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“. Oh Dieu, si vrai!

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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