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Im Lipsi-Land

14. Dezember 2020
in 7 min lesen

Die Lage sei ernst, erklärt Beate Baumann dem Politbüro des ZK der Corona-Depressions-Union (CDU). Der Frühling 2021, so die graue Eminenz der Bundeskanzlerin, beende die klassischen Grippemonate und die vielen Nachrichten von wirksamen Impfstoffen hätten im Volk, pardon, in der Bevölkerung die Erwartungen auf ein baldiges Ende des seit November 2020 anhaltenden „Wellenbrecher-Lockdowns“ geschürt. Die Bevölkerung wolle sich aus seinen Wohnungen trauen und im Freien amüsieren. Auch Tanzveranstaltungen stünden bei jungen Menschen wieder hoch im Kurs. Vor allem amerikanische Tänze erfreuten sich zu Beate Baumanns Leidweisen großer Beliebtheit.

Trotz Joe Bidens, hüstel hüstel, Wahlsieges, zwinker zwinker, seien die USA angesichts von über 70 Millionen Trump-Wählern keine moralische Führungsmacht mehr, zumal die mehr als 70 Millionen Trump-Wähler am Wahltag noch gar nicht verstorben waren. Somit sei die Populärkultur aus dem Heimatland des Trumpismus eine fortwährende Bedrohung für Toleranz und Weltoffenheit.

Noch herrscht Tanzverbot

Wenn die Infektionszahlen und Übersterblichkeitsraten ein Tanzverbot nicht mehr rechtfertigten, müsse bei den drohenden Tanzveranstaltungen ein Schulterschluss aller Demokraten ein Zeichen für bunte Vielfalt setzen und eine gemeinsame europäische Lösung gegen die Übermacht US-amerikanischer Tänze definieren. Ein neuer Tanz müsse her, der jungen Menschen auf der Grundlage gemeinsamer Werte und unter dem besonderen Aspekt der Gleichstellung aller 64 Geschlechter eine sozial-ökologische Zusammenarbeit ermögliche, Rollenklischees abbaue und überkommene Perspektiven der inter-geschlechtlichen Wochenendgestaltung hinterfrage.

Daher hätten die Mitglieder des Politbüros des ZK der CDU nur wenige Tage Zeit, sich einen neuen Paartanz auszudenken. Solange bliebe das Kuchenbuffet leer, die Tür verschlossen und das Wasser auf der Transgender-Toilette abgedreht. Rasch bilden sich die ersten Tanzpaare. Unter Saarländern reiben Annegret Kamp-Karrenbauer und Peter Altmeier ihre Körper aneinander, unter Bayern tuen Claudia Roth und Anton Hofreiter es ihnen gleich und unter Niedersachsen finden auch Ursula von der Leyen und Hubertus Heil zueinander. Saskia Esken tanzt mit Karl Lauterbach. Und Renate Künast mit Susanne Henning-Welsow.

Irgendwann wird wieder getanzt

Drei Wochen später. Samstagabend. Dorfdisko. Frühlingsgefühle. Die jungen Männer balzen wie die Berserker um die blonde Dorfschönheit. Bei wem sie wohl heute Nacht ins Auto einsteigen wird? Bestimmt in kein Elektro-Auto, so viel ist sicher. Aber Nachwuchs-Appartschik Linus-Findus weiß es besser. Einen Führerschein hat unser Linus-Findus zwar noch nicht. Für Linus-Findus käme ohnehin nur eine Fahrerlaubnis für Automatikgetriebe in Frage, der manuelle Schalthebel ist für ihn ein Symbol toxischer Männlichkeit. Sehnsüchtig sieht Linus-Findus dem autonomen Fahren entgegen, solange von dieser Entwicklung kein deutscher Hersteller profitiert.

Doch seit er sich letzte Woche auf einem Seminar der Ralf-Stegner-Stiftung bei erfahrenen Apparatschiks fortgebildet hat, kann unser Linus-Findus der blonden Dorfschönheit etwas anbieten, was keiner seiner muskulösen und motorisierten Rivalen vorzuweisen hat: Nämlich einen Schulterschluss aller Demokraten und die einmalige Chance, auf der Grundlage gemeinsamer Werte und unter dem besonderen Aspekt der Gleichstellung aller 64 Geschlechter eine sozial-ökologische Zusammenarbeit zu ermöglichen, die Rollenklischees abbaut und überkommene Perspektiven der inter-geschlechtlichen Wochenendgestaltung hinterfragt.

Beherzt dreht unser Nachwuchs-Apparatschik die Musik ab, greift zum Mikrofon und ruft alle Anwesenden auf, ihm einmal kurz zuzuhören. Singend und tanzend setzt Linus-Findus an: „Heute tanzen alle jungen Leute, nur noch im -“ …

Als Linus-Findus mit blutender Nase im Straßengraben wieder zu Bewusstsein kommt, kann er die Reihenfolge seiner Schritte immer noch aufsagen.

Damals in der Zone…

Weniger blutig, aber auf ebenso wenig Gegenliebe stoßend wie unser Linus-Findus dürfte es Anfang der 1960er-Jahren den damaligen FDJ-Sekretären für Agitation und Propaganda ergangen sein, als sie ihren Altersgenossen in der DDR einen Tanz namens Lipsi schmackhaft machen wollten und wieder und wieder die auswendig gelernten Phrasen aufsagten, weshalb der von erfahrenen Genossen entwickelte Lipsi viel lässiger und draufgängerischer als der aus den USA herüberschwappende Twist sei.

Chubby Checker sei Dank versetzte der Twist von Amerika ausgehend die ganze Welt in Schwingungen, hinter denen die SED-Diktatoren ein subversives Manipulationsmittel der imperialistischen Monopol-Kapitalisten zur Unterwanderung der sozialistischen Jugend witterten. Also her mit dem sozialistischen Gegenmodell!

Der Lipsi blieb natürlich nicht der einzige Versuch der roten Bonzen, auf Freiheit fußende Erfolge des Westens in ihre Fünfjahrespläne zu pressen und zentralistisch von oben herab zu erzwingen, was sich „drüben“ unter marktwirtschaftlichen Bedingungen aus oft bescheidenen Anfängen in einer Graswurzelbewegung zum Welterfolg gemausert hatte. Die vielen unbekannten Misserfolge hinter und die vielen glücklichen Zufälle innerhalb einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte übersahen die roten Bonzen selbstverständlichen. Wer in den geschlossenen Weltbildern des Marxismus-Leninismus denkt, kann die ehemalige Offenheit einer historischen Entwicklung nicht mehr nachvollziehen.

Ein paar Jahre später durfte bereits die nächste Generation von FDJ-Sekretären für Agitation und Propaganda stumpf vor sich hin behaupten, die „Beatles“ oder die „Rolling Stones“ seien gegenüber der FDJ-eigenen Hausband „Club Roter Oktober“ klar unterlegen, die mit ihrem erschreckend aktuell klingenden „Sag mir wo Du stehst!“ auf einer Party statt zu amüsieren lieber den Klassenstandpunkt in Erinnerung bringen wollte.

Für alles gibt es Ersatz

Ob Jeans aus dem volkseigenen Kombinat statt von Levis oder Kinofilme mit Agenten im Geheimdienst Erich Mielkes statt Ihrer Majestät, immer versuchte die staatlichen Plan-und Misswirtschaftler der DDR abzukupfern, was die westliche Marktwirtschaft hervorbrachte. Als die Apparatschiks bei der Feindbeobachtung Bauarbeiter, Kfz-Mechaniker und Schweißer sahen, die zu hunderttausenden in ihren Arbeitspausen freiwillig Axel Springers „Bild“-Zeitung lasen, wollte die selbsternannte Vorhut der Arbeiterklasse natürlich ein ebenso massentaugliches Blatt in ihrem „besseren Deutschland“ (Zitat westdeutscher Studienrat) verbreiten.

Das Ergebnis war die sog. „Neue bild-Zeitung“. Eine Zeitung für die werktätigen Massen ohne nackte Weiber, dafür mit Papst-Franziskus-und-Kardinal-Marx-Schlagzeilen wie „Erst im Sozialismus hat der Christ volle Freiheit!“. Durch launige Aufmacher wie „Atompilze über Kiel“ oder was diplomierte Gesellschaftswissenschaftler und Marxismus-Leninismus-Lehrer sonst noch für volksnahe Unterhaltung hielten, erzielte die „Neue bild-Zeitung“ unter Arbeitern und Bauern eine Miniaturauflage, auf deren Tiefen noch Jahrzehnte später selbst Kai Diekmann und Tanit Koch das Original aus dem Hause Springer nicht drücken konnten.

Dann lieber das Original

Weder der Lipsi-Tanz noch die „Neue bild-Zeitung“ haben im Westen je eine Rolle gespielt und sind im Osten sang-und klanglos untergegangen. Eigentlich taugte der Lipsi nur noch als beiläufige Anekdote, mit der sich die manchmal unfreiwillig komischen Seiten der DDR erklären lassen, vergleichbar mit den Ochs-und-Esel-Reden der Parteiführung oder dem Planwirtschaftsmotto: „Überholen ohne einzuholen.“

Dabei legt dieser verkannte Tanz in anderer Form eine erstaunliche Karriere hin. Das Lipsi-Syndrom hat längst das gesamte Land b
efallen. Schließlich ist auch die DDR-Mumie im Kanzleramt nichts anderes als ein neo-sozialistischer Abklatsch auf das marktwirtschaftliche Original der Marke Margarete Thatcher.

ARD oder DDR?

Kaum erreichen Mädchen auf Youtube mit Schminktipps ein weibliches Millionenpublikum, zieht der öffentlich-rechtliche „funk“ mit Vollverschleierungstipps nach. Lassen die Amerikaner „The West Wing“ vom Stapel, hält das ZDF mit „Kanzleramt“ dagegen, eine Politserie, in der ein linksgrüner Bundeskanzler für härtere Waffengesetze und höhere Tabaksteuern kämpft. Und kündigt das ZDF ein deutsches „Breaking Bad“ an, ist das nicht weniger als eine Drohung.

Bitte, bitte lasst die verschobene, nicht aufgehobene Erhöhung der Rundfunkbeiträge vollständig in die Intendantengehälter, die Kamerateams von der Antifa und Jan Böhmermanns Zweithaus auf Juist fließen, bevor irgendein ZDF-Programmdirektor mit Bündis90/Die Grünen-Parteibuch auf die Idee kommt, mit dem stetig wachsenden Milliardenetat ein deutsches „Games of Thrones“ zu drehen!

An machen Formate traut sich die Nomenklatura zum Glück gar nicht erst heran. So sind die beste Satire auf das weiße, konservative und kapitalistische Amerika bis heute „Die Simpsons“ des konservativen Privatsenders FOX, den ARD und ZDF gern als „Donald Trumps Haussender“ schmähen. Angela Merkels Haussender konnten für die FOX’sche Selbstironie bis heute kein Plagiat entwickeln.

Man war stets bemüht

Wie schon beim Lipsi fasziniert noch immer die Frage, wie die Nomenklatura auf die Titel für ihre öffentlich-rechtlichen Kreativitäts-Attrappen kommt. Kurz vor dem Mauerbau kann das Wort in Ost-Berlin noch nicht sehr weit verbreitet gewesen sein, aber in heutigen Arbeitskreisen muss ein „Brainstorming“ stattfinden, an deren Ende dann Titel wie „Morgen hör‘ ich auf“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ herauskommen.

Wer in der Schule auf Befehl seiner progressiven Lehrer einmal ein klassisches Theaterstück umschreiben und „auf die heutige Zeit übertragen“ musste, vergisst die schöpferische Kraft von Arbeitsgruppen beim Brainstorming ebenso wenig wie den Qualitätsunterschied zwischen Komödien, die ein Virtuose im Alleingang oder zwanzig Gymnasiasten in Mehrheitsabstimmungen erschufen. Das Publikum übrigens auch nicht.

Wahrscheinlich läuft ein Brainstorming in den Autorenrunden der ARD vor einer Flipchart ab, an der bereits die Ideen „alleinerziehende Mutter“, „engagierte Akademikerin“ und „korrupte Konservative“ geschrieben stehen, bis der Titel „Die Stadt und die Macht“ zustande kommt. Sei auf der Hut, Netflix! Denn das ist sie, „Die Stadt und die Macht“, die deutsche Antwort, pardon, Antwort aus Deutschland auf „House of Cards“!

Bitte nicht noch mehr davon

Wie, werter Leser, Sie haben „Die Stadt und die Macht“ nicht gesehen, noch nicht einmal davon gehört? Natürlich nicht. Niemand hat das. Bis auf jene Feuilletonistin von der „Süddeutschen Zeitung“, die in „Die Stadt und die Macht“ gleich „drei kunstvoll ineinander montierte Genres in einem“ erkennt, darunter „ein Psycho-Drama samt geheimnisvoll durch die Luft fliegender verschmorter Puppe und Aufdröseln eines Familiengeheimnisses“.

Oder jener Feuilletonist, der auf „Spiegelonline“ für „Szenen von bizarrer Schönheit“ schwärmt, in denen der fettleibige Vater der engagierten und alleinerziehenden Akademikerin sich „von einem Geschäftspartner eine Hure bestellen lässt, um nichts anderes mit ihr anzufangen als sich sein blutiges Steak von ihr zufüttern zu lassen“, denn angesichts solch subtiler Großstilistik „erzählt das auf grotesk melancholische Weise vom Siechen der patriarchalischen Potenz.“

Liebes Dänemark, das Du nicht ein Zehntel der Einwohner Deutschlands und keine gleichsprachigen Reserven in Österreich und der Schweiz hast. Nach der schieren Anzahl der in Deiner Sprache denkenden Köpfe müsstest Du, kleiner Nachbar, doch weniger kreatives Potential haben. Doch Du hast mit der nicht minder linksgrünen Politserie „Borgen“ Deine dänische Antwort auf „The West Wing“ oder „House of Cards“ handwerklich hundertmal hochwertiger hingekriegt als Dein großer Nachbar.

Lego-Land schlägt Lipsi-Land.


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U. B. Kant

Der U. B. Kant wurde 2009 erst zwei Tage nach der Bundestagwahl volljährig, sonst hätte er noch mit beiden Stimmen die Steinmeier-SPD gewählt. Heute lebt der U. B. Kant im besten Deutschland, das es jemals gab, und möchte sein Gesicht bei freien Meinungsäußerungen lieber verbergen. Seinen Ahnen entsprechend setzt es sich zusammen aus Lüneburger Heidjen, Ostwestfalen und Ostpreußen. Schädelvermesser könnten angesichts einer solch feinsinnigen Vereinigung der Schöngeister ablesen, dass der U. B. Kant die gesammelten Werke von Shakespeare, Schiller und Sophokles nicht nur dekorativ im Bücherregal stehen, sondern deren Lektüre auch nach zehn Seiten abgebrochen hat.