Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán trat zum Staatsbesuch nach Österreich an. Warum das Treffen die Gemüter der Linken und der Mainstream-Presse erregt, was Carl Schmitt damit zu tun hat und warum wir Hoffnung daraus schöpfen können.
Anfang November reiste Viktor Orbán aus Ungarn nach Wien. Anlass für den Besuch war seine Teilnahme an einer von der Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“ organisierten Diskussionsrunde zu geopolitischen Fragen im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Da der ungarische Ministerpräsident mit seiner EU-Ratspräsidentschaft zur Befriedung des Krieges in der Ukraine beizutragen plant, hätte es kaum einen besseren Diskussionspartner geben können.
Die Quelle der Aufregung des polit-medialen Komplexes boten zur Abwechslung aber nicht die Worte, die Orbán über den Ukraine-Krieg verlor, sondern das, was er vor seinem Besuch der „Weltwoche“-Diskussionsrunde unternahm. So traf sich Orbán mit dem frisch gewählten österreichischen Nationalratspräsidenten Rosenkranz von der FPÖ und dem Bundesparteiobmann Herbert Kickl.
Wer daran zunächst nichts Besonderes sieht – immerhin trafen sich dort der Vorsitzende der größten Partei Ungarns (Fidesz) und der Vorsitzende der größten Partei Österreichs (FPÖ) –, sollte sich eins bewusst machen: Regierungsbesuche setzen immer ein Zeichen, gerade unmittelbar nach einer Wahl wie der in Österreich. Und genau dieses Zeichen ist es, das die linken Gemüter erzürnt hat – aus zweierlei Gründen.
Erstens hat sich in Österreich seit der Wahl noch gar keine neue Regierung gebildet und Bundespräsident Van der Bellen verweigert der FPÖ bisher den Auftrag zur Regierungsbildung, der vom Bundespräsidenten traditionell immer der stärksten Partei zugesprochen wird. Dass Ungarns Ministerpräsident Orbán nun gerade die FPÖ und nicht die noch amtierende Regierung aus ÖVP und Grünen besucht, zeigt deutlich, wen er gerne in Zukunft Österreich regieren sehen würde. Verdeutlicht wird das durch die Deklaration, die Orbán gemeinsam mit Kickl unterzeichnet hat. In der „Wiener Erklärung“ legen beide Parteien im Namen „Ungarns und Österreichs“ ihre wichtigsten gemeinsamen Prinzipien nieder:
„…die besondere Verantwortung des abendländischen Charakters unseres Kontinentes“, die Bedrohung dieses Charakters durch „das Ausmaß illegaler Migration“, weniger EU, mehr nationale Souveränität und einiges mehr.
„Amtsanmaßung“ riefen die Wahlverlierer von ÖVP und Grünen. Immerhin könne Kickl gar nicht im Namen Österreichs sprechen, er sitze ja gar nicht in der Regierung. Schnell präsentierte man einen Verfassungsexperten, der erläuterte, dass diese Erklärung lediglich symbolischen Charakter habe und nicht bindend für Österreich sei. Das stimmt, aber genau das war doch der Zweck dahinter. Ein Symbol zu senden.
Damit kommen wir zum zweiten Grund für die Empörung des Komplexes über das Treffen: die Symbolik. Und an dieser Stelle kommt Carl Schmitt ins Spiel. In einem Interview mit dem alternativen Sender AUF1 am Rande seines Besuchs zeichnet Orbán ein Bild von der EU auf der einen und Ungarn auf der anderen Seite.
Die EU beschreibt er als „liberalen“ oder „progressiven Ozean“, in dem Ungarn als „christliche“ oder „konservative“ „Insel“ liegt. Die Insel Ungarn verteidigt ihre Freiheit und Souveränität gegen die alles mit Bürokratie überschwemmende EU. Was für ein Bild. Jeder hat direkt eine Vorstellung im Kopf und ein Gefühl in der Brust.
Dabei kommt das Bild Orbáns nicht von ungefähr, sondern man kann dem christlichen Ungarn unterstellen, dass er den Spruch „Ora et labora“ („Bete und arbeite“) nicht nur ernst nimmt, sondern auch vollständig kennt. In der Langversion heißt die Ordensregel der Benediktiner nämlich „Ora et labora et leges, Deus adest sine mora“ („Bete und arbeite und lies, so ist Gott da ohne Verzug“). Denn gelesen haben dürfte er das Bild vom ungebändigten Ozean auf der einen und dem festen Land auf der anderen Seite bei Carl Schmitt, genauer in seinem Werk „Land und Meer“.
Darin beschäftigt sich der Rechtswissenschaftler Schmitt mit den unterschiedlichen Charakteristiken von Land und Meer, Landrecht und Seerecht, Landnationen und Seenationen. Das Meer (oder der Ozean) steht dabei für das globalistische, gleichmachende und entgrenzte Element. Das Land (oder die Insel) steht hingegen für das Gewachsene, Geerdete und Umgrenzte. Mit einem Satz hat Orbán also alles ausgedrückt, was es zu sagen gibt. Er hat den wachsenden Widerstand der souveränen Nationalstaaten gegen die supranationale EU auf den Punkt gebracht. Es ist der Kampf Ort gegen Ortlosigkeit.
Dieses Gefühl dürften viele Wähler in Österreich teilen und gerade deshalb die FPÖ gewählt haben. Es stimmt also nur zu einem gewissen Teil, wenn eine Grünen-Abgeordnete behauptet, Kickl spreche nicht für das Land und die Menschen und könne deshalb keine Erklärungen unterzeichnen. Für einen großen und immer größer werdenden Teil spricht er eben schon.
Und damit kommen wir zum letzten und Hoffnung spendenden Teil. Nämlich der Frage, ob die souveräne Insel gegen das Meer besteht oder bald alles in den Wellen der EU untergeht. Zumindest wenn es nach Alain de Benoist geht, besteht die Zukunft Europas nicht in einem großen Ozean, sondern in vielen Inseln – wie Orbán die souveränen Nationen bezeichnet. Die „Wiener Erklärung“ gibt Anlass zur Hoffnung, dass de Benoist mal wieder recht behalten soll.